Frauen sind nicht anders

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Früher gab es die männlich/weibliche Aufteilung in rational/emotional nicht. Das ist eine Erfindung der Demokratien - zur Rechtfertigung der Benachteiligung von Frauen.

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Frage Frau Schiebinger, vor beinahe 60 Jahren hat ein deutscher Physiker seiner Kollegin angeblich den Nobelpreis geklaut.
Prof. Londa Schiebinger Ja, Otto Hahn seiner Kollegin Lise Meitner. Wenigs­tens wurde ihr Name jüngst in Hahns Gedenk­tafel am alten Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut hinzugefügt, wo sie gemeinsam an der Theorie der Kern­spaltung forschten.
Frage Sind viele Naturwissenschaftlerinnen solcher Missachtung begegnet?
Schiebinger Bis Anfang der 70er Jahre war es recht verbreitet, die Leistungen von Frauen zu ignorieren. Die Biologin Rosalind Franklin ist auch nie genügend gewürdigt worden.
Frage James Watson, der für die Entdeckung der DNA-Struktur schließ­lich den Nobelpreis bekam, äußerte sich gern und häufig über Franklins schlecht sitzende Frisur.
Schiebinger In seinem Buch über die Doppelhelix finden sich einige wirklich reizende Passagen über Franklin: wie un­weiblich sie sei und ob sie nicht wenig­s­tens ein bisschen Make-up be­nüt­zen könne. Und dann noch: Der beste Platz für jede Feministin sei eben ein fremdes Labor. Vor diesem Problem stehen Frauen auch im Wissenschaftsbetrieb immer: Machen sie sich hübsch, nimmt man sie nicht ernst. Tun sie es nicht, werden sie als plumpe Blaustrümpfe abgetan.
Frage Deshalb verkleideten sich einige anscheinend lieber gleich als Mann.
Schiebinger Zuletzt passierte das 1812, in Edinburgh. Frauen haben wirklich schon alles Mögliche angestellt, um Wissenschaft betreiben zu können.
Frage Werden Wissenschaftlerinnen bald einmal ebenso viel Anerkennung wie ihre Kollegen finden?
Schiebinger Die Atmosphäre an den Universitäten ist durch den Feminismus schon viel frauenfreundlicher geworden. In Schweden fand man allerdings heraus: Frauen, die sich erfolgreich für For­schungs­gelder bewerben, benötigen im Schnitt doppelt so viele Veröffentli­chun­gen wie Männer. Frauen haben oft noch das Gefühl, für eine gute Stelle auch doppelt so hart arbeiten zu müssen.
Frage Wann wird die Chancen­gleich­heit in den Naturwissenschaften eintreten?
Schiebinger Ich denke recht bald, denn in den letzten 50 Jahren ist schon viel erreicht worden. Die NASA hatte bereits eine Chefwissenschaftlerin, Shannon Lucid, das Nationale Gesundheitsinstitut ebenfalls. Drei amerika­nische Top-Universitäten werden in­zwischen von Frauen geleitet. Das waren Mei­len­steine. In Psychologie und Prima­tologie sind wir ohnehin schon so weit. In Medizin und Biologie dauert es vielleicht noch zehn Jahre. Wohlge­merkt: in den USA. Europa hinkt da noch etwas hinterher.
Frage Und in der Physik?
Schiebinger Da hat sich noch nicht so viel getan, ebenso wie in Chemie, Mathematik oder Informatik, dort könnte der Vorsprung der Männer noch 50 Jahre andauern.
Frage Warum sind besonders die "harten" Naturwissenschaften so lange eine männ­liche Domäne gewesen?
Schiebinger Bis ins 18. Jahrhundert trugen Männer noch nicht das Zeichen "rational" auf der Stirn, genauso wenig wie Frauen als rein emotional galten. Erst als die große Frage aufkam: Was stellen wir in einer Demokratie mit den Frauen an, ohne ihnen tatsächlich die gleichen Rechte geben zu müssen?, rissen Männer die Wissen­schaften, die Berufswelt, die Politik völlig an sich, während Frauen sich ausschließlich liebevoll der Familie wid­men sollten. Die Wissenschaft lieferte damals eine Bestäti­gung dieses scheinbar natürlichen Rollenverständnisses. Man suchte förm­lich eine Begründung dafür, dass Frauen von Natur aus nicht objektiv, nicht genial und auf gar keinen Fall wissenschaftstauglich seien.
Frage Die männliche Perspektive hat sich also auch in Forschungsergebnissen nieder­geschlagen?
Schiebinger Immer wieder und in jeder einzelnen Disziplin. Die Rede von aktiven Spermien und passiver Eizelle in der Biologie etwa ist genauso Unsinn wie das von den Archäologen unter­mauerte Klischee vom männlichen Jäger und Sammler in der Steinzeit.
Frage Warum?
Schiebinger Anthropologen wie Prima­to­­logen denken heute eher, dass Frauen in der Urzeit die Sammler waren. Das heißt, dass die Rolle der Frau weit aktiver war, als man bislang annahm. Übrigens auch bei der Partnerwahl. Auch verschiedenste Gehirnuntersu­chun­gen sollten lange den Nachweis bringen, dass Frauen nicht wissenschaftstauglich sind. Bis man endlich bewies, dass die im Vergleich zu Männern kleinere Größe des weiblichen Gehirns keine Rückschlüsse auf die Intelligenz zulässt.
Frage Das weibliche Gehirn, sagt man, soll sogar besser vernetzt sein als das von Männern.
Schiebinger Deswegen können sich Frauen vielleicht auch leichter von einem Gehirn­schlag erholen. Solche Gehirnuntersuchungen scheinen recht auf­schluss­reich zu sein, aber man sollte auch immer ihren Zweck hinterfragen. Und der war eben lange, Frauen aus­zuschließen. Sogar die Standard-Auf­nah­meprüfungen aus Princeton für alle amerikanischen Universitäten wurden bis in die 70er Jahre noch so verändert, dass Männer im mündlichen Teil besser abschnitten als Frauen. Im Algebra-Teil waren Männer übrigens immer schlech­ter.
Frage Bezweifeln Sie die angeblich höhere männliche Begabung für Mathematik?
Schiebinger Das Ergebnis von Frauen wäre schon allein dann besser aus­ge­fallen, wenn mehr Algebra statt Geometrie-Fragen in die Wertung genommen worden wären. Jeder herkömmliche IQ-Test lässt sich so ganz einfach manipulieren.
Frage Die Welt der Technik ist jedenfalls bis heute männlich geprägt.
Schiebinger Cockpits und künstliche Herzen wurden für Männer entworfen und an Männern getestet.
Frage Wird sich das irgendwann einmal ändern?
Schiebinger Hat es schon, seit die US Airforce und kommerzielle Fluglinien auch Pilotinnen beschäftigen. Und da­von profitieren auch kleine Männer. Im Gegen­zug wird auch bei Einkaufs- und Kinderwagen an Männer gedacht.
Frage Warum hat die Pharma-Industrie Frauen bis zuletzt selbst bei einigen Medikamententests nicht berücksic­ht­igt?
Schiebinger Wegen ihres schwankenden Hormonzyklus sind Medikamententests an Frauen angeblich schwieriger und teurer. An einer ganzen Reihe von Studien nahm deshalb keine einzige Frau teil: Studien über den Zusammenhang von Aspirin und Erkrankungen der Herz­kranz­gefäße, für Medikamente gegen Herzinfarkt, gegen Depressionen. Inzwi­schen gibt es in Amerika ein Gesetz, das den Pharma-Unter­nehmen einen reprä­sentativen Frauen­anteil an ihren Studien vorschreibt.
Frage Ist die Medizin nicht eine generell etwas frauenfreundlichere Disziplin als viele Naturwissenschaften?
Schiebinger Da spielt es eine Rolle, ob man von Praxis oder Forschung redet. In den USA findet man jedenfalls in der Gynäkologie, die vor 20 Jahren noch reine Männerdomäne war, inzwischen auch viele Frauen. Dagegen gibt es immer noch wenige Herz-Spezialistinnen und wenige Frauen unter Chirurgen und Orthopäden. Bis in die 70er Jahre hinein wurden Frauen kaum zum Medizinstudium zugelassen. Heute stellen sie schon die Hälfte der Studenten. Auch die Atmo­sphäre an Universitäten und in Arztpraxen hat sich geändert. In Stanford kündigte noch Anfang der 90er Jahre eine hoch ange­sehene Medizinprofessorin, weil sie die Nase voll davon hatte, dass sich ihr Chef in fachlichen Auseinandersetzungen nach ihrer Menstruation erkundigte. Er musste danach ein Sensibilisierungsprogramm absol­vieren.
Frage Sensible Chefs – in Zukunft einmal eine Selbstverständlichkeit?
Schiebinger Schon heute wundere ich mich, wie viele Männer inzwischen interessiert nachfragen, wenn für eine Forschungsstelle ein Mann einer Frau vorgezogen wird.
Frage Jane Goodalls Boss schickte sie zu den Schimpansen nach Afrika, weil er glaubte, Frauen wären grundsätzlich geduldiger und verfügten über eine bessere Wahrnehmung. Sind Frauen die besseren Forscher?
Schiebinger Das glaube ich ganz und gar nicht. Man wird auch nicht einfach durch scheinbar weibliche Charakter­eigenschaften eine menschenfreund­li­chere, kooperativere Naturwissenschaft bekommen. Das funktio­niert nicht.
Frage Also sind Frauen nicht die freund­licheren Wissenschaftler und besse­ren Menschen?
Schiebinger Gehen Sie nur einmal zu einem Frauenforschungstreffen. Glauben Sie, wir würden uns nicht über Politik und Fördermittel streiten? Lise Meitner gilt als die Mutter der Atombombe und Jean Wood Fuller stellte sich 1955 bei einem Atom­bombentest ungeschützt in einem Kilo­meter Entfernung hin und schrie: "Eine Frau hält das genauso aus." Wir rennen genau­so Geld und Karriere hinterher wie Männer. Auch wir sind nicht von Natur aus freundlich und hilfsbereit.
Frage Der Biologin und Nobelpreisträgerin Barbara McClintock sagte man eine regelrechte Intuition für den Organis­mus nach, mit der ihr die Entdeckung der springenden Gene gelang, die mit "männlicher" Analyse nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre.
Schiebinger Das Buch "A Feeling for the Organism" erschien 1983. McClintock selbst war mit einigen Thesen darin überhaupt nicht einverstanden. Auch Stephen Jay Gould …
Frage … der kürzlich verstorbene Biologe …
Schiebinger ...widersprach, Männer könn­ten genauso gut Intuition und ein Gefühl für ihr Forschungsobjekt ent­wickeln. McClintock war eine Außenseiterin, die einfach lernte, ihre Ideen hartnäckig zu verfolgen.
Frage Frauen forschen also nicht anders als Männer?
Schiebinger Die Sache ist schon etwas komplizierter: Ich glaube nicht, dass es eine rein männliche und eine rein weibliche Art zu denken oder zu forschen gibt. Nicht der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Forschern ist relevant. Vielmehr hilft die feministische Perspektive oder – falls Sie das Wort stört – die Analyse der Geschlechterfrage nach den Geistes- nun auch in den Naturwissenschaften, einige bisher unentdeckte Dinge zu sehen.
Frage Sie meinen Entdeckungen wie die einiger Eidechsenarten mit homo­sexueller Paarung, der man nachsagt, nur Frauen habe das gelingen können, Männer hätten die Tatsache weiterhin übersehen?
Schiebinger Vielleicht taten sich Männer wirklich etwas schwerer damit, so eine Möglichkeit ins Auge zu fassen. Mir geht es aber vor allem darum, jeg­liche geschlechts­spezifische Vorein­ge­nom­­men­heit zu erkennen und Tabus in der wissenschaftlichen Fragestellung zu überwinden. Und zwar gleicher­maßen durch Männer wie Frauen, die beide berück­sichtigen müssen, wie ihre Geschlech­terperspektive ihre wissenschaftlichen Ergebnisse beein­flusst. Das passiert zunehmend.
Frage Bitte noch ein Beispiel.
Schiebinger Nehmen Sie nur einen einfachen Grabfund: Ein Speer im Grab wurde aus der männlichen Perspektive lange als Symbol des Jägers interpretiert, während der gleiche Speer in einem Frauengrab lediglich als Familien­erb­stück galt. Das gleiche Objekt, verschieden inter­pretiert, und jahr­zehnte­lang hat diese offensichtliche Diskrepanz niemanden gestört. Geschlechteranalyse heißt in diesem Fall, sich nicht mit dieser einseitigen Interpretation zufrieden zu geben.
Frage Der Einzug dieser Gender-Analyse in die Naturwissenschaften wird in Zukunft Männern wie Frauen helfen?
Schiebinger Nur von und für Frauen erlangtes Wissen ist nicht effektiv. Natur­wissenschaften müssen allen nützen und alle einschließen. Ich bin auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte erfolgreich, weil ich mit der Geschlechterfrage eine neue Perspektive zu traditionellen Fragen und Problemen eingenommen habe. Diese Methode ist ja auch nur eine unter vielen. Aber sie ist kreativ und wird in der Zukunft in vielen naturwissenschaftlichen Zweigen helfen, alte Klischees zu überwinden, Fehler zu korrigieren und neue Antworten oder ganze Gebiete zu entdecken.
Frage Die Liste Ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen umfasst vier Seiten. Wie viele Kinder haben Sie?
Schiebinger In jedem Fall habe ich mehr Bücher geschrieben als Kinder be­kommen. Man kann als Frau durchaus beides haben, Familie und Job, wenn man das nötige Geld dafür besitzt. Für die Kinderbetreuung, fürs Putzen, eine Zeit lang hatten wir sogar jemanden, der uns bekochte. Sieben Tage die Woche. Ich bin als Wissenschaftlerin erfolgreich, weil ich über das nötige Einkommen verfüge, um andere Frauen und manchmal auch Männer meinen und meines Partners Job übernehmen zu lassen. Es wäre toll, wenn die Gesellschaft anderen Familien wenigs­tens adäquate Kindergärten anbieten würde.
Frage Der Frauenanteil aller beschäft­ig­ten Wissenschaftler der deutschen Max-Planck-Institute betrug 1997 rund 13 Prozent.
Schiebinger Inzwischen sind es sicher 13,1 Prozent. Aber was passierte eigent­lich mit dem Vorschlag Ihrer Bildungsministerin Edelgard Buhl­mann, die bis 2005 20 Prozent aller Professorenstellen mit Frauen besetzt sehen wollte?

Frage Es ist ein Vorschlag geblieben.
Schiebinger Na ja, das käme ja auch einer Revolution gleich.
Prof. Londa Schiebinger lehrt Wissenschaftsgeschichte an der Pennsylvania State University, USA. Auf Deutsch erschien von ihr u.a. "Frauen forschen anders. Wie weiblich ist die Wissen­schaft" (C.H. Beck), "Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft" (Klett-Cotta)
Das Inter­view führte Lars Reichardt, es erschien zuerst im SZ-Magazin.

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