Alle waren verrückt nach ihr!

Angelika Kauffmann: "Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei" (Ausschnitt), 1794. - National Trust Images
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Als am 7. November 1807 die Glocken von Rom zu läuten begannen, setzte sich ein Trauerzug, der eines Staatsmannes würdig gewesen wäre, Richtung Sant’Andrea delle Fratte in Bewegung. Im Sarg – getragen von Vertretern verschiedener Kunstakademien, bekannten Malern, Architekten und Schriftstellern – lag die berühmteste Künstlerin ihrer Zeit, die „von jedermann geachtete und geliebte“ Angelika Kauffmann. „Unter einem unermesslichen Zulauf des Volkes“ erwies man der „vielleicht kultiviertesten Frau Europas“ (J. G. Herder) die letzte Ehre in einem „Leichenbegängnis, wie es zuletzt Raffael“ erhalten hatte. Zwei Bilder, Christus ­und­ die­ Samariterin und David­ und­ Nathan, flankierten ihren Sarg und rührten die Trauergemeinde zu Tränen.

Am 30. Oktober 1741 in Chur geboren, nach den ersten Lebensjahren im italienischsprachigen Veltlin und 1752 – 1766 in Vorarlberg und Italien ausgebildet, beherrschte Kauffmann bald fünf Sprachen und ging – wie später Mozart – als Wunderkind mit ihrem Vater auf Wanderschaft. Früh trat sie als begabte Sängerin und Klavichordspielerin auf den Bühnen norditalienischer Fürstenhöfe auf. Ihr Lehrer war zunächst ihr Vater Johann Joseph Kauffmann, ab 1739 fürstbischöflicher Hofmaler in Chur. 

Zusätzlich wurde das Mädchen von ihrer Mutter, der Schweizerin Cleophea Lutz, im Gesang und in Sprachen unterrichtet, erhielt also eine für ein Mädchen damals ungewöhnlich breit gefächerte Ausbildung. In ihrem ersten Selbstbildnis präsentiert sich die Zwölfjährige vierzig Jahre später als Sängerin und demonstriert ihr Doppeltalent. In Mailand kam es 1757 zu einem Wendepunkt in ihrem Leben. Nach dem Tod ihrer Mutter entschied sich Kauffmann, die Karriere einer Sängerin aufzugeben und sich ausschließlich auf die Malerei als Beruf zu konzentrieren. 

Bis heute fasziniert diese Persönlichkeit, nicht zuletzt weil sie viele Gegensätze in sich vereint: Trotz zahlreicher Ortswechsel zwischen Graubünden, Lombardei, Italien, Großbritannien und Irland pflegte sie zeitlebens eine enge Verbindung zu ihrer Heimat Vorarlberg. Einerseits darauf bedacht, als Frau bescheiden und rollenkonform aufzutreten, tauschte sie andererseits mit ihrem Vater und später mit ihrem Ehemann die Rollen. Schon als Jugendliche brachte sie das Geld ins Haus, während Vater und Ehemann im Gefüge ihres stark frequentierten Ateliers die Aufgabe des Assistenten übernahmen.

Es sollte noch 100 Jahre dauern, bis Frauen eine Kunstakademie besuchen durften. Angelika Kauffmann bewies jedoch, dass es Frauen mit Talent und Bildung selbst im 18. Jahrhundert zu außergewöhnlichem Ruhm und Reichtum bringen konnten. Dabei hatte sie das hohe Ziel einer humanistischen Bildung und eines tugendhaften Charakters, eben das Ideal einer „schönen Seele“ vor Augen. 

Als kluge Netzwerkerin, geschickte Geschäftsfrau, gebildete Salonière und dank ihres liebenswürdigen Charakters konnte Kauffmann einen ungewöhnlich großen Kreis von einflussreichen Auftraggebern und Bewunderern gewinnen. Ab 1766 in London am Golden Square 16 und später in Rom waren ihr Atelier und Salon Treffpunkt einer internationalen Klientel. Kauffmann stand mit Vordenkern wie Johann Joachim Winckelmann und mit der Künstleravantgarde des Klassizismus wie Gavin Hamilton oder Pompeo Batoni sowie mit Literaten wie Keate und Goethe in freundschaftlichem Kontakt. 

Schon in ihrer ersten römischen Schaffenszeit fand sie mit der klassizistischen Kunsttheorie zu ihrem eigenen elegant­verfeinerten Stil. Winckelmanns Gebot der Mäßigung im Sinne „edler Einfalt und stiller Größe“ folgend, vermied sie ­extreme Darstellungen und ließ ihre Figuren meist in wohltemperierten Gefühlslagen auftreten. 

Immer wieder setzte sie sich über die Geschlechtergrenzen hinweg: Als sie in ihrem Londoner ­Atelier nach einem Modell der Royal Academy of Arts namens Charles Cranmer arbeitete, galt das als skandalös. Der englischen Kunst gab sie wichtige Impulse und trug dort zur Erneuerung der Historienmalerei bei, indem sie Szenen aus dem englischen Mittelalter darstellte und sich der Homer­ und Shakespeare­ Renaissance anschloss. Ihr Interesse an außereuropäischen Kulturen erstaunt bis heute. 

In der aufstrebenden Metropole richtete die junge Malerin ihr Geschäft wohlüberlegt ein. Sie bezog ab 1766 ihre erste eigene Wohnung in der Suffolk Street 27 und wurde die gefragteste Malerin auf dem englischen Porträtmarkt. Zu Beginn in London kam ihr eine in erster Linie weibliche „Patronage“ zugute. Junge, moderne Frauen der höheren Gesellschaft waren ihre ersten Porträt­Kundinnen.

Image­making durch den Umgang mit celebrities war schon damals eine beliebte Strategie. Kauffmann umgab sich mit Prominenten, die ihren sozialen Status deutlich aufwerteten. Sie erfuhr Unterstützung von Kaisern und Königinnen, Adeligen und Bürgern in ganz Europa, darunter die russische Zarin Katharina II. In London zählten einflussreiche Vertreterinnen des Hofes zu ihren ersten Auftraggeberinnen. 

In der „Porträt­-Hauptstadt“ London erforderte die große Nachfrage einen straff organisierten Atelierbetrieb. Deshalb rationalisierte die junge Geschäftsfrau ihren Arbeitsprozess, indem sie ihre Bildformate standardisierte und ohne längere Entwurfsphasen gleich mit dem Pinsel auf der Leinwand begann. Meist genügten ihr zwei bis drei Sitzungen à drei Stunden, um das Gesicht anzulegen, der restliche Körper wurde mit einem Ersatzmodell ausgeführt. Kauffmann lud an einem Tag bis zu drei Personen für Sitzungen ein. Sie wurden zum gesellschaftlichen Ereignis, denn viele Neugierige fanden sich dazu ein, um Kauffmann in Aktion zu erleben. 

In ihren Preislisten formulierte Kauffmann ihre Geschäftsbedingungen. Selbstbewusst orientierte sie sich an den Honoraren der Kollegen, auch wenn ihre Preise als „much too high“ kritisiert wurden. Angesichts des zögerlichen Absatzes von Historienbildern beim britischen Publikum wandte sich Kauffmann zunehmend Stimmungsbildern zum Thema liebender und verlassener Frauen im kleinen Format zu und konzentrierte sich auf die neue Form des Einfiguren­-Historienbildes einer trauernden Ariadne, Kalypso oder Irren Marie. Durch diese „Gefühlsikonen“ galt Kauffmann bald als eine Wegbereiterin der Empfindsamkeit. 

Ab den 1770er­-Jahren war die Nachfrage nach Kauffmanns Werken überwältigend. Der Ausspruch nach Überlieferung des dänischen Botschafters Schönborn war rasch in aller Munde: „Die ganze Welt ist verrückt nach Angelika“. Kauffmann bediente sich inzwischen der Reproduk­tionsgraphik, gefertigt von Kupferstechern aus ganz Europa, zur Popularisierung und massenhaften Verbreitung ihrer Kunst durch Verlage, geleitet oft von Frauen und für Frauen. Bald gab es kaum einen Gegenstand, ob Möbel, Porzellan, Fächer, Tabakdosen oder Textilien, der nicht mit Motiven Kauffmanns dekoriert war. 

Erst 1781, im Alter von 39 Jahren, ließ sich die Künstlerin auf die Heirat mit dem venezianischen Vedutenmaler Antonio Zucchi ein, ein Freund ihres Vaters. Sie schlossen einen Ehevertrag, der ihr die freie Verfügung ihrer Einkünfte sicherte und sie vor möglichen Schulden ihres Ehemannes schützte. Das Paar ging im Sommer 1781 zusammen mit dem kränklichen Vater über Flandern, Schwarzenberg, Innsbruck, Venedig nach Rom zurück. 

Kauffmann hatte sich viele Jahre nach Rom gesehnt. Die Aristokratisierung ihres Habitus und Domizils hatte sie schon in London als Voraussetzung für ein florierendes Geschäft erkannt. Ab 1782 erwarb sie eine stattliche Wohnung in einem Palazzo in der Via Sistina 72 bei Trinità dei Monti. Ihr Angestellter Gioacchino Prosperi half, die 15 Zimmer mit Ställen und Garten erstklassig auszustatten sowie eine Köchin, Zimmermädchen und zwei weitere Diener zu engagieren. 

Noch vor der Französischen Revolution beschäftigte sie sich mit den Bürgertugenden der Römischen Republik, stellte Frauen als neue Heldinnen in den Mittelpunkt ihrer Historien und prägte so das neue Weiblichkeitsideal der Auf­klärung entscheidend mit. Schon Leonardo bemerkte: „Jeder Künstler malt immer nur sich selbst“. Im Geniekult des 18. Jahrhunderts bis in unsere Zeit steht dieser unmittelbare Selbstausdruck des Künstlers für Originalität. Im Diskurs über Künstlerinnen indessen wurde er zum vermeintlichen Beleg fehlender rationalisierender Distanz. So wurden Selbstbildnisse von Künstlerinnen vielfach als Narzissmus gedeutet, auch im Falle von Kauffmann. Ihr wurde „angeborene Fraueneitelkeit“ unterstellt.

Bis heute ist die Rezeption von Kauffmanns Leben und Werk von Weiblichkeitsklischees überschattet. Die Funktion ihrer idealisierenden Selbstbildnisse wurde nicht erkannt, nämlich die des Image­making und der gezielten Werbemaßnahme. Es sind Schlüsselwerke für mehrschichtige Selbstentwürfe: als professionelle und geniale Künstlerin, als selbstbewusste Dame der höheren Gesellschaft, als alterslose Schönheit und göttliche Muse. In einer Art doppelter Botschaft legt die Malerin nahe, dass sie gerade nicht nach ihrem Äußeren als weibliche Schönheit, nicht als Abbild, sondern als Inbild der „schönen Kunst“ wahrgenommen werden will. 

Kauffmann hinterließ ein thematisch breitgefächertes Œuvre von etwa 800 Ölgemälden auf Leinwand und Kupfer, rund 400 Zeichnungen, 40 Radierungen, eine Freskoserie und wenige Pastelle. Nach ihren Werken entstanden unzählige Kopien, Nachahmungen und Fälschungen, ein Indiz für die bis heute nicht nachlassende Popularität dieser außergewöhnlichen Künstlerin.

 

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