Bleiben Kinderehen erlaubt?

Stephanie Sinclair/ www.tooyoungtowed.org
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Sabatina James’ Blick spiegelt eine Mischung aus Verzweiflung und Resigna­tion, als sie die Fragen von Claus Kleber beantwortet. Thema: Kinderheirat. Ob es denn, will der heute journal-Moderator wissen, für einen Rechtsstaat tatsächlich die richtige Antwort sei, „diese jungen Mädchen der Beziehung zu entreißen, ohne sich lange Fragen zu stellen“. Es gebe doch durchaus auch Mädchen, die sich von ihrem Mann beschützt fühlten. Und außerdem: Auch in Deutschland dürften doch die Eltern bestimmen, was ihre nicht volljährigen Kinder tun und lassen müssten. „Und dieses Recht würden Sie den Eltern ungefragt wegnehmen wollen?“ Sabatina James gibt eine ebenso knappe wie klare Antwort: „Das hängt ganz davon ab, was uns die Menschenrechte wert sind.“  

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"Welches Werte-
system wollen wir verteidigen?"

Die gebürtige Pakistanerin wäre erleichtert gewesen, wenn damals, als sie mit 17 an einen Cousin verheiratet werden sollte, jemand sie dieser Beziehung „entrissen“ hätte, zum Beispiel ein österreichisches Jugendamt. Das aber musste das Mädchen, das ab seinem zehnten Lebensjahr in Österreich aufgewachsen war, aus eigener Kraft tun. Sie floh aus ihrer orthodox gläubigen Familie. Heute unterstützt die 33-Jährige mit ihrem Hilfsprojekt „Sabatina e.V.“ Opfer von Zwangsheirat. 

Mit bewundernswerter Ruhe erklärt sie deshalb Moderator Kleber: „Und es hängt davon ab, welches Wertesystem wir verteidigen wollen. Das der Flüchtlinge, in deren Herkunftsländern es leider immer noch keine rechtliche Gleichstellung für Frauen gibt – oder das Werte­system Europas, wo Frauen emanzipiert und selbstbestimmt leben dürfen.“ 

Das Oberlandesgericht Bamberg hat kürzlich entschieden, welches Wertesystem es verteidigen möchte. Sie erkannten die in Syrien geschlossene Ehe zwischen einer 14-Jährigen und einem 21-Jährigen an. Das aus Syrien nach Deutschland geflüchtete „Ehepaar“ ist schon lange kein Einzelfall mehr. Nun hat das Gericht einen Präzedenzfall geschaffen.

Die Bundesländer, in denen die Flüchtlinge anbranden, melden zur Zeit Hunderte verheiratete Minderjährige. Bis zum 31. Juli 2016 sind 1475 verheiratete Minderjährige registriert worden, davon 1152 Mädchen. 361 von ihnen sind unter 14 Jahre alt. Hinzu dürften zahlreiche Kinderehen kommen, die den Behörden gar nicht erst gemeldet werden, weil bekannt ist, dass in Deutschland Ehen mit unter 16-Jährigen verboten sind. Obwohl: Sind sie das tatsächlich noch? Das wird demnächst der Bundesgerichtshof entscheiden, dem das Bamberger Urteil vorliegt. 

Was ist mit Kinderehen, die den Behörden nicht gemeldet werden?

Der Fall: Der 21-Jährige hatte in Syrien im Februar 2015 seine 14-jährige Cousine geheiratet. Beide waren gemeinsam über die Balkanroute geflohen, im August 2015 in Deutschland angekommen und in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Aschaffenburg aufgenommen worden. Wenig später wurde das Mädchen, nach deutschem Recht offiziell noch ein Kind, vom Jugendamt in Obhut genommen und in einer Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen. 

Doch der „Ehemann“ klagte auf „Rückführung“ seiner „Ehefrau“ zu ihm. Das Jugendamt hielt dagegen: Das Mädchen zeige „noch eher kindliches bis jugendliches Verhalten“ und füge sich „im Ergebnis den Erwartungen ihrer Familie und des Be­teiligten“. Es sei außerdem zu ­befürchten, dass ungeschützter Geschlechtsverkehr zwischen den beiden stattfände und das ­Mädchen „höchstwahrscheinlich schwanger werde“. Deshalb sollten sich das 14-jährige Mädchen und der 21-jährige Mann nur zwei Stunden pro Woche unter Aufsicht treffen können. Das Amtsgericht Aschaffenburg lehnte die Klage des syrischen Mannes ab und bestätigte die Regelung, die das Jugendamt getroffen hatte. Begründung: Über diese in Syrien geschlossene Ehe werde nach deutschem Recht entschieden.

Das aber sah das OLG Bamberg anders. Die Richter zogen es vor, sich nicht mit dem deutschen Recht zu befassen, nach dem das Mindestalter für eine Hochzeit 18 Jahre beträgt und in Ausnahmefällen – die ein Fami­liengericht bestätigen muss – bei mindestens 16 Jahren liegen kann. Stattdessen wälzte man in Bamberg intensiv das syrische „Personalstatutgesetz“ und studierte die Bestätigung der Eheschließung durch das örtliche ­syrische Scharia-Gericht. Und kam zu folgendem Schluss: „Eine in Syrien nach syrischem Eheschließungsrecht wirksam geschlossene Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt 14-Jährigen mit einem Volljährigen ist als wirksam anzuerkennen, wenn die Ehegatten der sunnitischen Glaubensrichtung angehören und die Ehe bereits vollzogen ist.“ 

Eine Ehe mit Kindern - mit unseren Grundrechten vereinbar?

Das OLG Bamberg hat mit diesem Urteil einen zentralen Grundsatz außer Kraft gesetzt: Wenn ein ausländisches Gesetz gegen den „Ordre Public“ verstößt, dann darf es in keinem EU-Staat angewandt werden. Der sogenannte „Ordre Public“ sind die grundlegenden Wertvorstellungen einer Gesellschaft.

Und so ist in Artikel 6 der Einführung ins Bürgerliche Gesetzbuch (EGBGB) festgeschrieben: „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“ Und dieses Prinzip steht nicht nur im deutschen BGB, sondern auch in den Verordnungen der EU.

Letztere hatte 2008 begonnen, der Tatsache einen Riegel vorzuschieben, dass Gerichte von EU-Ländern im Familienrecht gemäß dem so genannten „Internationalen Privatrecht“ jeweils das Recht des Landes anwandten, aus dem die Streitparteien ursprünglich kamen. Ausgerechnet das Familienrecht. Dazu muss man wissen, dass das „islamische Familienrecht“ die Frau vollkommen entrechtet: Frauen haben keinen eigenen Personenstand und sind abhängig vom Vater, Bruder oder Ehemann, bleiben also lebenslang unmündig. 

Nicht nur in Deutschland hatte die ­Akzeptanz der Scharia-Gesetze zu katastrophalen Urteilen geführt. Da verneinte im Jahr 2007 das Frankfurter Amtsgericht, dass es sich bei der Misshandlung einer marokkanischen Ehefrau durch ihren Ehemann um „unzumutbare Härte“ handle, weil es in diesem Kulturkreis „nicht unüblich sei, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübt“. Da erkannte das OLG Hamm es im Jahr 2010 als gültige Scheidung an, dass der marokkanische Ehemann seine Frau „dreimal verstoßen“ hatte. Da akzeptierte das Siegburger Amtsgericht 2011 für die Einwilligung des iranischen Ehemannes in eine Scheidung, dass die Ehefrau ihm die „Morgengabe“, sprich: das Brautgeld zurückgab. Das Gericht hatte in der Verhandlung einen Mullah als Sachverständigen hinzugezogen. 

Jutta Wagner: "In Deutschland entwickelt sich eine Parallel- justiz"

Bereits 2012 hatte die Berliner Fachanwältin für Familienrecht und Ex-Vorsitzende des Juristinnenbundes, Jutta Wagner, beklagt, dass sich in Deutschland „zunehmend eine Paralleljustiz entwickelt, ausgeübt von islamischen Friedensrichtern unter Anwendung der Scharia“. Die EU will dem Einhalt gebieten, indem sie für immer mehr Rechtsgebiete festgelegt hat, dass nicht mehr die Staatsangehörigkeit der KontrahentInnen entscheidend ist, sondern ihr „gewöhnlicher Aufenthaltsort“. Doch selbst wenn auslän­disches Recht angewandt wird, gibt es eine Grenze: den „Ordre Public“. Eigentlich.

Das weiß auch das OLG Bamberg. So ­erklärte Gerichtssprecher Leander Brößler: „Die Richter müssen in einer solchen Frage den so genannten Ordre Public prüfen, also ob eine ausländische gesetzliche Regelung mit den wesentlichen Werten unserer öffentlichen Ordnung vereinbar ist. Wäre das nicht der Fall, dürfte das ausländische Recht im Inland nicht angewendet werden.“ 

Dennoch erklärte das Gericht: „Die Eheschließung in Syrien ist auch anzuerkennen, da ein möglicher Verstoß gegen Artikel 6 EGBGB (Ordre Public) dem nicht entgegensteht.“ Im Klartext: Selbst wenn die Kinderehe gegen unsere gesellschaftlichen Werte verstößt, erkennen wir sie trotzdem an.

Das war ungeheuerlich. Die Reaktionen waren entsprechend. „Das mittelalterliche Rechtsverständnis anderer Staaten widerspricht unserem Verständnis von Minderjährigenschutz“, erklärte der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU). Er wolle eine „klare Regelung, nach der im Ausland geschlossene Ehen mit unter 16-jährigen Mädchen durch unsere deutsche Rechtsordnung nicht anerkannt werden“. Auch die Reaktion des Bundesinnenministeriums war deutlich: „Wir brauchen ein eindeutiges Verbot, Kinderehen aus dem Ausland in Deutschland fortzuführen. Kinderehen schaden Kindern immer.“ Und auch aus der SPD hieß es: „Zur Ehe gehören zwei volljährige Partner.“

Seit 2009 sind kirchliche Hochzeiten auch ohne Standesamt erlaubt - ein Kardinalfehler

Wer nun aber geglaubt hatte, dass die klaren Statements auch ein schnelles Gesetz zur Folge haben könnten, irrt. Justizminister Heiko Maas (SPD) nahm sich kein Beispiel an den niederländischen Nachbarn, die das Problem schon im letzten Jahr erkannt und blitzschnell gelöst hatten: Im Eilverfahren verabschiedeten sie ein Gesetz, das Hochzeiten unter 18 Jahren seit dem 1. Januar 2016 grundsätzlich verbietet und Ehen mit Minderjährigen, die im Ausland geschlossen wurden, grundsätzlich nicht mehr anerkennt. Der deutsche Justizminister hat nun Anfang September zunächst eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die über ein potenzielles Gesetz beraten soll. 

Bei dieser Gelegenheit sollte diese ­Arbeitsgruppe auch daran arbeiten, einen Kardinalfehler aus dem Jahr 2009 rückgängig zu machen. Damals hatte Deutschland die Standesamtspflicht aufgehoben. Bis dato musste, wer kirchlich heiratete, zunächst die weltliche Ehe schließen. Seit sieben Jahren sind kirchliche Hochzeiten auch ohne Standesamt erlaubt. „Das hat zur Folge, dass auch für Muslime und ihre Imam-Ehen die Standesamtspflicht nicht mehr gilt“, klagt nicht nur Necla Kelek. Imame können also Ehen mit mehreren Ehefrauen ebenso schließen wie Erwachsene mit Minderjährigen trauen. „Kinderehen in Flüchtlings- und Migrantenfami­lien sind keine Einzelfälle“, sagt Kelek. „Und sie bewegen sich damit nicht einmal außerhalb der deutschen Gesetze.“ 

Es wird also Zeit, dass diese Gesetze ­geändert werden. Um es mit Sabatina James zu sagen: „Ich finde, in Deutschland sollten wir die Freiheit und die Selbstbestimmung der Frau verteidigen, die haben wir uns lange und hart erkämpft. Das ist in den Herkunftsländern der Flüchtlinge nicht der Fall. Und gerade deshalb müssen wir ihnen vorleben, dass eine Frau, die frei und selbstbestimmt lebt, die beste Option ist. Für alle.“

Ob die im „Koordinationsrat der Muslime in Deutschland“ organisierten Verbände das auch so sehen? Womöglich ja nicht. Keiner der vier Verbände hat das skandalöse Bamberger Urteil kritisiert.  

Chantal Louis

UN-Kampagne gegen Kinderehen: www.tooyoungtowed.org 
 

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Ist die Kopftuch-Mutter repräsentativ?

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In der Tat, die Beschimpfungen drei Wochen nach Erscheinen des Heftes – und nach einem Posting über „Altehrwürdige Eltern mit Kopftuch-Cover“ auf dem Blog Politically Incorrect, sind erschreckend. Da schreiben „braune Wirrköpfe" (Lewicki): „Ihr Verbrecher gehört alle an die Wand gestellt! Der Islam gehört euch in euren Schädel geschlagen!“ oder „Euch Arschlöcher sollte man allesamt aus Deutschland mit dieser Kalifa Al Merkel nach Syrien ausfliegen.“ Die Telefonzentrale von Gruner & Jahr wird via Telefon mit arabischer Musik zugedröhnt und Chefredakteurin Lewicki wird als „Schande für das deutsche Volk“ beschimpft, die man „vergasen“ sollte.

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Das sind mehr als "braune Wirrköpfe",
das sind echte Rassisten!

Das klingt übel. Sehr übel. Und das sind mehr als „Wirrköpfe“, das sind echte Rassisten. Und dass das widerlich ist, ist selbstverständlich.

Nicht selbstverständlich aber ist, dass eine „muslimische Mutter“ so aussieht, wie Eltern sich das vorstellt. Eine große Studie des Innenministeriums hat vor Jahr und Tag ergeben, dass 70 Prozent aller Musliminnen in Deutschland KEIN Kopftuch tragen. Und dass sogar jede zweite Muslimin, die sich selbst als „streng religiös“ einstuft, noch nie ein Kopftuch getragen hat.

Muslimin = Kopftuchträgerin, diese Gleichung ist also keineswegs Realität – sondern ein Klischee. Ein Klischee, zu dessen Verbreitung die Medien eifrig beitragen.

Verschärfend hinzu kommt: Die sympathische junge Mutter auf dem Eltern-Cover trägt nicht irgendein Kopftuch, sie trägt das islamistische Kopftuch: Das Kopftuch, das jedes einzelne Haar sorgfältig verbirgt und zu dem ein körperverhüllendes Gewand gehört. Die Botschaft dieses Kopftuchs lautet: Die Frau an sich ist sündig. Sie muss ihre „Reize“ (wie Haare und Haut) penibel verhüllen – sonst werden Männer zu Tieren und stürzen sich auf sie.

Was übermittelt eine Mutter mit islamistischem Kopftuch?

Dieses Kopftuch ist also weniger ein religöses Gebot und eher eine ideologische Botschaft. Es ist nicht islamisch, sondern islamistisch. Der politisierte Islam hat nach dem Wieder-Aufbruch 1979 einen Siegeszug durch die Welt angetreten – bis hin nach Hamburg, wo man solche Titelbilder macht. Für diesen Islamismus steht die Scharia über dem Gesetz und die Frau unter dem Mann. 

Ob also die sich so inszenierende Mutter auch „das Beste für ihr Kind“ ist, wie das Eltern-Cover verheißt, ist zu bezweifeln. Denn eigentlich ist es wünschenswert, dass dieses Kind, diese Tochter, so frei und unbeschwert aufwächst, wie ihre deutschen Freundinnen – und nicht von klein an ein Frauenbild präsentiert bekommt, nach dem die Frau Sünde ist und sich zu verhüllen und unterzuordnen hat. 

Oder?

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