100 bis 150 Transsexuelle lassen sich allein in Deutschland jährlich operieren. Ebenso viele aber behalten ihren Körper und wechseln nur die soziale Identität. Die Fälle von Frauen, die Männer werden, steigen. Vor 20 Jahren lautete die Schätzung noch: eine Frau-zu-Mann auf vier, fünf Männer-zu-Frauen. Heute lautet die Schätzung: eine auf ein bis zwei. In Deutschland leben zur Zeit etwa drei- bis sechstausend Transsexuelle, vermutet Prof. Pfäfflin, der in den letzten 14 Jahren selbst über 600 therapiert hat.
Aber was wird da eigentlich therapiert und operiert? Was ist ein Mann? Und was eine Frau? Den meisten Menschen ist eine, zumindest phasenweise, Geschlechtsirritation nicht fremd kein Wunder in einer Gesellschaft, in der Menschen nicht einfach Menschen sein dürfen, sondern Frau oder Mann sein müssen. Und aufschlussreich, dass die Sehnsucht von Frauen, ein Mann zu sein, auch von Experten keineswegs zwangsläufig als krankhaft angesehen wird.
Es gilt im Patriarchat als "normal", aus der weiblichen Enge zu den männlichen Freiheiten zu streben. Was einer der Gründe dafür sein wird, warum die (aufsteigenden) Frau-zu-Mann-Transsexuellen den Schritt im Schnitt etliche Jahre früher tun als die (absteigenden) Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Dennoch waren bis vor kurzem vor allem Männer, die Frauen werden, im öffentlichen Bewusstsein.
Es ist neu, dass auch von Mann gewordenen Frauen die Rede ist. Und ganz neu ist, dass Feministinnen, die Männer wurden, sich zu Wort melden. Denn bisher hatten die Frau-zu-Mann-Transsexuellen es schwerer, auch bei den Experten: "Die wollen den Frauen einfach keinen Penis geben", konstatiert Marjorie Garber in ihrem Buch über den Cross dressing, den Rollentausch, trocken.
Doch warum genügt nicht der Cross dressing, warum muss ein Body cross sein? Und gäbe es überhaupt Transsexuelle, wenn die Geschlechterrollen nicht so enge Käfige wären und die moderne Medizin den Körperwechsel überhaupt erst denkbar und möglich machen würde? Aus vergangenen Jahrhunderten sind uns viele Fälle überliefert von Männern, die als Frauen gelebt haben; ebenso von Frauen, die als Männer gelebt haben.
Die Gründe sind vielfältig. Frauen sind in Männerkleider geschlüpft, um den Gefahren des Frauseins zu entgehen; um Männerberufe auszuüben oder auf Abenteuerreisen zu gehen; oder einfach, um Frauen lieben oder sogar heiraten zu können wie Bill Tipton vom Tipton-Trio, dessen wahres Geschlecht zur Fassungslosigkeit von Ehefrau und seinen drei (Adoptiv)Söhnen erst bei seinem Tod 1988 entdeckt wurde. Und der, wie viele andere, den genitalen Kontakt mit seiner Frau unter dem Vorwand einer Krankheit mied. Frauen schlüpfen aber auch in Männerkleider, weil sie sich einfach als Mann fühlen. Ist das der Beginn der Transsexualität?
Prof. Goren, der in Holland einen Lehrstuhl für Transsexualität hat, ortet die ersten Anzeichen schon viel früher. Er sagt zum "Spiegel": "Wenn ein Mädchen seine Puppen verschenkt, mit Autos und technischen Baukästen spielt und Jungenbücher liest, sollten die Eltern beim Psychologen vorsprechen." Ein solches Zitat macht schlagartig die Gefahren der Rehabilitierung des Transsexualismus klar. Die richtige Seele im richtigen Körper. Und wenn was nicht passt, dann wird nicht der Seele Raum gegeben, sondern der Körper wird zurechtgestutzt. Ruckediguh, ruckediguh, Blut ist im Schuh ...
Das "transsexuelle Imperium" nennt Janice Raymond die Psychologen und Ärzte, die den Schritt von einem Geschlecht ins andere begleiten und möglich machen. Ein Imperium, das auch dafür sorgt, dass Frauen Frauen bleiben und Männer Männer, notfalls mit dem Messer. "Wenn ein Mädchen seine Puppe verschenkt ..." Da müssten aber viele Mädchen unters Messer! Den meisten würde der Griff zum Jungenspielzeug vermutlich schon vorher austherapiert. Und den puppenspielenden Jungen nicht minder...
Vor einigen Jahrzehnten stand die Geschlechtsidentitätsforschung noch an der Spitze des Fortschritts, denn sie war bereit, die Abweichung der seelischen Geschlechtsidentität (gender) von der biologischen Identität (sex) zu erkennen. Heute läuft dieselbe Wissenschaft Gefahr, sich vor den Karren des Rückschritts spannen zu lassen: nämlich ihre Kenntnisse zur Geschlechterdressur statt zur Geschlechterbefreiung einzusetzen. Kritik tut not. In der Praxis aber muss es erlaubt bleiben, zu leben, wie's gefällt.
Dabei ist die Palette der Abweichungen breit. Manchen genügt die Freiheit zur "Unweiblichkeit" oder "Unmännlichkeit". Andere genießen die Ausflüge ins andere Geschlecht, den dress cross statt body cross. Wobei die männlichen Transvestiten von denen die meisten heterosexuell sind! ihren Schlupf in die Frauenkleider meist erotisch zu besetzen scheinen, die weiblichen Transvestiten ihren Ausflug in den Männerhabit eher sozial genießen. Wen wundert's.
Transsexuelle aber gehen weiter. Sie wollen im anderen Geschlecht nicht zu Gast sein, sie wollen das Andere sein. Das ist eine Tatsache auch wenn es wünschenswert bleibt, dass ein Mensch seinen Körper nicht verändern muss, damit er zur Seele passt. Das EMMA-Dossier über Transsexualismus beginnt mit einem Gespräch mit einer Frau (die Mann war) und einem Mann (der Frau war). Und es endet mit einem Porträt von einem Menschen, der nicht wissen will, was er ist.
Kommentare
Männer und Frauen haben unterschiedliche Gehirne
Hallo,
In einem Post habe ich gelesen, dass es keinen Unterschied in den Gehirnen von Männer und Frauen gibt. Das ist falsch! Und ich möchte erklären warum:
Ein Kind kommt meistens mit einem Penis oder mit einer Scheide auf die Welt. Das Kind mit Penis wird als junge und Mann bezeichnet und das Kind mit Scheide bezeichnen wir als Mädchen und Frau.
Interessant ist die Beobachtung, dass die meisten Menschen in zwei Gruppen zerfallen: die einen sind stolz auf ihren Penis, Bart und Tiefen stimme und würden nie eine Scheide und Busen haben wollen. Im krassen Gegensatz dazu denken die Menschen mit Scheide ganz anders. Sie sind zufrieden mit ihrer Scheide, Busen und würden niemals einen Penis haben wollen. Für die Menschen mit Scheide ist es sogar völlig absurd, dass sie Testosteron nehmen würden, damit sie einen Stimmbruch haben.
Woher kommt dieser Unterschied? Und warum stimmt dieser Unterschied bei fast jedem Menschen mit seiner genitalienausstattung überein?
Vorsicht... - Teil 2
Wie dem auch sei, mir ist der Unterschied zwischen Transgender und Transsexualität durchaus bewusst und bin mir trotzdem unsicher, inwieweit Transsexualität nicht doch aus der gesellschaftlichen Erwartungshaltung entsteht, was Weiblichkeit und Männlichkeit zu sein hat. Und mal ehrlich, selbst wenn Transsexualität nicht biologisch festgelegt ist, würde es die Anliegen von Transsexuellen nicht weniger berechtigt machen. Es ist kaum verwunderlich, dass Menschen, deren Charakter so gar nicht der sozialen Rolle entspricht, sich wünschen, sie hätten das jeweils andere Geschlecht. Manchen mag es reichen, nur den Personenstand zu ändern, anderen wiederum nicht. Wer deswegen eine OP durchführen lässt, ist nicht gestört, nur weil man diesen Wunsch auf äußere gesellschaftliche Einflüsse zurückführen kann - es zeigt nicht, dass die Person krank ist, sondern es zeigt, wie krank unsere Gesellschaft ist.
Vorsicht... - Teil 1
Hier auf einmal mit "weiblichen" und "männlichen" Gehirnen zu argumentieren sehe ich als äußert gefährlich an. Die Behauptung, NeurowissenschaftlerInnen könnten an Gehirnen von Toten ablesen, ob diese weiblich oder männlich waren, ist schlichtweg falsch. Die Neurowissenschaft steckt noch in den Kinderschuhen und wurde die letzten Jahre nur allzu gerne dafür benutzt, um Geschlechterunterschiede zu legitimieren und Frauen zu diskriminieren.
Und nochmal zum Mitschreiben: auch aus neurowissenschftlicher Sicht gibt es KEINE weiblichen oder männlichen Gehirne, die von Geburt an unterschiedlich funktionieren würden. Die Unterschiede, die in der Vergangenheit gemessen wurden, sind nicht nur äußerst gering und konnten bei weiteren Studien oftmals nicht mehr nachgewiesen werden, sondern können allesamt auch auf soziale Prägung zurückgeführt werden.
Vermeintlicher Notnagel Gehirn
Eben das, was du "weibliches Gehirn" nennst, sind Charaktereigenschaften, die der weiblichen Rolle entsprechen & die man deswegen "weiblich" nennt. Und weil das Kind früh lernt: "das, was ich bin, muss ich weiblich nennen", identifiziert es sich dann so. Das Gehirn ist die biologische Hardware für Gedanken & Charaktereigenschaften - jd der rausfindet, dass Depressionen auch im Hirn zu finden sind, erzählt nichts neues. Ebenso wie auch Prägungen und Charaktereigenschaften dort zu finden sind - der Neurowissenschaftler kann nur sagen: guck mal, da ist das. Eine Benennung wie "weiblich" rechtfertigen, kann er nicht. Was ist damit bewiesen, außer, dass manche Charaktereigenschaften angeboren sind? Und die der weiblichen Rolle entsprechen? Eben, nichts neues.
Das einzig weibliche, was ein "weibliches Gehirn" haben kann (ohne Rolle) ist die hormonelle Verbindung zu den Geschlechtsorganen & die *kann* auch nur ab Pubertät durch vorhandene weibliche Geschlechtsorgane ausgelöst werden.
hilfreich...
Vielleicht ganz hilfreich, dieser Link: http://www.trans-kinder-netz.de/medizinisches.html
Es gibt „Pubertätsblocker“. Davon wusste ich auch noch nichts. Auf jeden Fall sinnvoller, als Kinder/Jugendliche sofort zu einer Hormonbehandlung zu raten. LG Violine
Die Freiheit zu wählen...Teil II
Die Not in einem „falschen“ Körper zu leben, kann ich sehr gut nachvollziehen. Einem Kind zu einer überstürzten OP zu raten finde ich allerdings „fahrlässig“. Das Rollenmuster zu durchbrechen u. als ersten Schritt in diesem Umwandlungsprozess das Leben eines Jungen zu leben, sehe ich als optimalen Weg. So wie es auch Alice in ihrer Antwort geschrieben hat. Sich die Freiheit nehmen, so zu leben wie es gefällt, ob als Junge oder Mädchen. Einen erneuten Druck aufzubauen, indem hier vehement zur OP gedrängt wird macht das Ganze zu einem Zwang u. artet fast schon in eine Form der Bevormundung aus, was „falsch oder richtig“ wäre. Es gibt kein „falsches Geschlecht“. Es gibt die Wahl zwischen meinem Körper oder einem anderem Geschlecht, was mit mir persönlich konform geht oder nicht. Druck verschärft die ganze Situation noch. Die Freiheit zu wählen macht wirklich frei. LG Violine
Ein 16-jähriges Kind...Teil I
„Sie denkt darüber nach“... Es ist schon ziemlich absurd Alice Schwarzer Diskriminierung u. Chauvinismus zu unterstellen, wenn sie auf einen Brief persönlich eingeht u. sich auf deren Inhalt bezieht. Einige scheinen vergessen zu haben, dass Alice sich schon sehr früh mit der Thematik beschäftigt hat. http://www.emma.de/artikel/das-dritte-geschlecht-264335 Aus dem Brief lese ich heraus, dass das Kind (damals noch Mädchen) sich als Lesbe geoutet hat mit ca. 14 Jahren u. nun mit 16 Jahren darüber „nachdenkt“ Hormone zu nehmen. Ich war in dem Alter in einer ähnlichen Situation. Ein Alter, in dem sich meine Persönlichkeit erst entwickelt hat. Nie im Leben würde ich einem 16-jährigen Kind empfehlen sich umoperieren zu lassen. Es gibt ja leider schon die Tendenz Kinder dabei zu unterstützen sich als Teenager die Brüste vergrößern zu lassen. Wenn die ganze Umwandlung sowieso ein langjähriger Prozess ist, dann beginnt es doch erstmal damit als Junge zu leben...
@Feminismus
Ich habe mich schon mit einigen Feministinnen darüber unterhalten, was leider meistens damit endete, dass ich mich für den "Rassenverrat" rechtfertigen sollte. Ich verstehe nicht, wieso so viele Menschen das nicht auseinanderhalten können. Transsexualität per se hat mit alldem nichts zu tun. Es gibt auch Transfrauen, die lesbisch sind. Und feministisch. Und kurze Haare haben, in Hosen herumlaufen und als Schlosser arbeiten. (Ja, das war jetzt überspitzt dargestellt, um zu verdeutlichen, dass die eben nicht in weiblichen patriarchaischen Rollenbildern leben, OBWOHL sie immer wussten, dass sie eine Frau sind.) Daraufhin meinten Feministinnen stets zu mir "Ich weiß ja gar nicht, ob ich eine Frau bin, woher soll ich das denn wissen?" Ganz einfach, werde im falschen Körper geboren - DANN weißt du es. Diese Ebene hat eben nur etwas mit der Struktur im Gehirn zu tun und nicht mit Geschlechterklischees, etc...
Noch ein Nachtrag
Transsexualität entsteht, da sind sich die meisten Forscher inzwischen einig, in den ersten Wochen im Mutterleib. Erstmal sind alle Menschen weiblich, dann entwickelt sich die Hälfte zu Männern. Bei einigen wenigen bleibt das Gehirn weiblich und der Körper entwickelt sich zum Mann, oder das Gehirn entwickelt sich alleine und der Körper bleibt weiblich. Eine Laune der Natur, am ehesten noch mit einer "körperlichen Behinderung" gleichzusetzen, aber nicht mit einer psychischen Störung. Das Gehirn ist dem Körper übergeordnet, in vielerlei Hinsicht, von daher definiert eben NICHT das Geschlechtsteil wer wir sind, sondern das Gehirn (nicht zu verwechseln mit "Charakter", das ist wieder was völlig anderes). Und wenn das beides nicht passt, ist das ein Leidensdruck, der für Außenstehende nicht zu verstehen ist. (Bei Interesse: Berichte über die Experimente, etc, finden sich bei google, aber bitte auf hochwertige Quellen achten.)
@Leandra
Transsexualität als solches hat NICHTS mit Geschlechterrollen oder gar Charakter zu tun. Es gab Experimente, in denen Gehirne von Transsexuellen, die ihre Körper nach ihrem Ableben der Wissenschaft zur Verfügung stellten, untersucht wurden. Und es kam dabei heraus, dass z.b. das Gehirn einer Transfrau (als Mann geboren) von der Struktur her dem einer biologischen Frau entspricht und nicht dem eines biologischen Mannes und zwar von Geburt an! Das ist völlig unerheblich für Geschlechterrollen und soll den Feminismus auch gar nicht einschränken, im Gegenteil. Es stellt nur eine Metaebene da, über Geschlechtsteilen und über Geschlechterrollen.
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