Ask Alice!

Ask Alice! Wer sitzt in den Talkshows?

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Lieber Manfred Schneidereit,

ja, das frage ich mich auch so manches Mal: Wie kann es angehen, dass seit Jahren zu jeder deutschen Talkshow über Prostitution zwar Bordellbetreiber und so genannte „freiwillige Prostituierte“ eingeladen werden (die ja nichts anderes sind als die Lobbyistinnen der Sexindustrie) – aber die wahren Seiten der Prostitution kaum je thematisiert werden? Die TV-MacherInnen nennen das „kontrovers besetzen“ und „kritischer Journalismus“. In Wahrheit ist es natürlich nur ein die Realität verharmlosendes bzw. verdeckendes Spektakel.

Ich war jüngst in einer Talkshow im Schweizer Fernsehen, CLUB 2, zum Thema Islamismus. Das wird ja in deutschen Talkshows grundsätzlich ähnlich tendenziös besetzt wie die Prostitution: nämlich quasi immer mit einer glücklichen Kopftuchträgerin und einem Vertreter der konservativen bis islamistischen Verbände (die übrigens nur sieben Prozent der MuslimInnen in Deutschland repräsentieren). Diese Schweizer Talkshow war wunderbar differenziert und durchaus auch kontrovers. Nicht alle waren einer Meinung, auch zum Kopftuch nicht. Aber die Differenzen waren interessant und konstruktiv und nicht destruktiv. Danach hat mir sogar der Repräsentant des islamischen Verbandes in der Runde einen herzlichen Brief geschrieben: Er hoffe, dass wir im Gespräch bleiben.

Bei der Prostitution verhält es sich ähnlich. Nicht selten sind diese Talkshows die reinen Werbesendungen für diejenigen, die von der Prostitution profitieren – und das sind nicht die Hunderttausende von Elendsprostituierten aus Osteuropa, die in Deutschland anschaffen. Und prostitutionskritische Stimmen wie ich müssen schon ganz schön kämpfen, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Einen Erkenntnisgewinn bringen solche Showsendungen nicht.

Warum ist das so? Ist es vorauseilender Gehorsam von JournalistInnen, die in einer Welt arbeiten, in der überwiegend Freier das Sagen haben? Gibt es Netzwerke? Sind das Anordnungen „von oben“? Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Denn eines ist klar: In der Frage der Prostitution sind die Medien rückschrittlicher als die Menschen. Die Menschen sind, nach vielen bitteren Informationen (aus den wenigen kritischen Veröffentlichungen und Sendungen) und Debatten inzwischen auch in Deutschland eher kritisch in Sachen Prostitution.

Mit lieben Grüßen
Alice Schwarzer

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