Diskriminierung: Die SWANs wehren sich!
So ein Netzwerk aus Frauen um sich herum zu haben, denen es geht wie ihr und die sie verstehen, sei wichtig für sie, erzählt Lina Baldus. Die Eltern der Literaturwissenschaftlerin sind einst aus politischen Gründen aus dem Iran geflohen, und an den deutschen Universitäten ist sie sehr allein mit ihrer Zuwanderungsgeschichte. „Ich kenne nicht eine einzige Professorin, die Migrationshintergrund hat. Es fehlt an Vorbildern. Und das ist nicht zu unterschätzen.“
Als sie die Swans-Initiative fand, war sie erleichtert. „Ich habe mich direkt darin wiedergefunden und war so glücklich, dass es dieses Netzwerk gibt.“ Ein Team von sieben Frauen, alle zwischen Mitte 20 und Anfang 30, steckt hinter den Swans: Die Initiative setzt sich ein für einen gerechteren Arbeitsmarkt für im deutschsprachigen Raum aufgewachsene Studentinnen, Absolventinnen und junge Berufstätige mit Zuwanderungsgeschichte, Schwarze Frauen und Women of Color. Sie bietet Seminare und Webinare an, einen Bewerbungscheck, Mentoring und Coaching. Und ganz wichtig: Swans ist eine Gemeinschaft, in der sich die „Schwäne“ austauschen und langfristig miteinander in Verbindung bleiben können. Rund 500 Frauen sind inzwischen im Netzwerk, eine von ihnen ist Lina Baldus.
Jede dieser Frauen könnte Geschichten erzählen von Diskriminierung. „Wenn man mit anderen spricht, sieht man, dass nicht ich selbst das Problem bin, sondern dass es etwas Strukturelles ist“, sagt Regina Sandig, eine der sieben Frauen, die für Swans ehrenamtlich arbeiten. „Das spart Energie, die wir für etwas anderes nutzen können.“
Sandig, deren Eltern aus Ghana stammen, erzählt, was ihr passierte – und was sie zunächst für Einzelfälle hielt: Als sie zum Beispiel bei einem Job vor einigen Jahren eines Morgens zur Arbeit kam und eine andere Frisur hatte, keine Haarverlängerung wie vorher, sondern ihre natürlichen lichen krausen Haare, rief eine Kollegin: „Darf ich mal?“ Und ehe Sandig antworten konnte, fasste ihr die Frau bereits ins Haar. „Ich war total perplex, es war einer dieser Momente, in denen es einem die Sprache verschlägt“, sagt sie. „Schwarze gelten immer noch als exotisch, wir unterliegen anderen Regeln.“ Bei einem Abschied nach einem erfolgreichen Praktikum etwa hielt der Chef eine kleine Rede auf sie. „Ja, Frau Sandig, Sie haben ganz schön Farbe in unser Team gebracht“, sagte er. Keine Kollegin und kein Kollege wies ihn darauf hin, dass so ein Spruch ziemlich daneben ist.
Diskriminierung ist oft nicht explizit böse gemeint, tut aber trotzdem weh und zeigt, dass davon ausgegangen wird, dass der andere nicht dazu gehört, sagt Swans-Geschäftsführerin Martha Dudzinski. Wer so stigmatisiert wird, hat es schwer im Beruf. „Wer immer das Gefühl hatte, einen Platz am Tisch zu erhalten, hat eine ganz andere Anspruchshaltung, ein ganz anderes Selbstverständnis“, sagt die 32-Jährige, deren Familie aus Polen stammt und die sich am Anfang ihres Studiums zunächst nicht traute, sich auf die besten Praktikumsplätze zu bewerben. „Wir wollen einen Raum bieten, wo man das überwinden kann.“
Vor den Swans gab es keine Hilfsangebote, die exakt auf Frauen zugeschnitten sind, die gleich wegen mehrerer Faktoren diskriminiert werden: Weil sie Frauen sind, weil sie eine Zuwanderungsgeschichte haben, einen anderen ethnischen oder religiösen Hintergrund, oft sind sie dazu noch Arbeiterkinder und die ersten in ihrer Familie, die studiert haben. „Dann hat man einfach ein anderes Auftreten als die Kieferorthopäden-Töchter“, sagt Martha Dudzinski.
Menschen mit Migrationshintergrund haben im Beruf viele Nachteile – und das, obwohl genauso viele von ihnen im Alter von 25 bis 34 Jahren einen Hochschulabschluss haben wie Menschen ohne Migrationshintergrund, nämlich 26 Prozent. Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks studierten 2016 in Deutschland etwas mehr als 215. 000 Frauen mit Migrationshintergrund und 421 .000 zwischen 18 und 36 Jahren hatten einen akademischen Abschluss, insgesamt gibt es heute also 636.000 hochqualifizierte Frauen mit Migrationshintergrund – alle potenzielle Schwäne.
Finanzierung für die Swans-Initiative kommt inzwischen unter anderem von der Robert Bosch Stiftung. Außerdem arbeitet sie mit Arbeitgebern wie McKinsey und der internationalen Wirtschaftskanzlei Skadden zusammen.
Regina Sandig ist ein Arbeiterkind. Sie ist in Deutschland geboren, studierte Geschichte und Sozialwissenschaften in Berlin und London und war Stipendiatin der „Studienstiftung des deutschen Volkes“, heute arbeitet sie als Trainee bei der BMW Foundation Herbert Quandt. „Wir alle sind hier aufgewachsen, haben uns durch die Schule gekämpft, beste Leistungen erbracht, sind Akademikerinnen geworden“, sagt die 26-Jährige. „Beim Einstieg in die Arbeitswelt ist uns allen dann aufgefallen, dass es doch bestimmte Nachteile gibt, die wir gemeinsam haben, dass es diese Fremd-Markierungen gibt.“
In der Wissenschaft geht es Lina Baldus, die früher Lina Azazil hieß, genauso. „Eine Frau mit schwer auszusprechendem Namen hat es wesentlich schwerer, in der Wissenschaft Fuß zu fassen, als eine deutsche, weiße Frau.“ Auch die Fluchtgeschichte ihrer Eltern und die Tatsache, dass sie die erste Akademikerin in ihrer Familie ist, prägten sie. „Das Credo Nummer eins war Sicherheit, finanzielle Sicherheit“, sagt sie.
Deutsche Universitäten bieten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oft nur befristete Stellen mit unklarer Zukunft und schlechtem Gehalt. Deshalb wenden sich viele Frauen mit Zuwanderungsgeschichte von Forschung und Lehre ab und suchen sich sicherere Jobs. Die Folge: „Die Wissenschaft spiegelt nicht die Vielfalt der Gesellschaft wider“, sagt Baldus. „Wissenschaft ist ein weißer, ableistischer, rassistischer, sexistischer, klassistischer Elfenbeinturm. Das macht mich traurig und wütend.“
Doch sie will nicht nur traurig und wütend sein, sie will etwas tun – darum ist sie Mentorin an der Uni Trier sowie stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte und deshalb engagiert sie sich bei den Swans. „So ein Netzwerk hilft, um das System so lange zu ertragen, bis sich etwas ändert.“
KATHRIN WERNER
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