NSU-Opfer: Kampf um Aufklärung

Demo der Angehörigen am Tag der Urteilsverkündung. - Foto: Aysun Bademsoy
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Der NSU-Komplex: Das waren Morde von Männern an Männern, übrig blieben Frauen. Aber es ist das Bild nur einer Frau, das die öffentliche Wahrnehmung des Nazi-Terror-Netzwerkes prägt: Das Beate Zschäpes. Auf der anderen Seite stehen die Witwen und Töchter der Mordopfer. Ihnen widmete sich der Kongress „Das bleibt!“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin am Wochenende. Eine Installation, Gespräche und Workshops drehten sich um die vielen Fragen der Hinterbliebenen, die auch ein Jahr nach dem NSU-Prozess immer noch offen sind.

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Im Foyer laufen auf mehreren Bildschirmen Filmausschnitte. Viele stammen aus dem Dokumentarfilm „Spuren“ der Filmemacherin Aysun Bademsoy, der voraussichtlich im Oktober erstmals vor Publikum gezeigt wird. Sie hat auch, gemeinsam mit der Aktivistin Ayşe Güleç, die Veranstaltungen rund um den ersten Jahrestag des Urteils gegen Beate Zschäpe und Helfer konzipiert.

Enttäuschte Hoffnungen beim NSU-Prozess

Das Urteil war mehr als eine Enttäuschung, berichten die Hinterbliebenen Adile und Semiya Şimşek, sowie Elif Kubaşık auf dem Podium. „Ich bin mit viel Hoffnung in den Prozess gegangen, am Ende bin ich weinend rausgegangen,“ sagt Semiya Şimşek, die Tochter des ersten Mordopfers. Ihr Leben mit dem Mord hat sie in dem Buch „Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater“ verarbeitet. Es ist vor allem ein Fragenkomplex, der die Angehörigen umtreibt: Warum gerade unser Vater, Mann, Bruder? Wer hat die Opfer ausgesucht? Wer waren die Hintermänner vor Ort? Begegnen wir ihnen womöglich noch auf der Straße?

Die Frauen erzählen, wie ihre Familien jahrelang - bis zum Auffliegen des NSU im November 2011 - unter Verdacht standen, observiert und abgehört wurden, weil die Polizei annahm, der Mörder stamme aus dem nahen Umfeld. Doch auch noch während des Prozesses gegen den NSU erlebten die Familien Ignoranz vom Staat. So habe man im Prozess ausführlich die Familiensituation des NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben erörtert, sagt Semiya – Wohlleben kam kurz nach Prozessende auf Bewährung frei. Ein Argument dafür waren seine zwei Kinder. „Aber auf unsere Familiensituation wurde überhaupt nicht eingegangen. Am Ende hat der Richter allen gedankt, (die am Prozess mitgewirkt haben,) nur uns nicht.“

Die Frauen der NSU-Opfer vernetzten sich schon 2006 und trugen maßgeblich zur Aufklärung bei.
Die Frauen der NSU-Opfer vernetzten sich schon 2006 und trugen maßgeblich zur Aufklärung bei.

Dabei haben die Familien maßgeblich zur Aufklärung der Fälle beigetragen, ist die Filmemacherin Aysun Bademsoy überzeugt. Insbesondere die Frauen fingen schon früh an, sich zu vernetzen. 2006 organisierten sie die Demonstration „Kein 10. Opfer!“ in Kassel. Sie hatten so viele Parallelen bei den Morden zusammengetragen, dass es für sie keinen Zweifel gab, dass Rechtsextreme dahintersteckten. Da tappte die Polizei noch im Dunkeln. „Ohne die Frauen und ihre Rechtsanwältinnen wäre nicht ein Drittel von dem, was wir jetzt wissen, aufgedeckt worden,“ glaubt Bademsoy.

Unter anderem haben die Angehörigen die Rekonstruktion der Situation im Internetcafé, in dem Halit Yozgut 2006 ermordet wurde, bei der britischen Agentur Forensic Architecture in Auftrag gegeben. Nachbau und exakte Telefon- und Einlogdaten ergaben, dass der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme, der zur Zeit des Mordes oder kurz davor im selben Internetcafé auf einer Datingwebsite surfte, nicht die Wahrheit ausgesagt haben kann. Das Gericht hatte es zuvor nicht für nötig befunden zu einem Ortstermin nach Kassel zu reisen, um die Aussagen Temmes zu überprüfen.

Wie mit der Heimat Deutschland Frieden machen?

Bei der Veranstaltung ging es auch darum, wie die Angehörigen mit Deutschland ihren Frieden machen können – das Land, das sie als Heimat betrachten. Tonbandaufnahmen ergänzen die Podiumsdiskussion. Auf einer erzählt Aysen Tasköprü, die Schwester des in Hamburg-Altona ermordeten Süleyman Tasköprü, wie sie 2013 die Einladung des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck ablehnte. Denn ihre Bitte, ihre Anwältin ins Schloss Bellevue mitzubringen, wurde abgelehnt. Alleine fühlte sie sich dem Empfang nicht gewachsen. Sie berichtet auch, wie die Krankenkasse ihre Krankschreibung wegen Depression in Frage stellte und die Arbeitsagentur ihren Aufenthaltsstatus überprüfte.

„Für die Ehefrauen ist alles zusammengebrochen“, erklärt Bademsoy im Interview auf die Frage, warum es gerade Frauen waren, die sich an die Spitze der Angehörigen stellten und vernetzten. „Sie haben nicht nur ihren Mann verloren, sondern oft auch das Familienunternehmen. Die Mordopfer waren alle Kleinunternehmer, kein einziger Arbeiter war darunter.“

Aysun Bademsoy hat über die Angehörigen der vom NSU Ermordeten den Film "Spuren" gemacht. - Foto: W. Borrs
Aysun Bademsoy hat über die Angehörigen der vom NSU Ermordeten den Film "Spuren" gemacht. - Foto: W. Borrs

Aber auch die Töchter und Schwestern erhoben ihre Stimmen. Nur einen Sohn lässt Bademsoy in ihrem Film ausführlich zu Wort kommen. „Ich habe bei meiner Beschäftigung mit dem Thema festgestellt, dass die Frauen viel klarer ihre Forderungen formuliert haben, dass sie viel stärker auftraten.“

Wie verharmlosend und verachtend die gesamten Untersuchungen über sechs Jahre geführt wurden, zeigte sich vor allem in der Berichterstattung der Medien: Als "Dönermorde" oder als "Mordserie Bosporus" gingen sie von der linksliberalen taz über die Süddeutsche bis zum Spiegel und zu Spiegel Online in die Geschichte ein.

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