EMMA, Alice und Beate
Eine überdimensionale, stilisierte Margerite schmückt die Wand gleich neben der Eingangstür des „Sex-Ecks“, wie ihr Verwaltungsgebäude in Flensburg ironisch genannt wird. Was die Besucher hinter der Tür erwartet, schildert Tempo-Reporter Helge Timmerberg wohlwollend so: „Hell, von Licht und Freude durchflutet, und wo das Auge hinfällt, nur zufriedene Gesichter, (...) und ständen da nicht als Raumteiler all jene Pappfiguren oder Pornostars dazwischen, die Sexkalender, Filmposter und Vibratorenarrangements, dann könnte man glauben, in einem Haus zu sein, das skandinavische Kindermöbel unter das Volk bringt.“ Oder Naturkost.
Beate Rotermund-Uhse, die „kleine Klare aus dem Norden“ (Zeit), legt es darauf an, sauber, frisch und durch und durch gesund zu wirken. Deswegen nannte sie ihren ersten Sexshop „Fachgeschäft für Ehehygiene“. Und deswegen spricht sie, wenn es um Pornographie geht, gern von „sexualgymnastischen Übungen in Glanzpapierheften, Filmen oder auf Video-Kassetten.“ Ihr Unternehmen beschreibt Beate Uhse so, wie sie sich wohl auch selbst charakterisieren würde: „vital, leistungswillig und beweglich“. Es trage dazu bei, „menschliches Glück und körperliche wie seelische Harmonie im Bereich der Sexualität zu finden“.
Aus der einstigen Bomber-Pilotin Beate Uhse, geborene Köstlin, die Ende des Zweiten Weltkriegs „im Range eines Hauptmanns“ (Uhse) für Hitlers Luftwaffe Jäger und Stukas in ihre Einsatzgebiete flog, ist die Porno-Produzentin Beate Uhse, geschiedene Rotermund, geworden. Die Chefin eines Konzerns, der laut Werbeprospekt „heute mit Abstand das größte und bedeutendste Unternehmen seiner Art nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt“ ist. Aus dem „Hauptmann der Luftwaffe“ wurde der „General der Lustwaffe“ (Penthouse).
Ihr erster Sexshop: ein "Fachgeschäft für Ehehygiene"
Als die Pilotin Uhse 1944 Sturzkampfbomber vom Typ Ju 87 sowie die Jäger Me 109 und FW 190 an die Ostfront transportierte, suchten andere Frauen unten auf der Erde in den Trümmern nach ihren Kindern. Und als die Pilotin Uhse im Frühjahr 1945 auf dem Düsenjäger Me 262 übte, wurden andere Frauen von den vorrückenden, alliierten Soldaten vergewaltigt. Ganz so, wie Uhses deutsche „Kameraden“ zuvor polnische, sowjetische, französische und holländische Frauen vergewaltigt hatten.
Beate Uhse, die bei ihrer ersten Karriere nie „das Problem hatte, dass mir Männer Knüppel zwischen die Füße schmissen oder so“, dankt es ihnen bei ihrer zweiten Karriere mit der perfekten Frau, der „Po-Puppe“: „Alle Vorzüge einer echten Liebesdienerin bringt ihm diese stets willige, aber schweigsame Lust-Puppe (…) Sie hat einen willigen Mund. Sie hat einen anschmiegsamen, phantastisch geformten Körper. Sie hat eine fordernde Vagina. Sie hat einen einladenden Anus für ungewöhnliche Spiele.“
Beate Uhse, die Frau im Männerberuf, die 70 verschiedene Flugzeugtypen fliegen konnte, hat heute 70 verschiedene Vibratorentypen im Programm (stufenlos regelbar und batteriebetrieben). Nach dem Zweiten Weltkrieg lehrte die Tabubrecherin Beate Uhse die von Hitler zu reinen Gebärmaschinen degradierten Frauen mit als erste wieder das Kinder Verhüten. Heute lehrt sie die Männer das Frauen-Verachten mit den, so der Spiegel, „schärfsten Sexfilmen der Republik (Titelbeispiel: ‚Gierig, geil und nimmersatt‘).“ Und sie rühmt sich: „Wir haben durch unsere Arbeit dazu beigetragen, dass der Gesetzgeber 1975 die Pornographie für Erwachsene freigegeben hat.“
Beate Uhse: immer dabei. „Stets auf der Suche nach neuen Trends und erfolgsversprechenden Wegen“, so heißt es heute im Werbeprospekt der Firma Uhse, und genau das ist auch die Lebensdevise der Chefin, die als Beate Köstlin am 25. Oktober 1919 im ostpreußischen Wargenau auf einem Gutshof geboren wurde.
Uhses Mutter war eine der ersten Ärztinnen Deutschlands
Im Gegensatz zu vielen anderen Karrierefrauen war sie keine Vater-Tochter. Sie hat sich an ihrer Mutter orientiert, auf die sie besonders stolz ist. Und das mit Recht. „Meine Mutter“, erzählt die 69jährige Pornoverkäuferin aus Flensburg, „war eine der ersten Ärztinnen in Deutschland und hatte es damals wirklich noch richtig schwer.“ Im Gegensatz zur Tochter, die von sich behauptet: „Zu jeder Zeit habe ich mich vollkommen gleichberechtigt gefühlt.“ Mutter Köstlin aber hat sich auf der Uni anhören müssen, wie die Professoren maulten: „Wenn die Langhaarigen hier nicht verschwinden, lesen wir nicht.“ Uhse: „Mit so einer Mutter hatte ich es natürlich unheimlich gut. Sie hat mich frei erzogen.“ Und sogar auf die Odenwaldschule geschickt, eine koedukative Reformschule, die 30 Jahre später auch Daniel Cohn-Bendit besuchte und die 1934 von den Nazis geschlossen worden war. Ein Lebenslauf, wie aus dem EMMA-Bilderbuch.
Aber so frei war die Erziehung dann auch wieder nicht. Denn als die 15-jährige Beate mit der Schule fertig war und sich in die Lüfte erheben wollte („Schon als kleines Mädchen wollte ich Pilotin werden“), sagte die Mutter: „Erst machst du eine Haushaltslehre. Ein Mädchen muss was vom Haushalt verstehen.“ Die vielseitige Beate: „Geschadet hat es mir nicht.“
Ihren ersten Flug machte die Pionierin am 7. August 1937. Das hat sie fein säuberlich in ihrem Flugbuch notiert. Am Ende des Sommers bestand sie die Prüfung für den A-2-Schein. Selbstverständlich ohne Schwierigkeiten: „Während meiner Ausbildung war ich das einzige weibliche Wesen unter 70 Männern, aber ich habe damit nie Probleme gehabt. Allerdings musste man als Frau schon immer ein kleines bisschen tüchtiger sein. Es war zwar bei Adolf, dem Gütigen, üblich, Frauen zurück in die Familie zu schicken. Doch das merkte ich kaum.“
Als die Männer knapp wurden, durften die Frauen ran
Und die selbstbewusste Beate ging ihn munter weiter, ihren emanzipierten Weg. Allzeit bereit und allzeit tüchtig. Von 1937 bis 1938 war sie Praktikantin bei den Flugzeugwerken Bücker, machte dort den (nächsthöheren) B-l-Schein sowie zwei Kunstflugscheine und wurde vom deutschen Aero-Club für Kunstflugveranstaltungen im Ausland eingesetzt. Uhse: „Und dann hatte ich dieses kleine bisschen Glück, das man haben muss, wenn man weiterkommen will. Diese Firma Bücker bekam den Auftrag, 80 Maschinen nach Ungarn zu liefern. Deswegen waren die besten Werkspiloten über viele Monate weg, und da ließen die mich als Einfliegerin einfache Werkflüge machen. 1939, kurz vor Kriegsausbruch, hatte ich noch einmal großes Glück. Ich gewann als absoluter Neuling den Küstenflug-Wettbewerb bei den Frauen. Das war mein Durchbruch, und man setzte mich überall gern ein.“ Auch an der Front, wo das Glücksmädel Beate nicht etwa als bescheidenes „Blitzmädel“ Volk und Vaterland diente, sondern als - Bomberpilotin.
Im Friedensjahr 1934 hatte Hitler zwar noch verkündet: „Wir finden es nicht als richtig, wenn das Weib in die Welt des Mannes, in sein Hauptgebiet eindringt, sondern wir empfinden es als natürlich, wenn diese beiden Welten geschieden bleiben (...) Was der Mann einsetzt an Heldenmut auf dem Schlachtfeld, setzt die Frau ein in geduldiger Hingabe, in ewig geduldigem Leid und Ertragen.“ Im Kriegsjahr 1944 aber wurden die Männer knapp, und deswegen war sogar die „deutsche Frau“ gut genug zur Erkämpfung des „Endsieges“. Allerdings: Kinderkriegen mußte sie gleichzeitig. „Jedes Kind, das sie zur Welt bringt“, so Hitler 1934, „ist eine Schlacht, die sie besteht, für das Sein und Nichtsein des Volkes.“ Diese „Schlacht“ hatte die inzwischen mit ihrem ehemaligen Fluglehrer verheiratete Pilotin bereits 1943 erfolgreich geschlagen: Da kam ihr Sohn Klaus zur Welt. Und weil sie als „Einfliegerin“ für die Flugzeugwerke Bücker und Friedrich „so durch den Krieg getüddert“ war, hatte sie genug Flugerfahrung, um sich nun auch noch auf dem Schlachtfeld der Männer bewähren zu können.
1944, gleich nach Ausrufung des „totalen Kriegs“ durch Goebbels, trat die Luftwaffe an sie heran: „Ich wurde von denen angehauen, ob ich nicht in ihrem in Berlin-Tempelhof stationierten Überführungsgeschwader mitmachen will.“ Und ob sie wollte, die Allzeitbereite. Und mit ihr - so Beate Uhse - vier andere Frauen. Mit der berühmten und linientreuen Testpilotin Hanna Reitsch waren es nun schon sechs Frauen, die für Hitler und das Großdeutsche Reich in die Luft gingen (Hanna Reitsch allerdings nicht direkt im Dienst der Luftwaffe. Sie bezog ihr Gehalt als „zivile Angestellte“ von der Forschungsanstalt für Segelflug in Darmstadt).
Frauen taten Dienst - "Soldatinnen" waren sie nicht
Leider ist die Quellenlage äußerst schlecht, noch keine Historikerin hat sich bisher mit Hitlers Pilotinnen ausführlicher beschäftigt. Aber wahrscheinlich irrt der Bundeswehr-Professor Franz W. Seidler, wenn er behauptet: „Als fliegendes (…) Personal wurden Frauen in der Luftwaffe nicht ausgebildet. Der Eindruck, dass das doch der Fall war, entstand, als sich einige ehemalige Sportfliegerinnen für Sondereinsätze zur Verfügung stellten, die ihnen wider Erwarten gelangen.“ Seidler will es offensichtlich - ganz wie Hitler - nicht wahrhaben, dass Frauen durchaus auch das Kriegshandwerk beherrschen. Wenn sie nur dürfen - und wollen. Als sie im Zweiten Weltkrieg wirklich gebraucht wurden, mussten die Frauen ran. An allen Fronten.
Zugegeben wurde es aber dennoch bis zum Schluss nicht, dass sie „Frauen“- und „Männer“-Arbeit machten. Der „Führer“ wehrte sich bis zuletzt gegen die Aufstellung von „Frauenbataillonen“. Obwohl gegen Kriegsende 430.000 Frauen im Dienst der Wehrmacht Soldatenarbeit leisteten (außer an den Waffen), davon allein 130.000 bei der Luftwaffe, durften sie sich nicht „Soldatinnen“ nennen und auch in den meisten Fällen keine Uniform tragen. Und vor allem: Sie durften keine Waffen tragen. Das haben die Männer nicht gern, gestern wie heute.
Über Beate Uhse wird häufig geschrieben, sie sei „Hauptmann der Luftwaffe“ gewesen. De facto war es sicherlich so. Die zweifelhafte „Ehre“ eines solchen Dienstgrades aber wurde ihr, wie anderen Frauen, verweigert: Sie hatten einfach das falsche Geschlecht. Die Ex-Bomberpilotin Uhse selbst sagt, sie wisse es nicht mehr genau, glaubt aber „im Range eines Hauptmannes“ gestanden zu haben. Klar ist: Beate Uhse kam gleich nach Hanna Reitsch. Die Porno-Produzentin aus Flensburg noch heute stolz: „Ich wurde als einzige Frau in die zweite Staffel meines Geschwaders versetzt, die Jagdflugzeuge und Stukas überführte.“
Selber die Bomben auf den „Feind“ abwerfen, das durften sie trotzdem alle nicht - auch wenn sie es gern getan hätten. Nur Hanna Reitsch hätte beinahe „gedurft“. Sie ging in ihrer Aufopferung für das „heiß geliebte Vaterland“ so weit, dass sie sich gleich selbst als Bombe zur Verfügung stellen wollte. Sie hatte sich kurz vor Kriegsende freiwillig für die sogenannten und von ihr mit initiierten „Selbstopfereinsätze“ gemeldet, die mit der bemannten Version der Rakete „VI“ geflogen werden sollten. Zum Glück machte der Waffenstillstand einen Strich durch diese seltsame Rechnung.
Kurz vor Kriegsschluss gelang Uhse die Flucht aus Berlin
Auch Beate Uhse, die Wagemutige, weiß von einer Heldinnentat zu berichten. Sie schaffte es nämlich, aus dem völlig zerbombten und eingekesselten Berlin auf dem Luftweg zu entkommen. Kurz vor Schluss. Mit einer Siebel 104 am 22. April 1945 vom Berliner Flugplatz Gatow aus. Beate Uhse: „Das letzte Flugzeug, von dem man es weiß.“
Das stimmt nicht ganz, denn nach ihr gelang auch Hanna Reitsch, die ihre Nase noch ein Stückchen weiter vorn hatte, die Flucht. Sie brachte am 26. mit einer Fieseier Storch den Generaloberst von Greim zum Führerbunker und verließ Berlin am 29. April. Auch auf dem Luftweg. Auch vom Flughafen Gatow aus. So tollkühn konnte die „deutsche Frau“ im Dritten Reich sein.
Die Fliegerin Hanna Reitsch war sich auch nach 1945 keiner Schuld bewusst. 1951 schreibt sie in ihren Lebenserinnerungen: „Wer meine Entwicklung von Jugend an verfolgt (...), wird verstehen, dass ich auch im Krieg für mich keinen anderen Weg gehen konnte als den, von dem ich berichte.“
Gab es wirklich keinen anderen? Auch für die emanzipierte Beate Uhse nicht? Auf EMMAs Frage: „Warum haben Sie für Hitlers Luftwaffe Bomber geflogen?“ antwortet sie heute: „Das war einfach mein Beruf, den ich liebte. Stellen Sie sich einmal vor: Sie sind eine begeisterte Journalistin, und Sie gehen völlig in Ihrem Beruf auf. Würden Sie ihn in einer solchen Situation aufgeben?“ Haben wir ähnliche Argumente nicht jüngst noch gehört? Ach ja. Aus dem Munde des Kollegen Werner Höfer...
Am 30. April 1945 um 20.25 Uhr landete Beate Uhse mit ihrer zweimotorigen Siebel in Leck in Schleswig-Holstein. Mit an Bord waren ihr Sohn Klaus, dessen Säuglingsschwester und zwei verwundete Soldaten. Ihr Mann war im Krieg gefallen. Ihre Eltern waren ebenfalls tot. Ihre gesamte Habe hatte sie in Berlin lassen müssen: Die 25jährige stand vor dem Nichts. Doch unterkriegen ließ sie sich wie immer nicht.
Zunächst arbeitete sie in der Landwirtschaft, in dem kleinen Ort Braderup. Beate Uhse erinnert sich: „Dort lebten außer den etwa 500 Einwohnern auch noch 700 Flüchtlinge. Die meisten waren Frauen. So nach und nach trudelten auch die Männer wieder ein. Erst war die Freude groß, aber nach drei Monaten dann schnottlange Tränen:, Wir kriegen ein Baby.' Da fiel mir ein, dass meine Mutter mir mal etwas von der Verhütungsmethode nach Knaus-Ogino erzählt hat. Ich ging in die Bücherei in der Kreisstadt, fand ein entsprechendes Buch und habe das dann für jede einzelne Frau, die zu mir kam, ausgerechnet.“
Sie verkaufte Verhütung nach Knaus-Ogino als Postwurfsendung
Schließlich schematisierte sie es und schrieb es auf, machte ein Faltblatt daraus und bot es per Postwurfsendung an. Für zwei Reichsmark (eine Zigarette kostete sieben). Aus der frauenfreundlichen Tat war ein Geschäft geworden. Und was für eins! Innerhalb weniger Wochen waren 30.000 Exemplare verkauft.
Und nicht nur das. Die Währungsreform brachte im Sommer 1948 neuen Gewinn. Denn: „Diese rührenden Menschen“ (Uhse), die oft nur 40 D-Mark in der Tasche hatten, zahlten trotzdem eine D-Mark für die Verhütungsbroschüre der Bomberpilotin. Die Allzeittüchtige und Allzeitbereite: „Und damit war ich ein wohlhabender Mensch.“
Inzwischen kassiert sie keine Mark-Stücke mehr, sondern Scheine. Jahresumsatz: 90 Millionen Mark. Kundenzahl: 20 Millionen. Aber noch sind wir bei den Anfängen. 1949 nimmt sie Präservative, Aufklärungsliteratur, Spiele und orgasmusfördernde Mittel in ihr Sortiment auf. Ihr Versand „sexpansiert“ (Spiegel). Und 1951 - sie ist inzwischen mit dem Kaufmann Rotermund verheiratet – gründet sie ganz offiziell ihr „Unternehmen Beate Uhse“ mit Sitz in Flensburg. 1953 hat sie 14 Mitarbeiterinnen und einen Umsatz von 370.000 Mark. 1957 hat sie bereits 200.000 Kunden und 1958 eine eigene Fabrik für Miederwaren (wegen der Dessous); später kommt ein pharmazeutisches Labor hinzu (wegen der potenzsteigernden Mittelchen).
1960 kauft die Trendsetterin den Berliner Stephenson-Verlag für Unterhaltungsliteratur und funktioniert ihn um in einen „Verlag für populäre Literatur aus dem Bereich der Sexualwissenschaft und verwandte Gebiete“. 1962 eröffnet die Spezialistin für „Ehehygiene“ (dieses Wort hört sie ein paar liberalere Jahre später nicht mehr so gern) ihren ersten Sexshop. 1965 beschäftigt sie 260 Mitarbeiterinnen, setzt 12,7 Millionen Mark um und liefert ihre Pariser, Pasten und Prothesen an zwei Millionen Kunden.
1960 eröffnete Beate Uhse ihren ersten Sexshop
1969 weiht der Flensburger Oberbürgermeister das „Sex-Eck“ mit den Worten ein: „Bei Beate Uhse kann man mit Lust und Liebe für die Lust und Liebe arbeiten.“ Die „Liebesdienerin der Nation“ (Zeit) und gute Steuerzahlerin, die in einer „zu einem behaglichen Holzhaus umgebauten alten Wehrmachtsbaracke“ wohnt, ist hoffähig geworden.
Trotz ihrer Findigkeit hat die gewiefte Emanze 1970 ihre Nase nicht mehr ganz so weit vorn im Wind. Statt der angepeilten 36 setzt sie laut Zeit „nur“ knapp 33 Millionen um. Doch dafür kann sie nichts. „Der umstrittene Pornografie-Paragraph unseres Strafgesetzbuches“. ist schuld, so die Zeit. Wie schrecklich, aber dem sollte bald abgeholfen werden.
Aus dem Tief versucht sich die Ex-Bomber-Pilotin mit Hilfe von Bumsbombern herauszumanövrieren. Ein neuer Markt tut sich auf: der der emanzengeschädigten Männer. Für ihre Reisen nach Amsterdam und Fernost wirbt Uhse mit den Worten: „Welcher Mann genießt es nicht, wenn eine Frau in ihm noch ihren Herrn und Meister sieht, den man anbetet und dessen Wünsche zu erfüllen, oberstes Gebot ist?“
So richtig aufwärts geht es allerdings erst wieder 1975: Die Pornographie wird freigegeben. Die Trendsetterin Uhse (die mittlerweile geschieden ist und ihrem Mann eine großzügige Abfindung zahlt) startet durch zu einem neuen Höhenflug. Sie gründet die „Blue-Movie-Filmtheater“-Kette (mit Clubatmosphäre, Raucherlaubnis und Vollklimatisierung), die zur Zeit 17 Kino-Center hat. 1976 eröffnet die rasante Beate ihren Filmverleih. Den übergibt sie ihrem jüngsten und - wie es heißt - liebsten Sohn Ulrich Rotermund. Ihm zufolge deckt der Verleih heute rund 60 Prozent des deutschen Porno-Kinomarktes ab.
Ihr Umsatz im Jahr 1980: 70 Millionen Mark
1978, das Jahr, in dem ihr Unternehmen 50 Millionen Mark umsetzt, fragt der Kölner Express den „Porno-General“: „Könnten Sie sich auch als Chefin von Call-Girls vorstellen?“ Uhses Antwort: „Warum nicht? Ich bin nicht prüde.“ Stimmt. Zumindest solange nicht, wie es auf Kosten anderer Frauen geht. Selbst würde die Konzernchefin wohl kaum ein Callgirl sein wollen. Nicht mal im Dienste für Volk und Vaterland und gute Kameraden an der Front.
1979 läßt sich die 60jährige „die Gesichtshaut liften“ – und, so der Spiegel, „schluckt die Konkurrenz: Für vier Millionen Mark kauft sie die sadomasochistisch orientierte Sexshop-Kette ‚Dr. Müller's‘.“ Ihr Umsatz beläuft sich in diesem Jahr auf 70 Millionen Mark und 1980 - ihr Kundenstamm ist auf 4,5 Millionen gestiegen – erreicht er die 100-Millionen-Marke.
1981 teilt die gute Geschäftsfrau und gute Mutter (darauf legt sie Wert) ihr „Sex-Imperium“ (FAZ). Sie und ihr jüngster Sohn Ulrich behalten die Ladenketten „Beate Uhse“ und „Dr. Müller's“(heute insgesamt 28 Geschäfte) sowie das Filmverleih- und Filmproduktionsgeschäft. Diese Firmen werden in die neue Aktiengesellschaft „Beate Uhse AG“ eingebracht. Einzige Aktionäre: Die Chefin und ihr jüngster Sohn. Der Versand und der Stephenson-Verlag gehen an ihre beiden anderen Söhne Klaus Uhse und Dirk Rotermund.
Die FAZ nennt als Grund für die Teilung die „unterschiedlichen Vorstellungen über die langfristige Geschäftspolitik“. Das klingt nach einem Zwergenaufstand in der nach außen so harmonisch wirkenden Uhse-Family, in der die Flugzeugführerin von einst für gewöhnlich das Steuer fest in ihren resoluten Händen hält.
1983 steigen Beate Uhse und Sohn Ulli, der inzwischen auch Hardcore-Spielfilme produziert (für 1,5 Millionen Mark das Stück) ins Videogeschäft ein. Viel zu spät, wie das flotte Tempo moniert: „Der einzige wirkliche Fehler in der 36-jährigen Geschichte des erfolgsgewohnten Hauses Uhse“. Doch die Chefin hat diese kleine Schlappe längst wieder wettgemacht und kooperiert munter mit der Konkurrenz, die sie liebevoll „meine Mitbewerber“ nennt. Mit Wolf Rademacher zum Beispiel, der laut Stern „für die Uhse tätig ist als Produzent, Regisseur und Geschäftsführer der Film & Sound-Studios“. Und mit Werner Ritterbusch, genannt „Mr. Metro-Goldene Eier“, von „ribu-film“, dessen ebenfalls goldenen Rolls-Royce Tempo-Reporter Timmerberg zutiefst bewundert.
Ende der 80er setzt Uhse auf die Zielgruppe Frauen
Uhse-Porno-Filme („Big Sex“, „Feuchte Lippen“, „Baby Face“ etc.) werden überwiegend in den USA gedreht. Unter den deutschen Bewerberinnen für Haupt- und Nebenrollen hat Ulrich Rotermund „noch nie ein brauchbares Bumshuhn“ gefunden. „Das sind Spinnerinnen, die keinen Spiegel zuhause haben“, vertraut er 1983 der Stern-Reporterin Paula Almquist an. Und Wolfgang Rademacher lässt im selben Jahr den Spiegel wissen: „Unsere Kunden brauchen den besonderen Kick. Wer ein Mädchen von 18, das aussieht wie eine 14-Jährige, herausbringt, hat einen unheimlichen Renner.“ „Eine Vergewaltigung“, so der Spiegel weiter, „hält auch Uhses Rademacher für ein ‚sicherlich nicht unattraktives Stilmittel, um eine gewisse Dynamik in den Film zu bringen'.“ Laut Spiegel spielen Rotermunds „Spitzenfilme“ an den Kinokassen dreieinhalb Millionen Mark ein. Das „Erfolgsgeheimnis“ des Uhse-Sohnes: „Ich habe eben den pornographischen Normalgeschmack (...) gut ist, wenn sich bei mir was regt.“
Ob Juniors „Normalgeschmack“ auch für Frauen gut ist, wird sich zeigen. Auf die hat nämlich neuerdings seine Mutter gesetzt. Die gute Geschäftsfrau lässt sich natürlich ungern 52 Prozent der Bevölkerung und somit ein paar Millionen Kundinnen entgehen. Wie sie die am besten in ihre Sexshops locken kann, hat Uhse die „Gesellschaft für rationelle Psychologie“ aus München im Rahmen einer so genannten „Erotik-Studie 86“ auskundschaften lassen. Eine Marktanalyse für die 1990er Jahre, die die Porno-Chefin hinter einer mehrere Tonnen schweren Tür in einem Banktresor unter Verschluss hält – wegen der „Mitbewerber“. Wichtigstes Ergebnis der Untersuchung, von Uhse-Geschäftsführer Hans-Dieter Thomsen in einem Interview mit Joana Emetz in der TV-Sendung „Signale“ auf den Punkt gebracht: „Wir müssen uns auf einen Ansturm der Frauen einstellen.“ Und damit diese Heerscharen nicht gleich über die „Po-Puppe“ stolpern, ließ Thomsen die Gummidame vor dem Drehtermin in einem Bonner „Beate-Uhse-Shop“ klammheimlich aus dem Weg räumen.
Warum wohl sollten die Frauen demnächst die Sex-Shops stürmen? Wenn es nach Uhse ginge, natürlich nicht wegen der Anti-Porno-Kampagne von EMMA. Der „Lustwaffen-General“ rechnet mit einem Run der Frauen, weil, „68 Prozent ihren Partner verführen möchten“. Das verrät das Beate-Uhse-Journal („Neuer Pepp für Sie & Ihn“) aus dem Jahre 1986. Und warum die Frauen das unbedingt möchten, verrät die Firmenchefin selbst: „Früher konnte der Mann seine geheimen Wünsche bei einer Prostituierten ausleben. Durch die AIDS-Angst ist er viel vorsichtiger geworden und animiert die feste Partnerin dazu, das Seelenleben zu intensivieren.“
Sie befeuert das Bild der Frau als "perfekte Verführerin"
Im Klartext: Zur bekannten Doppelbelastung soll jetzt auch noch ein dritter Job kommen: Der der Hure. Die nötigen Accessoirs kauft die moderne Frau natürlich selbst. Bei der noch moderneren Beate Uhse, versteht sich. Die hat sich schon gründlich auf ihre neue Kundschaft vorbereitet. Seit 1986 – damals lief die mit ihren Söhnen Klaus und Dirk vereinbarte Konkurrenzschutz-Klausel aus – hat sie wieder ein eigenes Versandhaus mit eigenem Katalog: das „Beate-Uhse-Journal“ eben (die aushäusigen Sprößlinge firmieren derweil unter dem Namen „Orion“). In dem zur Zeit gültigen Katalog schreibt die Trendsetterin: „‚Manchmal hoffe ich', so sagte mir vor kurzem eine junge Frau am Telefon, ‚dass diese AIDS-Angst noch lange anhalten wird (...) Früher gehörten die Seitensprünge meines Mannes Gerhard zum Alltäglichen, jetzt hat er Angst vor Ansteckung und seine Abenteuerlust auf unser eheliches Schlafzimmer verlegt.‘ Und „Monika J“, die Mutter von vier Kindern ist und trotzdem weiterhin ihren Beruf als Lehrerin ausübt“, gesteht Beate Uhse: „Ich habe einen ganzen Kleiderschrank voller sexy Dessous, vom Lackkleid bis zum Straps-Set. Ich bin die perfekte Verführerin geworden.“
Fazit: „Die ,AIDS-Zeit' übersteht man am besten beim eigenen Partner - und bleibt gesund.“ Womit wir wieder bei der „Ehehygiene“ der 50er wären und bei Uhses Motto für die 90er Jahre: „Draußen lauert AIDS, drinnen wartet das Vergnügen.“
Und wie sieht dieses Vergnügen für Frauen aus? Stramm. Das zeigt ein Blick ins „Journal“. Ob er nun im „Genuss-Slip“ steckt oder im „goldenen Luxus-Sortiment“, dem „Vibrator-Set für Anspruchsvolle“. Ob er „Bobby, der Hammer“ oder „Bully, der große Verwöhner“ heißt. Ob er sich offen rassistisch reckt (glänzend-schwarz mit einem Eingeborenen-Kopf an der Spitze als „Elefantenbulle mit der Riesenstoßkraft“) oder „computergesteuert“ daher kommt (als „E.T.“, der „vierdimensional reizende High-Tech-Verzückungsstab“). Uhse macht auch der bravsten Provinzfrau klar: Ohne IHN geht es nicht. Und ohne „es“ auch nicht: Sie verführt, er rammelt. Die Ex-Bomber-Pilotin liegt mal wieder voll im Trend. Sohn Ulli auch: Der ist schon seit vielen Jahren CDU-Mitglied.
„Beate Uhse ist harmlos“, sagen die einen. Sie ist es nicht, sagen wir. Sie läßt nur nach außen die Männer die Dreckarbeit machen (ihren Sohn und seine Kumpel). Wie im Krieg. Die Munition aber liefert die Generalin persönlich.
Beate Uhse sei eine „vom Flair einer Mädchenschaftsführerin umwehte Suffragette“, schreibt die Frankfurter Rundschau. So ganz daneben ist das nicht. Aber ins Schwarze getroffen ist es auch nicht. Beate Uhse ist eine Emanze. Eine, die sich auf Kosten von Frauen emanzipiert und es mit Kerlen hält. Eine, die alles kann und alles tut. Eine, die immer dabei ist. An vorderster Front. Seite an Seite kämpft sie mit den Kameraden. Im Nazi-Krieg wie im Sex-Krieg. Gestern mit Bomben. Heute mit Pornos.
Cornelia Filter