Ein Besuch in Tiflis

Foto: Imago/Imagebroker
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Meine Beziehung zu Georgien beginnt mit einem Missverständnis, aus dem sich einiges ablesen lässt. Meine beste Freundin Sophia hatte sich gerade von ihrem Freund getrennt und suchte eine Mitbewohnerin. Wie üblich „castete“ sie also verschiedene Leute, bald war klar: Es soll diese interessante amerikanische Fotografiestudentin sein. Nach einigen Tagen des Zusammenlebens mit ihr dämmerte Sophia, dass sie da beim Vorstellungsgespräch irgendetwas falsch verstanden hatte. Als die neue Mitbewohnerin ihr nämlich eröffnet hatte, sie sei aus „Georgia“, hatte Sophia nur freundlich „Oh, lovely“ gesagt und nicht weiter nachgefragt, über Amerika glaubt man ja schließlich irgendwie alles zu wissen. Ich weiß nicht, ob es an ihrem Akzent lag, dass Sophia irgendwann in den Sinn kam: Es gibt nicht nur einen US-Bundesstaat namens Georgia, sondern ein Land: Georgien.

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So kamen Sophia und ich überraschend in den Genuss eines georgischen Bekanntenkreises, denn das Netzwerk gut situierter, künstlerischer, junger Exil-Georgier in Berlin ist relativ groß.

Das war vor fünf Jahren und Georgien für mich nicht viel mehr als ein grauer Ort irgendwo am rechten unteren Rand der europäischen Landkarte, ein bisschen wie Polen vielleicht, nur wärmer. In meiner Fantasie sah ich eine graue Betonküste, an der Oligarchen cruisen.

Drei Jahre später, im Mai 2016. Auf dem Parkplatz vor dem Flughafen von Tiflis begrüßen uns Kinder, rennen auf dem Weg zum Bus um uns herum. Wir KulturjournalistInnen sind hier, weil uns das „Natio­nal Book Center“ eingeladen hat, zweieinhalb Jahre bevor Georgien Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ist. An den Laternenmasten der Straßen, die uns ins Innere von Tiflis bringen, flattern EU-Flaggen. Wenn ich die Augen schließe und an diese ersten Annäherungen an Tiflis denke, sehe ich dahingewürfelte Gebäude, manche sehen aus wie Schneckenhäuser, andere wie Baumhäuser oder Schuhkartons. Sofort der Gedanke: Das ist eine Fantasiestadt, ein Wunderwürfelland, wie aus einem Roman von Michael Ende, etwas, das auf einmal am Horizont auftaucht, nicht real. Die Farben, die von Tiflis bleiben: Gold, Gelb, Türkis.

In Georgien, dem Land auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres, dem Land über Armenien und Aserbaidschan, dem Land unter Russland, hat man rasch das Gefühl, alles wird von Frauen geschmissen.

Die EMMA-Redaktion ließ mich im Vorgespräch wissen, ich solle bitte darauf achten, dass die von mir vorgestellten Schriftstellerinnen auch ein bisschen was mit frauenbewegten Themen zu tun haben. Ich muss sagen: Es ist fast unmöglich, eine Autorin zu finden, die nicht frauenbewegt ist, und es scheint darüber hinaus fast unmöglich, in Georgien einen männlichen Literaten zu finden. Es ist wirklich auffällig, wie viele gebildete, starke, souveräne Frauen einem schon bei so einem Kulturkurztrip begegnen.

Doch derjenige, der mich in die georgische Literatur hineinzog, war dann doch ein Mann (es bleibt der einzige, versprochen): Zu Beginn des (sehr lustigen) Buchs „Der Literaturexpress“ schildert Lasha Bugadze, wie der Ich-Erzähler und seine Freundin bombardiert werden, im Jahr 2008, im Kaukasuskrieg. In dieser plastischen Schilderung wurde mir klar, wie unterschiedlich die Erfahrungswelten der georgischen Freundin und mir sind, obwohl wir heute das gleiche Leben zu leben scheinen. Als Teenager einen solchen Krieg in deinem Land erlebt zu haben, was macht das mit einem?

Es gibt zwei abtrünnige Gebiete auf georgischem Territorium: Die Regionen Abchasien und Südossetien. Sie werden von Russland unterstützt und faktisch kontrolliert; dort stehen seit 2008 russische Truppen. Georgien hofft dennoch nach wie vor auf Mitgliedschaft in EU und Nato.

In Georgien, genauer: in Gori, ist Stalin geboren; wie die Menschen dort mit diesem Erbe umgehen, ist seltsam – der Ort ist bis heute eine Art Kultstätte, inklusive Stalin-Streichhölzer und Stalin-­Gedichtbände, die man überreicht bekommt.

Ich bin auch durch die Straßen von Tiflis geschlendert, habe die buntgestrichenen Fassaden der Holzhäuser bestaunt und die Blumen, die dort an jeder Ecke verkauft werden. Ich habe das orthodoxe Kloster Dschwari besucht und hinunter ins Tal geblickt, wo die Flüsse Aragwi und Kura zusammenfließen. Ich bin über den Markt von Mzcheta gegangen und habe diese seltsamen, wurstförmigen Weingummi-Süßigkeiten probiert. Im georgischen Nationalmuseum in Tiflis habe ich uralte Schriften bestaunt, vor allem aber wunderschöne Gegenstände aus Gold, denn Gold wird seit Jahrtausenden aus den Bächen im Kaukasus gesiebt. Daher stammt auch der Mythos von Jason und dem goldenen Vlies: Georgien ist das antike Königreich Kolchis. Medea ist heute noch ein recht häufiger Frauenname in Georgien; und es leuchtet sofort ein, dass diese fremde, starke Königin, die zuerst das Vlies stehlen hilft und dann so furchtbare Taten vollbringt, Georgierin ist: Nichts an diesem Land, dieser Landschaft ist banal.

Die Nachnamen der Georgier und Georgierinnen enden nahezu alle auf -schwili oder auf -dse. „Schwili“ bedeutet Kind und „dse“ Sohn. Es ist also ein bisschen wie bei den Schweden mit ihrem -son, nur noch etwas einhelliger. Die Georgier und Georgierinnen scheinen ein nicht ganz unkompliziertes Verhältnis zu ihrer Sprache zu haben, vor allem zu ihrer Schrift, dieser seltsamen, uralten, ein wenig hebräisch anmutenden Schlangen- oder Brezelschrift. Jedenfalls handeln zwei der Geschichten, die ich in letzter Zeit gelesen habe, davon, wie schwer Georgisch für Kinder ist: In „Ich bin sie“, einem neueren Roman von Naira Gelaschwili, die man als Grande Dame der georgischen Literatur bezeichnen kann, klagt ein junges Mädchen, das in der Schule den mittelalterlichen Dichter Rustaweli lesen muss: „Was sind das für schreckliche Wörter. Ich kann sie kaum aussprechen!“

In „Techno der Jaguare“, einer schon 2013 auf Deutsch erschienenen Sammlung georgischer Erzählungen, gibt es eine Geschichte der jungen Schriftstellerin Ekaterine Togonidze, die von einer Journalistin handelt, die einen blinden Bildhauer porträtieren soll. Es entspinnt sich eine Art wundersame Horrornovelle, in der ebenfalls das entfremdete Verhältnis zur Schrift eine zentrale Rolle spielt.

Kurz: Georgien ist wirklich eines der seltsamsten und schönsten Länder der Welt.

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