Jolanda Spiess-Hegglin: Hält Kurs

Foto: Anne Gabriel-Jürgens
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Katharina Blum wird ihre Ehre wohl nicht mehr verlieren. Zumindest nicht in der Schweiz. Denn wenn Frauen dort in den Boulevard-Medien diffamiert werden, könnte das die Medienhäuser künftig teuer zu stehen kommen.

Dafür sorgt gerade Jolanda Spiess-Hegglin. Angefangen hat alles in Zug. Nach einer Parteifeier im Dezember 2014 wurde die frisch gewählte linksgrüne Kantonsrätin, damals 34 und Mutter von drei Kindern, nachts verstört von ihrem Ehemann vorgefunden. Ein Filmriss. Am nächsten Tag ging Jolanda ins Krankenhaus, mit Schmerzen im Unterleib und einem Verdacht: Vergewaltigung unter K.O.-Tropfen. Die Ärztin stellte innere Prellungen, DNA- und Spermaspuren zweier Männer fest.

Der Boulevard stürzte sich mit Wollust auf den Fall. „Hat er sie geschändet?“ spekulierte der Blick, die größte Boulevardzeitung der Schweiz aus dem Hause Ringier, am Heiligabend 2014. Und bildete sowohl Jolanda als auch einen SVP-Kantonsrat mit Foto und Namen ab. Dann rollte die Medienlawine so richtig los. Über 600 Folgeartikel erscheinen, oft mit diffusen Spekulationen. Aus Mangel an Beweisen und wegen Patzern der Behörden wurden nach neun Monaten alle Strafverfahren eingestellt – doch die gelben Blätter machen weiter und verdienen Millionen mit ihr. Ein normales Leben ist für sie und ihre Familie nicht mehr möglich.

Aber Jolanda geht in die Offensive, klagt immer wieder gegen die Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte, führt über acht Jahre lang Prozesse.

Das Fighten hat sie früh gelernt. Jolanda Spiess-Hegglin kommt aus einem stockkonservativen Bauerndorf in der Zentralschweiz, wurde von Klosterfrauen unterrichtet. „Bei uns war klar, welche Rollen Mädchen und Jungs einnehmen dürfen. Das hab‘ ich aber nicht eingesehen. Ich wollte immer mit dem Kopf durch die Wand und ausbrechen“, erzählt sie. Vorkämpferinnen wie die Politikerinnen Ruth Dreifuss oder Elisabeth Kopp, die als erste Frauen in den Bundesrat gewählt wurden, und als „Hexen“ verschrien waren, faszinierten sie.

Jeder ihrer Gerichtsprozesse führte nicht zur Beruhigung, sondern zur weiteren Eskalation. Nach dem Blick legte die Weltwoche los, dann folgte Tamedia, das größte Medienhaus der Schweiz. Die Journalistin Michèle Binswanger wurde auf Spiess-Hegglin angesetzt, um ein Buch über „die Skandalnacht“ zu schreiben. Noch ist es nicht erschienen. Und auch Binswanger ist nun wegen Verleumdung angeklagt.

Jolanda hält Kurs. „Ich bin Politikerin geworden, weil ich etwas bewegen wollte. Jetzt bewege ich etwas für Frauen, was ich mit keiner Partei geschafft hätte.“ Heute ist sie die populärste Kämpferin der Schweiz gegen Hass im Netz, hat mit ihrem Verein „Netzcourage“ dafür gesorgt, dass Hetzer in Untersuchungshaft landen.

Unterstützt wird sie von ihrem Ehemann, Reto Spiess, der oft von der Boulevardpresse als „der Gehörnte“ verspottet wurde. Erst als er in einem Interview des Portals Watson sehr besonnen auf sexistische Fragen reagierte, drehte sich die öffentliche Meinung. „Ihm wurde geglaubt“, sagt Jolanda.

Und nun langt die Schweizerin dorthin, wo es Medienhäusern weh tut: in die Kasse. Vor Gericht hat sie erreicht, dass das Medienhaus Ringier den Gewinn beziffern muss, den es mit fünf reißerischen Texten über sie erzielt hat. Und das Schweizer Bundesgericht hat bereits entschieden, dass solche Erträge dem Medienopfer ausgehändigt werden müssen. Die Zahlen lassen sich schließlich – anders als in gedruckten Medien – herleiten, und zwar Klick für Klick. Laut Klägerseite sind das 350.000 Euro.

Viel wichtiger noch: Jolanda Spiess-Hegglin hat damit einen Grundsatzentscheid geschaffen, weil Persönlichkeitsverletzungen nun richtig teuer werden können. „Ich will“, sagt Jolanda, „dass sich Redakteure morgens in der Konferenz zweimal überlegen, ob es sich lohnt, jemanden fertigzumachen.“

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