Tiefer Blick in die Startup-Szene

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Neues Denken, keine Hierarchien, coole Arbeitsbedingungen. Wenn Startups alte Zöpfe abschneiden, klingt das zugleich nach mehr Gleichberechtigung, nach aufgeklärter Emanzipation. Die Realität allerdings spiegelt anderes: Gender-Gap beim Gehalt, MeToo, überwiegend männlich besetzte Chefsessel – so sieht die Startup-Kultur heute aus.

Blicken wir zurück: Im Jahr 1985 lag der Frauenanteil in Informatikstudiengängen bei 37 Prozent. Drei Jahrzehnte später hat die Startup-Szene ein Problem mit Frauen: Jung, hip und offen? Von wegen. Jung, ja, aber ansonsten vor allem: männlich und weiß.

Im Zentrum der Startup-Szene, im Silicon Valley, geht es für junge Frauen besonders hart zu. Dort gibt es Sexfeiern, zu denen Gründerinnen geladen werden, „die glauben, alles mitmachen zu müssen, und Männer, die nicht merken, dass sie Teil des Problems sind.“ Emily Chang, die die Fernsehsendung Bloomberg Technology moderiert, beschreibt in ihrem Buch (Brotopia. Breaking Up the Boys’ Club of Silicon Valley), wie sich freitags und samstags Geldgeber von den Wagnis­kapitalfirmen in Villen treffen und dazu junge Gründerinnen einladen. Nach dem Business-Talk fallen die Hüllen. „Für die allermeisten Frauen ist es so: Sie sind verdammt, wenn sie an den Partys teilnehmen, und genauso verdammt, wenn sie es nicht tun.“

Sechs junge Frauen, die Programmieren gelernt haben, hat Chang für ihr Buch interviewt. Sie seien voller Tatendrang, „aber sie lesen auch Nachrichten und kennen die Skandale über sexuelle Belästigung“. Außerdem belohne das Silicon Valley „ein Hyper-Selbstvertrauen, das an die Bereitschaft grenzt, ein Hochstapler zu sein. Das ist für viele Frauen kein natürliches ­Verhalten.“

Der Anteil von Gründerinnen in deutschen Startups liegt bei 15 Prozent – mit sanfter Steigerung, meldete der „Startup Monitor 2018“. Und in den Geschäftsführungen junger Unternehmen liegt die Frauenquote bei 15 Prozent. Sieht also nicht besser aus. In der ganz alten Welt, den fetten Dax-Konzernen, liegt der Frauenanteil in den Chefetagen bei 13 Prozent, was richtig mies ist, aber nicht weit entfernt von den modern anmutenden Startups.

Zugegeben: Google und Facebook sind da schon weiter als die jüngeren Startups. Bei den beiden Riesen ist rund ein Drittel der MitarbeiterInnen weiblich. Schaut man in die Führungsetage, so liegt die Frauenquote immerhin bei gut einem Viertel. Gerade bei Facebook sitzen auch auf den obersten Chefsesseln oft Frauen, angefangen von COO Sheryl Sandberg über die Europa-Chefin Nicola Mendelsohn bis zur einstigen Deutschland-Chefin Marianne Bullwinkel.

Doch grundsätzlich sind Startups fest in Männerhand. Nur elf Prozent der für Investitionsentscheidungen zuständigen Partner in Wagniskapitalgesellschaften sind weiblich. Kein Wunder also, dass im Jahr 2017 nur zwei Prozent des in den USA insgesamt vergebenen Risikokapitals an weibliche Gründer vergeben worden ist. Laut einer Studie der Universität Harvard erhalten Frauen durchschnittlich nur ein Viertel der Summe, die sie benötigt hätten, Männer doppelt so viel. Charaktereigenschaften werden je nach Geschlecht unterschiedlich bewertet: Einer arroganten oder aggressiven Frau wurde von Kapitalgebern ein emotionales Defizit unterstellt, während diese Attribute bei Männern positiv ankamen.

Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU) hört immer wieder von Gründerinnen, „dass die Startup-Szene von einer Macho-Kultur geprägt ist“. Männer fördern Männer.

Berliner Startups haben laut Startup Monitor den höchsten Anteil unter Frauen: 16,2 Prozent, während Hamburger und Münchner Startups mit je 10,5 Prozent den niedrigsten Frauenanteil an Gründerinnen aufweisen. Besonders arg sieht es mit dem Frauenanteil bei Startups aus, die Hightech-Themen als Geschäftsmodell haben, etwa künstliche Intelligenz oder vernetzte Geräte. Hier ist nur jeder 20. Gründer eine Frau.

„Frauen neigen zu Perfektionismus, hinterfragen sich sehr kritisch, schüren ihre Zweifel. Das verträgt sich nicht mit der Startup-Kultur“, erklärt die Startup-Beraterin Güncem Campagna. Heißt: Frauen sind vernünftiger. Noch ein Faktor kommt hinzu: Ehrlichkeit. Gerade bei Investoren müsse man sein Produkt geradezu überverkaufen. Auch wenn die Regeln der Marktwirtschaft für alle Geschlechter gleich seien, so Campagna, lohne sie derzeit ausschließlich ein großes Selbstbewusstsein, Mut zum Risiko und Personen, die sich nicht um Kinderbetreuung kümmern müssen. Denn: „Es kommen Phasen, in denen arbeitet man sieben Tage die Woche. Es gibt Durststrecken, in denen man wenig verkauft. Investoren springen ab. Diese Strukturen sind nicht gerade das, was ich als familienfreundlich oder frauenfreundlich bezeichnen würde.“

Hinzu kommt: In der Startup-Szene verdienen Frauen besonders schlecht. Der Gender-Pay-Gap liegt in Startups bei 25 Prozent in Berlin, deutschlandweit sind es 22 Prozent und in der EU 16 Prozent.

Und schließlich: Sexuelle Belästigung ist in Startups ein dramatisch großes Thema, deutlich mehr als in traditionellen Unternehmen. Nach einer Studie des Marktforschungsinstituts Innofact werden Startup-Mitarbeiterinnen mehr als doppelt so häufig belästigt wie Frauen in klassischen Unternehmen. Der enorme Unterschied wird damit erklärt, dass in Startups die Mitarbeiter jünger seien, die Hierarchien flacher, es viele Partys mit viel Alkohol und weniger Regeln gebe.

Ein weiterer Grund, warum so wenige Frauen bei Startups arbeiten: GeschlechterforscherInnen der Universität Stanford fanden heraus, dass auf 84 Prozent der Jobbörsen, mit denen Nachwuchs angelockt werden soll, hoch qualifizierte Frauen, also potenzielle Vorbilder, keine Rolle spielen. Auch Lockmittel, die bei den Jobbörsen genannt wurden, bezogen sich tendenziell auf eher männliche Interessen: Tischtennis und Tischfußball kann man ja noch als attraktiv für beide Geschlechter gelten lassen, aber ein Kühlschrank voller Bier?

Irgendwie scheint es in der Branche ein Wahrnehmungsproblem zu geben – zulasten der Frauen. „Wir schaffen es einfach nicht, diesen Gender-Gap zu schließen“, hieß es noch 2018 auf der Berliner re:publica, die sich als Europas größte Digitalkonferenz bezeichnet. Doch solange Frauen auf der re:publica einen so genannten „Makerspace“ erhalten, wo sie aus Stoff und LED-Lämpchen leuchtende Buttons für den Feminismus nähen, auf denen „GRL PWR“ steht, mutmaßlich für ein pseudoselbstbewusstes Girl­power, hat in der schönen neuen Welt das Thema Frauen leider schlicht niemand verstanden.

Wie das System Startup wirklich funktioniert, gerade für junge Frauen, hat die Französin ­Mathilde Ramadier in einem Buch verraten. Es trägt den Titel „Willkommen in der neuen Welt. Wie ich die Coolness von Startups überlebt habe.“ Die Autorin, geboren 1987, wollte als 23-Jährige etwas Geld verdienen, um sich ihren Traum in der schreibenden Zunft zu verwirklichen. Also folgte sie dem Ruf Berlins und tauchte in die Start­up-Szene ein. Da hatte Ramadier schon Philosophie studiert und in diversen Agenturen Berufserfahrung gesammelt. Sie arbeitete bei zwölf Startups. Ihre Erfahrungen „waren leider alle schlecht. Ich war schlecht bezahlt, hatte einen prekären Vertrag oder die Stimmung am Arbeitsplatz war ganz kritisch.“ Ihre Titel waren toll – „Country Manager“ oder „People Manager“ – die Tätigkeit war eintönig: Excel-Tabellen und Datenbanken befüllen.

960 Euro bekam sie pro Monat (das war allerdings noch vor Einführung des Mindestlohns). Aber, so Ramadier: „Tatsächlich gibt es einen perversen Effekt. Wenn man mit seinen Kollegen befreundet ist, es einen Kicker gibt, das Essen umsonst ist und lecker und vegan, dann ist es schwieriger, sich zu beklagen.“ – Schöne neue Welt?

Weiterlesen:
Die Startup-Lüge (Econ,18€)

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