In der aktuellen EMMA

Die ganze Wahrheit über Hormone

Artikel teilen

Der menschliche Körper hat etwa 30 Billionen Zellen. Sie alle kommunizieren miteinander, stehen in einem ständigen Gespräch. Dabei tratschen sie nicht nur in der Nachbarschaft herum, sondern senden auch Botschaften: Bauchspeicheldrüse an Bizeps beispielsweise, eine Insulin-Botschaft. Nebenniere an Herz, eine Adrenalin-Botschaft. Eierstock an Gehirn, eine Östrogen-Botschaft.

Ja, auch unsere guten alten vermeintlich Bekannten, die sogenannten Geschlechtshormone, mischen mit in der Konferenz der Zellen. Doch was wir über sie zu wissen glauben, stimmt oft nicht. Östrogen mache alles „weiblich“ und Testosteron mache alles „männlich“ in unserem Körper und in unseren Gedanken – nein, ganz so einfach ist es nicht.

Es fängt schon mit der Frage an: Was ist überhaupt „weiblich“ – und was ist „männlich“? Das ist eine Weltanschauungsfrage. Wer die sogenannte „Selbstbestimmung“ über alles setzt, fände es wahrscheinlich praktisch, wir könnten Hormone für Körper und Seele benutzen wie Gewürze für die Suppe und uns selbst nach Belieben ein wenig männlicher oder weiblicher würzen.

Wer eher staunend vor den Wundern der Natur steht, nimmt die Komplexität des biologischen Hormonsystems demütig hin. Außerdem und vor allem: Was ist Natur – und was ist Kultur? Aus feministischer Sicht macht vor allem die Kultur Menschen zu Frauen und Männern. Welchen Einfluss aber hat trotz alledem auch die Natur?

Seit es Sexualität gibt, also seit etwa 600 Millionen Jahren, hat sich die Zweigeschlechtlichkeit bei der Fortpflanzung bewährt: Die Nachkommen werden dadurch vielfältiger und somit anpassungsfähiger, als wenn sie nur Klone ihrer Eltern wären – wie bei asexuellen Lebewesen. Die Natur steht damit aber vor der Aufgabe, von jeder Art zwei Typen (Geschlechter) herzustellen, die sich jeweils so verhalten sollten, dass bei der Zeugung die Keimzellen des einen Typs mit dem des anderen zusammenfinden – nicht ganz einfach.

Die Natur hat dafür vielfältige Lösungen gefunden. So gibt es relativ häufig Zwitter unter den Pflanzen, aber auch bei den Tieren. Die haben gleichzeitig männliche und weibliche Geschlechtsorgane. Auch Konsekutivzwitter gibt es – Organismen, die während ihrer Lebenszeit ihr Geschlecht wechseln. Beneidenswert womöglich der Tabakbarsch, ein Fisch, der bis zu 20 Mal am Tag sein Geschlecht wechseln kann!

Beim Menschen wird dagegen schon sehr früh, bereits im Embryonenstadium im Mutterleib, viel festgelegt. Am Anfang ist der Embryo weiblich. Erst in der 7. Woche differenziert sich das Geschlecht. Trägt der Embryo ein Y-Chromosom (das vom Erzeuger stammt) in seinen Zellen, hat es in aller Regel auch das SRY-Gen, und das leitet eine männliche Entwicklung der noch winzigen Geschlechtsorgane ein. Vieles, was sonst weiblich werden würde, wird dann vernichtet. Hier spielen bereits Hormone eine Rolle. Entscheidend ist das Anti-Müller-Hormon, das die sogenannten Müllerschen Gänge abbaut, aus denen einmal Eileiter, Gebärmutter und Vagina werden würden, wenn man sie ließe.

Dieses Hormon kommt nicht vom Vater, sondern von der Mutter. Es wird in ihren Eierstöcken gebildet, schon seit ihrer Pubertät. Und es ist nicht immer ein frauenfeindliches Hormon, im Gegenteil. Eine weitere Aufgabe dieses Hormons (die ganz und gar nicht zu seinem Namen passt) ist es, jeden Monat die größte und schönste aller heranreifenden Eizellen der fruchtbaren Frau in den Eileiter springen zu lassen. Man könnte das Anti-Müller-Hormon also sehr gut auch Eisprung-Hormon taufen. Was schon mal die Vielseitigkeit der Hormone unterstreicht.

Ähnlich doppelgesichtig ist das Östrogen. „Östrogen macht Mäusehirne männlich“, lautete bereits vor etlichen Jahren (2009) eine Überschrift auf der Wissenschaftsseite spektrum.de. Kalifornische Wissenschaftler hatten neugeborenen Mäuseweibchen Östrogen verabreicht – in einem Alter, in dem sie normalerweise selbst noch keines bilden. Der paradoxe Effekt war, dass sie sich später als Erwachsene wie Männchen verhielten: „Sie markierten ihr Revier mit Urin und trugen Kämpfe mit Artgenossen aus.“

Dahinter stecken zwei Mechanismen: Zum einen gibt es an bestimmten Stellen im Mäusegehirn Zellen, die das Enzym Aromatase absondern. Aromatase wandelt Testosteron in Östrogen um. Normalerweise tut es das bei Mäusemännchen, die schon als Babys Testosteron produzieren. Zum anderen ist dieses Östrogen – darüber haben Wissenschaftler sich schon öfter gewundert – dasjenige Hormon, das im Mäusegehirn die Verdrahtung verändert, also das Gehirn vermännlicht, wenn man so will. 

Was war aber nun bei den experimentell vermännlichten Weibchen passiert? Der Östrogenstoß im Babyalter hatte ihre Aromatase-Zellen im Gehirn irgendwie angeschaltet – sie würden normalerweise bei Mäusemädchen früh abgebaut. Damit verfügten die Versuchsweibchen ausnahmsweise über Schaltkreise, die männliches Verhalten steuern. Und diese wurden aktiviert, als sie in die Mäusepubertät kamen und ihre Eierstöcke anfingen, größere Mengen Östrogen zu produzieren.

Ein weiterer Mäuseversuch brachte 2007 noch Erstaunlicheres an den Tag. Um Mäuseweibchen zu vermännlichen, braucht es nicht einmal Hormone. Eine Operation in der Nase genügt, damit „Mäuseweibchen ihre Jungen vernachlässigen und stattdessen – in den höchsten Tönen fiepend, wie das sonst nur Männchen tun – Artgenossen beiderlei Geschlechts zu begatten versuchen“. So beschrieb es die Autorin dieses Artikels seinerzeit fasziniert in bild der wissenschaft. Der kleine Eingriff in der Nase, durchgeführt von Tali Kimchi und Catherine Dulac, zwei Wissenschaftlerinnen der Harvard University in Cambridge/USA, hatte dazu geführt, dass die Mäuse Geruchssignale ihrer ArtgenossInnen missdeuteten. Das Entscheidende aber ist: Das gegengeschlechtliche Verhalten liegt tatsächlich abrufbereit in ihrem Gehirn parat.

Das bedeutet, dass die Schaltkreise für männliches Sexualverhalten bei den Weibchen keineswegs allesamt in früher Jugend abgebaut worden waren, nein, einige waren intakt geblieben. Auf ähnliche Weise lässt sich, das stellte die Forscherin Catherine Dulac später fest, auch Brutpflegeverhalten beim Mäuserich aktivieren. Offensichtlich gehen die embryonalen Hormone, die die Geschlechtsentwicklung steuern, mit dem Gehirn schonender um als mit den Genitalien. Hier wütet kein „Anti-Müller-Hormon“! Das Gehirn bleibt von seinen Möglichkeiten her lebenslang weitgehend beidgeschlechtlich.

Ist das denn beim Menschen genauso? Catherine Dulac will sich nicht festlegen. Schließlich ist das Sexualverhalten bei unsereinem doch nicht ganz so natürlich wie bei Mäusen, sondern stark kulturell geprägt, und die Nase spielt bei Homo sapiens eine viel geringere Rolle. Aber die Sache mit den zweigeschlechtlichen Schaltkreisen? Transgender-Menschen fühlten sich von Dulacs Forschungen jedenfalls sofort angesprochen und folgen ihr seitdem auf Schritt und Tritt.

Doch tatsächlich kann man einem Menschengehirn gar nicht so leicht ansehen, ob es einem Mann oder einer Frau gehört. Rein äußerlich gibt es so gut wie keine Unterschiede. Schaut man im Detail, sind manche Kerne oder Nervenstränge beim Mann im Durchschnitt stärker ausgeprägt, andere wiederum bei der Frau. Im Durchschnitt, wohlgemerkt! Und: Wie die israelische Wissenschaftlerin Daphna Joel in aufwendigen MRT-Studien festgestellt hat (MRT steht für Magnetresonanztomographie, ein viel genutztes bildgebendes Verfahren), gibt es keine Korrelationen zwischen den einzelnen Regionen: Ist bei Frau Müller beispielsweise Region A besonders „weiblich“ ausgeprägt, kann Region B im MRT durchaus „männlich“ aussehen und Region C geschlechtsneutral. Joels Konzept des „Geschlechtermosaiks“ im Gehirn ist derzeit die Standardtheorie der feministischen Gehirnforschung. Von wegen „Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus“! Beide kommen vom selben Planeten.

Die Psychologie, die nicht ins Gehirn hineinschaut, sondern beispielsweise Interessen und Fähigkeiten testet, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Was Männer gut können und was Frauen gut können, unterscheidet sich nicht so sonderlich, sondern überlappt sich weitgehend. Größere Unterschiede gibt es nur bei Wurfgeschwindigkeit und Wurfweite, Masturbationshäufigkeit, Freundlichkeit, Bereitschaft zu schnellem Sex und bei der „mentalen Rotation“ (Drehung eines Objekts in der Vorstellung). Rate doch einfach mal, welches Geschlecht hier jeweils vorn liegt. Und: Warum?

Und was ist von der sogenannten „sexuellen Identität“ zu halten – dem starken „Gefühl“, ein Mann bzw. eine Frau zu sein? Hat dieses Phänomen eine biologische Grundlage? Hat die sexuelle Identität einen Sitz im Gehirn? Nein. Doch gibt es inzwischen einige kleine neurowissenschaftliche Forschungsarbeiten dazu. So fand eine MRT-Untersuchung an 24 Transfrauen vor der Hormonbehandlung heraus, dass deren Gehirne weitgehend denen von Männern glichen – also dem Geburtsgeschlecht entsprachen. Nur eine kleine Region in den Basalganglien, das rechte Putamen, schien „feminisiert“. Sitzt dort die weibliche Identität? Sehr unwahrscheinlich. In einer noch kleineren Studie wurden acht Transfrauen und sechs Transmänner nach der Anwendung geschlechtsanpassender Hormone untersucht. Das berichtete Ergebnis: Die Gehirne der früheren Männer waren nach der Hormongabe auf weibliche Proportionen geschrumpft, die der früheren Frauen zu männlichen Proportionen angewachsen. Bei Letzteren galt das auch für den Hypothalamus, eine wichtige Region bei der Steuerung von Hormonen und Bewusstsein im Gehirn. Aber was besagt das nun? Eigentlich doch nur, dass auch das erwachsene Gehirn, nicht nur das embryonale oder das pubertäre, mit Strukturveränderungen auf Hormongaben reagieren kann. Dass die sexuelle Identität in der Gehirngröße oder der Größe des Hypothalamus kodiert sei, lässt sich daraus kaum ableiten.

Die sexuelle Identität ist keine Schwarz-Weiß-Schablone. Das kann man im übrigen auch bei Daphna Joel nachlesen („Das Gehirn hat kein Geschlecht“): In einer Fragebogen-Studie unter mehr als 2.000 sogenannten Cisgender-Personen, also Menschen, die sich mit ihrem angeborenen Geschlecht identifizieren, hat die Neurowissenschaftlerin 2013 festgestellt, dass sich rund 35 Prozent sowohl als Frau als auch als Mann fühlen. 

In einer nachfolgenden, internationalen Befragung mit fast 5.000 TeilnehmerInnen kam sie 2018 sogar auf 38 Prozent. Sie stellten trotzdem nicht ihr „Mannsein“ bzw. „Frausein“ infrage, sondern nahmen sich einfach die Freiheit.

Auch unter Transgender-Menschen, die mit ihrem angeborenen Geschlecht hadern, ist die gefühlte Geschlechtsidentität nicht immer betonhart, sondern kann ganz schön fluide ein: Viele fühlen sich als männlich und weiblich oder weder/ noch. Zu diesem Ergebnis kam eine Befragung von 406 Betroffenen, die 2018 im Journal of Sex Research veröffentlicht wurde.

Es ist ein kühner Gedankensprung: Aber möglicherweise hängt die Uneindeutigkeit und große Variabilität der menschlichen Geschlechtsidentität nicht nur mit der Geschlechterrolle (gender), sondern auch mit dem sex, der Uneindeutigkeit und Variabilität der menschlichen Geschlechtshormone zusammen? 

Und wieder soll das Östrogen als Beispiel dienen, genauer gesagt die Östrogene, denn es sind drei: Östradiol, Östriol und Östron. Wie bei Mäusen ist auch bei Menschen das Schlüsselenzym für deren Herstellung im Körper die Aromatase, die aus Testosteron Östradiol und aus Androstendion (einem weiteren „männlichen“ Geschlechtshormon) Östron bildet. 

„Die menschliche Aromatase wird in verschiedensten gesunden Geweben exprimiert“, erklärt der Marburger Gynäkologe Volker Ziller in einem Fachtext, „den weiblichen und männlichen Gonaden (Keimdrüsen), der Plazenta, dem Gehirn, den Knochen, der Prostata und dem Fettgewebe.“ Überall hier werden also Östrogene gebildet. Neben den vielen Produktionsstellen gibt es noch viel zahlreichere Wirkstellen des Hormontrios. Hier kommt Ziller auf die Rolle der Östrogen-Rezeptoren zu sprechen: Denn ein Hormon ist kein Hormon ohne seinen zugehörigen Rezeptor. 

Der Rezeptor ist ein Molekül, genauer gesagt ein Eiweißmolekül (Protein), das in bestimmten Zellen sitzt und auf das Eintreffen des Hormons wartet. Er hat eine entsprechende Bindungsstelle für „sein“ Hormon – dieses passt also wie ein Schlüssel in das Schloss des Rezeptors. Sitzt der Schlüssel im Schloss, wird in der Zelle eine Reaktion angestoßen: Die Zelle liefert zum Beispiel Energie oder sie wächst und teilt sich. Die Art der Reaktion hängt nicht vom Hormon ab, sondern vom Rezeptor und vom Gewebetyp, zu dem die Zelle gehört. Hormonrezeptoren können außen an der Zelle sitzen (in der Zellmembran), im Zellinneren (Zytoplasma) oder im Zellkern, wo sie mit dem Erbgut, der DNA, interagieren.

Es gibt zwei Typen von Östrogenrezeptoren, Alpha und Beta, und sie sitzen im Inneren der Zellen, die die Östrogene ansteuern. Als kleine fettige Moleküle (Steroidhormone) können Östrogene nämlich ähnlich wie das chemisch verwandte „Stresshormon“ Kortison durch die Membranen der Zellen schlüpfen und in den Zellkern gelangen, um dort Gene zu beeinflussen! In diesem Sinne sind sie mächtiger als beispielsweise die Peptidhormone, die es schon bei Einzellern gibt und die nur an den Zellaußenseiten andocken können. Und sie sind vielseitiger.

„Die Östrogene wirken dabei keineswegs nur als ‚Sexualhormone‘“, schreibt Ziller, „sie müssen aus heutiger Sicht vielmehr als ‚Stoffwechselhormone‘ angesehen werden.“ Entsprechend finden sich Östrogenrezeptoren nicht nur in der Gebärmutter und der Brustdrüse, wo man sie erwartet, sondern laut Ziller „in nahezu allen menschlichen Geweben. Klinisch besonders relevant sind hier vor allem das Herz-Kreislauf-System, das ZNS (Zentrale Nervensystem), Knochen, Muskeln und Gelenke. Östrogene regulieren in einem gewissen Maß die Wassereinlagerung in Bindegewebe und darüber den Hautturgor“ – für Nichtmediziner: Sie glätten Falten weg. Über die Leber und andere Mechanismen steuern sie außerdem diverse Proteine und beeinflussen den Fettstoffwechsel.

Wenn ein Hormon so viele Aufgaben erfüllt und auch noch so wichtige, fragen sich Biologen ganz automatisch, wann es sich wohl in der Evolution entwickelt und wie es sich dann verändert hat. War das Östrogen vielleicht nicht immer ein Sexualhormon? Hat es als Stoffwechselhormon angefangen? 

Und tatsächlich: Es gibt einen Spezialisten für die Evolution der Steroidhormone, Joe Thornton von der Columbia University in New York. Bereits 2001 stellte er fest: Östrogen war zuerst da, es ist das älteste aus der Gruppe der Steroidhormone. Praktisch alle Wirbeltiere, vom Fisch bis zum Menschen, besitzen unterschiedliche Steroidhormonrezeptoren, wirbellose Tiere wie Insekten haben keine. Und bereits das Neunauge, ein besonders primitiver Fisch, den es seit 450 Millionen Jahren gibt, hat Östrogenrezeptoren. Toll! Und was machen sie bei diesem Fisch? Jedenfalls nichts mit Sex, denn die Neunaugen regulieren ihre Geschlechtszugehörigkeit auf andere Art.

Bei dieser Vorgeschichte: Wundert man sich da über Risiken und Nebenwirkungen der Östrogene? Dass sie nicht nur Brustdrüsen zum Wachsen bringen können, sondern auch – etwa bei einer Östrogentherapie gegen Wechseljahresbeschwerden – einen beginnenden Brustkrebs?

Wundert man sich noch über Stimmungsschwankungen vor der Menstruation, einer Zeit, in der Östrogen und Progesteron (ebenfalls ein Steroidhormon) im weiblichen Körper rapide heruntergeregelt werden, was sich – wie man heute weiß – massiv auf den Gehirnstoffwechsel auswirken kann? Man wundert sich nicht.

Tatsächlich fühlen sich viele Frauen in den „Tagen vor den Tagen“ elend: Sie haben düstere Gedanken, kriegen nichts auf die Reihe, ihr Selbstbewusstsein ist im Keller. Das kann bis zu Selbstmordgedanken gehen. Eine von zwölf Frauen könnte betroffen sein. „Prämenstruelles Syndrom“ hat man diese Psychose auf Zeit früher genannt, heute spricht man genauer vom „Prämenstruellen dysphorischen Syndrom“ (PMDS). Leipziger PsychiaterInnen haben unter Leitung der Wissenschaftlerin Julia Sacher kürzlich festgestellt, dass die Betroffenen an diesen Tagen viel zu wenig vom Botenstoff Serotonin in ihrem Gehirn verfügbar haben, weil zu viel davon in die Zellen zurücktransportiert wird. Ein handelsübliches Antidepressivum, dessen Wirkung auf der Hemmung der Serotonin-Wiederaufnahme beruht, an den „Tagen vor den Tagen“ zu nehmen, kann ihnen also helfen.

Ansonsten hat die monatliche Stimmungsdelle keinen tieferen Sinn, sondern ist als Nebenwirkung der weiblichen Fruchtbarkeit zu werten. Ähnlich wie andere hormonelle Krisenzeiten, etwa die Phase nach einer Geburt mit ihrem „Babyblues“. Oder die Wechseljahre mit ihren Gedächtnisproblemen. 

Seit den Tagen der ersten Neunaugen-Fische ist viel Zeit vergangen. Die Steroidhormone haben sich weiterentwickelt, haben neue Rollen bei der Fortpflanzung angenommen, aber ihre alten Funktionen nicht alle aufgegeben. Allein die weibliche Menstruation ist in ihrem Wechselspiel aus positiven und negativen Regelkreisen, die sich zwischen Gehirn und Genitalien, zwischen Nerven und Hormonen abspielen, ein Wunderwerk der Zellkommunikation, das noch gar nicht ganz verstanden ist.

„Bitte nicht eingreifen!“, möchte man rufen. Bitte nicht eingreifen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.

 

Ausgabe bestellen
Anzeige
'

Anzeige

 
Zur Startseite