Glücksbringerin: Ganz der Papa

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Wenn Katja Panner-Thorack und Karl Panner in Herne-Eickel über die Straße gehen, lächeln die Menschen. Sie bleiben stehen, kommen an den Gartenzaun, sie winken. Sie lächeln so, wie man es tut, wenn man eine alte Spielzeugkiste auf dem Speicher findet. Ein Hauch von fröhlicher Erinnerung durchweht die ganze Koloniestraße. Denn Katja und Karl sehen so aus, wie Glücksbringer immer schon ausgesehen haben: schwarze Jacke mit Goldknöpfen, Zylinder auf dem Kopf und den Besen mit der Stahlkugel über der Schulter. Der Schonsteinfeger
ist da. Beziehungsweise die Schornsteinfegerin.

Katja und ihr Vater ziehen die Leiter auseinander und legen sie an die Hauswand des alten Bergmannhauses an. Dann steigen sie hoch bis zur Dachrinne. Und sie gehen auf der Dachleiter immer weiter hoch, aufrecht, ohne sich festzuhalten, bis zum Schornstein. Da wird einem allein vom Zuschauen ganz schwindelig. Aber Katja und Karl scheinen da oben in ihrem Element zu sein. Sie stehen neben dem Backsteinkamin und genießen die Aussicht auf ganz Herne-Eickel.

Die alte Bergarbeitersiedlung, in der an so manchem Haus noch ein trotziges Glückauf steht, ist umgeben von stillgelegten Steinkohle-Dinosauriern. Pluto, Julia, Königsgrube, Shamrock, Hannibal. Stolze Namen und eine stolze Tradition. Und jetzt nichts mehr wert. „Die Kohleöfen, die gibt es fast nicht mehr“, sagt Vater Karl ein wenig wehmütig. Hier in der Siedlung gibt es gerade noch zwei.

Dass Katja eines Tages die Jacke mit den Goldknöpfen und einen schwarzen Zylinder tragen würde, war eigentlich schon vor 31 Jahren klar. Da war Katja fünf. Und wenn Karneval war und sie zu ihrem Onkel nach Köln fuhr, kam nur ein Kostüm infrage: Schornsteinfeger. Schwarze Jacke, schwarze Hose und ein Zylinder. Der Opa baute seiner Enkelin sogar eine kleine, leichte Holzleiter, die Katja über die Schulter schwang.

Diese Karnevalsschornsteinfegerin verfügte im Alter von fünf Jahren bereits über ein Jahr Berufserfahrung. Denn Katja durfte ab vier Vater Karl begleiten, durfte mit hoch aufs Flachdach und mit runter in den Heizungskeller. Wenn der Vater in den Miethäusern klingelte und die beiden im Hausflur standen, rief die kleine Katja mit kräftiger Stimme: „Der Schornsteinfeger fegt jetzt!“

Wie konnte es also passieren, dass Katja mit 15, als sie kurz vor dem Abschluss stand, ihr Schulpraktikum in einem Kindergarten machte? „Keine Ahnung“, lacht sie, als wir bei einer Pause vor dem Kiosk der Familie Yilmaz sitzen. Yilmaz’ haben uns für unser kurzes Gespräch mit einladender Geste ihre komplette Gartengarnitur überlassen, und da sitzen wir nun vor dem klassischen Ruhrpott-Kiosk, zwischen uns die Geranientöpfe. „Kindergärtnerin“, sagt Katja mit schmerzverzerrtem Gesicht, „das war der Traum aller Mädchen, also habe ich das auch gemacht. Aber nach einem Tag hätte ich nur noch um mich schlagen können. Frühlingsblumen basteln! Singen! Klatschen! Und das den ganzen Tag. Also neeee! Das war gar nichts für mich!“

Vater Karl nickt. Für ihn war es keine große Überraschung, als Katja, die älteste seiner drei Töchter, nach dem missglückten Ausflug in die ‚Welt der Mädchen‘ zu ihm kam und sagte: „Papa, was muss ich tun, um Schornsteinfeger zu werden?“

Karl fragte bei den Kollegen herum, wer seine Tochter ausbilden würde. „Ich wollte sie auf keinen Fall selbst ausbilden. Sie sollte sich erst mal bei anderen bewähren.“ Aber das war damals noch nicht so einfach. Eine Frau? Als Schornsteinfegerin? „Du bist eine Frau, du bist ja eh bald schwanger.“ Oder: „Du schaffst die körperliche Arbeit doch gar nicht.“ Das waren so die Klassiker, die Katja am Anfang zu hören bekam. Manche Schornsteinfeger rückten auch verlegen mit dem Geständnis heraus, dass die Ehefrau dagegen sei, eine Frau einzustellen. Denn als Schornsteinfeger arbeitet man den ganzen Tag zusammen, zu zweit, der Meister und der Geselle beziehungsweise die Gesellin. Das ist eine enge, vertrauensvolle Beziehung. Denn da oben auf den Dächern muss man sich aufeinander verlassen können. „Bis heute kommt es vor, dass die Ehefrau bei den Bewerbungsgesprächen dabeisitzt“, lacht Katja.

Aber dann bekam sie doch einen Ausbildungsplatz, sogar in Herne. Katja machte sich auf den Weg nach oben, hinauf auf die Dächer der Stadt und hinauf vom Gesellen zum Meister. Der Meister allein aber reicht noch aus nicht für das, was Katja so überaus liebt an ihrem Beruf: die Freiheit, die Unabhängigkeit und der beständige Kontakt mit Menschen. Dafür braucht der Schornsteinfeger und auch die Schornsteinfegerin noch etwas anderes: einen eigenen Kehrbezirk.

Früher gab es Wartelisten, und ein Bezirk wurde erst frei, wenn jemand in Rente ging oder starb. Heute wird ein Kehrbezirk alle sieben Jahre neu ausgeschrieben, europaweit. Mit entsprechender Konkurrenz. 36 Mitbewerber musste Katja aus dem Feld schlagen. Ein strenges Punktesystem regelt diesen heißen Wettkampf. Am Ende hatte sie es geschafft: Recklinghausen – im Regierungsbezirk Münster die zweite Frau mit eigenem Kehrbezirk.

In der Lehre hätte Katja fast geschmissen. Die beiden Männer im Betrieb machten ihr das Leben schwer. Mobbing würde man heute dazu sagen. „Die hatten beide Stress mit ihren Ehefrauen und haben das mit heftigen Wutausbrüchen an mir ausgelassen.“ Zu Hause hat Katja erst mal nichts gesagt. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Und Damenjahre schon gar nicht. Aber eines Tages bricht sie abends in Tränen aus: „Ich schmeiß hin.“ Der Vater ist zur Stelle. Er hilft Katja über diese Klippe hinweg. Er bestärkt sie darin, dranzubleiben. Zusammen sprechen sie mit Katjas Chef – und sie beendet die Lehre in einem anderen Betrieb. „Wenn mich mein Vater damals nicht ermutigt und unterstützt hätte, hätte ich das nicht geschafft.“

Und wie reagieren die Menschen, wenn plötzlich eine Frau mit der Leiter vor der Tür steht? Am Anfang war das nicht einfach. „Da sind die Männer im Raum geblieben und haben 100 Mal nachgefragt, ob ich das auch alles richtig mache mit meinen langen, lackierten Fingernägeln“, lacht Katja. „Oder sie reißen mir schon mal die Leiter aus der Hand und wollen sie für mich tragen.“ Und die Arbeitskollegen? Die grinsten, als sie Katja zum ersten Mal in der Dienstkleidung sahen.

Und grinsten noch mehr, als Katja nach bestandener Prüfung zunächst beim Vater arbeitete. Der Vater, der trägt ihr doch die Leiter und geht für die aufs Dach, hieß es. Und beim Schornsteinfegerstammtisch musste sich die Meisterin anhören: „Das kannst du uns doch nicht erzählen, dass du da raufgehst.“ Katja haucht gelassen den Dampf ihrer E-Zigarette in die Luft. „Ich musste denen einfach immer wieder sagen, dass ich genau die gleiche Arbeit mache wie ein Mann.“ Inzwischen scheint sich die Aufregung gelegt zu haben. Zu viele Frauen sind nachgerückt und haben bewiesen, dass die Sprossen einer Leiter auch eine Frau aufs Dach bringen. Und so mancher Schornsteinfeger stellt inzwischen sogar lieber Frauen ein. „Die kommen einfach besser beim Kunden an“, feixt Katja.

Warum eigentlich wird das Schornsteinfegen mit Glück verbunden? Im Mittelalter, wenn der Schornsteinfeger den Ruß aus den Kaminen holte, bedeutete das Sicherheit für Haus und Hof. Denn ein sauberer Kamin hieß, dass es nicht so leicht zu den früher häufigen Hausbränden kommen konnte.

Dass die Kugel in den Kamin geworfen wird, das ist inzwischen die Ausnahme. Heute ist viel Technik im Spiel, messtechnische Erfassungen der Gasheizungen, lüftungstechnische Berechnungen, Energieberatung. Dafür muss man immer auf dem neuesten Stand sein, sich immer wieder fortbilden. Und dann kommt noch die Büroarbeit dazu, die Abrechnungen, die Steuer. Hier sind natürlich die klassischen Familienbetriebe besser aufgestellt.

Aber Katjas Mann wollte nicht einsteigen ins Geschäft seiner Frau. Dazu schraubt er als Mechaniker zu gerne an Autos herum. Und so hat es auch heute eine Schornsteinfegermeisterin immer noch etwas schwerer als ein Meister, bei dem die Ehefrau oft den ‚Bürokram‘ erledigt. Katja kennt das allerdings schon von ihren Eltern. Da arbeitet die Mutter für die Caritas und der Vater macht seinen Betrieb allein. Dennoch ist die Familie für nahezu alle Lebenslagen gerüstet: Die mittlere Schwester ist Heizungs- und Sanitärinstallateurin und die jüngste medizinische Fußpflegerin. „Die letzte kommt mehr nach der Mutter“, sagt Karl.

Er selbst ist mit einem Vater aufgewachsen, der wenig Zeit für die Kinder hatte. Der heute 62-jährige Karl wollte es anders machen. So ging er mit den drei Mädchen klettern, schwimmen, Fahrrad fahren. Er war der erste Vater, der beim „Mutter-Kind-Turnen“ mitgemacht hat, allein unter Müttern. „Heute ist das ja normal“, sagt er, „aber damals war das was Ungewöhnliches.“

So, jetzt müssen wir aber. Frau Yilmaz bietet uns noch einen türkischen Tee an, aber ich will noch schnell eine der letzten Kohleheizungen sehen. Also räumen wir die Sitzgarnitur, Vater, Mutter und Tochter Yilmaz winken, und wir fahren zurück zur Koloniestraße, in den Keller des alten Bergmannhauses. Und da steht tatsächlich noch ein Kohleofen mit echtem Ruß. Die Klappe klemmt etwas, aber Katja hat sie mit fachmännischem Griff rasch aufgedreht. Und dann wird ein bisschen gestochert. Ein schneller Blick auf den Dachboden sagt Vater und Tochter, dass hier alles in Ordnung ist. Ein Hausbewohner taucht auf. Der typische Ruhrpottler, so scheint mir, mit Backenbart und herzlich-melancholischem Blick. Er steht im Türrahmen und verabschiedet uns.

„Bis zum nächsten Jahr“, sagt Karl und fügt hinzu: „Wenn der Kohleofen dann noch da ist.“ Der Mann macht noch ein Foto von uns dreien, der Reporterin, der Schornsteinfegerin und dem Schornsteinfeger. Und sagt: „Na klar, ist der noch da.“ Und dann schiebt er ein halb müdes, halb kämpferisches „So schnell lassen wir uns doch hier nicht unterkriegen“ nach.

Beim Abschied berühre ich, wie zufällig, nochmal schnell den Ärmel von Katja. Und eines will ich noch wissen: Warum kommen die Frauen eigentlich heute besser bei den Kunden an als die Männer? Katja überlegt nicht lange: „Viele sagen, eine Frau als Schornsteinfegerin bringt doppelt Glück.“ Na dann.

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