Zarin Katharina die Große
Man nannte sie zu ihrer Zeit die „Messalina des Nordens“ – nach jener antiken Kaiserin, die wegen ihrer Sittenlosigkeit und Grausamkeit in die Geschichte einging. Heute wird Katharina II. von Russland ganz anders beurteilt. Im 18. Jahrhundert bekam eine Frau, die sich die Freiheit nahm, einen Thron zu erklimmen und dann auch noch häufig die Liebhaber zu wechseln, sehr schnell ein anrüchiges Etikett angeheftet. So nannte Zeitgenossin Maria Theresia die russische Kaiserin nur „cette femme“, diese Frau. Und Katharina konterte in Richtung Wien mit „die alte Betschwester“. Weiberfeind Friedrich II. von Preußen musste der kriegerischen Zarin Respekt bekunden. Aber auch sonst gab es durchaus Persönlichkeiten, die ihr Format zu Lebzeiten erkannten. So bewunderte Casanova ihre Klugheit, und Voltaire nannte sie die „Philosophin auf dem Thron“. Der große Aufklärer pries sie ekstatisch, was ihr gar nicht gefiel. Sie wollte lieber kritisiert werden. „Dann kann ich sagen: Vergilt es ihm und zeig ihm, dass er unrecht hat.“ Und schließlich das russische Volk: Es verehrte seine Zarin tief. Heute ist es keine geringere als Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich Katharinas Bild gerahmt auf ihren Schreibtisch stellt. Das ist insofern passend, als die Zarin ganz wie die Kanzlerin durch ein gemeinsames Ziel vereint sind: die Orientierung auf Europa.
Katharina II. kam nicht wie die anderen Herrscherinnen der Neuzeit – Elisabeth Tudor, Kristine Wasa oder Maria Theresia von Habsburg – deshalb an die Macht, weil das Herrscherhaus keinen männlichen Erben aufzubieten hatte und eine Frau inthronisieren musste. Katharina wurde Kaiserin durch einen Staatstreich.
Dazu musste die deutsche Prinzessin erst einmal in die Zarenfamilie einheiraten – was sie mit 16 Jahren, als Braut des nachmaligen Zaren Peter III., auch tat. Sie gehört dennoch zu den großen Eheverweigerinnen der Geschichte – ganz wie die „jungfräuliche“ Elisabeth von England und die intellektuelle Kristine von Schweden. Die junge Witwe Katharina, die beim Tod ihres Gatten erst 33 Jahre zählte, sagte entschieden Nein! zu allen weiteren Heiratsanträgen. Und das nicht, weil sie die Bindung an einen Mann scheute, sondern weil sie die Macht nicht teilen wollte.
Katharina die Große hat die ganze Macht über das riesige russische Reich angestrebt, ergriffen und verteidigt. Sie regierte 34 Jahre. Ihre Versuche, Russland näher an Europa heranzuführen, waren allerdings nur teilweise von Erfolg gekrönt. Gleichwohl machen ihr großes politisches Talent, ihr diplomatisches Geschick, ihr historisches Wissen und ihre Fähigkeit, militärisch klug zu planen und zu handeln, sie zu einer der bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten der neueren Geschichte.
Katharinas Aufstieg gleicht einem wahren Märchen; niemand hätte ihn vorhersagen können. Sophie Auguste Friederike wurde 1729 als Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst und seiner Gemahlin Johanna Elisabeth in Stettin geboren. Anhalt-Zerbst war eines jener bescheidenen Duodez-Fürstentümer, über die man in England und Frankreich abschätzig lächelte. Christian August war seiner „Fieke“ zärtlich zugetan, musste allerdings aus beruflichen Gründen – er war Offizier in der preußischen Armee – oft fern von ihr sein. Mutter Johanna, bei Sophies Geburt erst 16 Jahre alt, war tief enttäuscht, keinen Sohn zur Welt gebracht zu haben und überließ das Mädchen seiner Erzieherin Babette Cardel, Tochter einer in Preußen ansässigen Hugenottenfamilie.
Diese Dame war für Sophie ein großes Glück. Sie lehrte ihren Schützling nicht nur geduldig Sprachen, Religion und Literatur, sondern wurde für die Prinzessin auch ein liebevoller Mutterersatz. Fürstin Johanna gebar bald den ersehnten Sohn, ging ganz auf in dessen Pflege und kümmerte sich kaum um ihre Erstgeborene. Das änderte sich, als Sophie herangewachsen war und es sich herumgesprochen hatte, dass die russische Kaiserin Elisabeth für ihren Nachfolger, den jungen Herzog Karl Peter Ulrich von Holstein, eine Ehefrau suchte. Johanna sorgte dafür, dass Elisabeth ein Bildnis ihrer Tochter erhielt.
Zar Peter der Große war 1725 gestorben. Er hatte das dynastische Prinzip aufgehoben und verfügt, dass jeder russische Kaiser seinen Nachfolger selbst bestimmen könne, es dabei aber unterlassen, seinerseits einen Thronfolger zu benennen. Seine Witwe, Zarin Katharina I., bestieg den Thron, und in der Folge kam es zu einer ganzen Kette von Palastrevolten und Staatsstreichen, wobei die Macht meistens weiblichen Prätendenten zufiel.
Auch die Anfang der 1740er Jahre regierende Zarin Elisabeth war durch einen Staatsstreich auf den Thron gelangt. Das Familienprinzip der Herrschaft ließ sich nämlich trotz Peters Verfügung nicht einfach abschaffen, und das Volk begrüßte in Kaiserin Elisabeth freudig die jüngste Tochter Peters I., des großen Reformators. Elisabeth blieb unverheiratet und kinderlos. Sie folgte der Anordnung des Vaters und bestimmte ihren Nachfolger selbst, achtete aber darauf, dass das Familienprinzip, durch das die Loyalität des Volkes gesichert wurde, nicht auf der Strecke blieb.
Und so kürte sie den noch kindlichen Holsteiner Peter Ulrich zum kommenden Zaren. Der war immerhin ein Enkel Peters des Großen. Kuriere reisten durch ganz Europa und suchten für Peter – im Grunde für Elisabeth – die passende Partnerin sowie die Mutter des künftigen Thronerben. Das Bildnis Sophies, das Johanna einst lanciert hatte, war in wohlwollender Erinnerung geblieben, auch hatte Friedrich II. die Prinzessin empfohlen. Und so versuchten es die Brautwerber schließlich im Fürstentum von Anhalt-Zerbst. Mutter Johanna, eine ehrgeizige Dame, war sehr geschmeichelt, der Vater eher skeptisch. War doch seine Fieke erst 14 Jahre alt.
Und die Prinzessin selbst? Sie war zu einem selbstbewussten, wissbegierigen und willensstarken Mädchen herangewachsen, und die kleine Welt von Anhalt-Zerbst war ihr längst zu eng. In ihren „Memoiren“ gesteht sie, schon als Kind von einer Krone geträumt zu haben. An ihren künftigen Gemahl dachte sie weniger. „Er war mir ziemlich gleichgültig. Aber die Krone von Russland war es mir nicht.“
Gegen den Willen des Fürsten brachen Mutter und Tochter zur langen Reise nach St. Petersburg auf. Vorläufig gab es keine bindenden Zusagen – man wollte einander erst einmal kennen lernen. Und was Sophie erhofft hatte, geschah: sie gefiel. Der Großfürst (so Peters Titel, solange er noch nicht Kaiser war) sagte ihr Artigkeiten, die Kaiserin schloss sie – fürs erste – ins Herz. Man stellte die Verlobung in Aussicht und fasste die Hochzeit ins Auge.
Zwei große Hürden hatte Sophie noch zu nehmen, ehe sie neben Peter als Großfürstin der russischen Krone entgegensehen konnte: Sie musste die Landessprache lernen, und sie musste zum orthodoxen Glauben übertreten. Russisch zu lernen fiel der sprachbegabten Sophie leicht. Mit dem Übertritt in eine andere Konfession hatte sie ebenfalls kaum Probleme. Sophie war nie sehr fromm gewesen. Als Tochter der Aufklärung, die Montesquieu, Voltaire und Diderot las, erkannte sie indessen instinktiv, dass die Kirche ein Machtfaktor war, den sie auf ihre Seite ziehen müsste. Sie ließ sich unterrichten, erwarb das griechisch-orthodoxe Basiswissen und wurde 1744 feierlich in die Kirche der „Rechtgläubigen“ aufgenommen. Um ihre Wandlung zur Russin abzurunden, erhielt Sophie einen neuen Vornamen: Katharina.
Die Hochzeit erfolgte ein Jahr später – die Braut war 16, der Bräutigam nur wenig älter. In der Hochzeitsnacht tat Peter, was er am liebsten tat: Er betrank sich und spielte mit seinen Zinnsoldaten. Als Zeichen seiner Wertschätzung ließ er Katharina teilnehmen. Ob diese Ehe je vollzogen wurde, ist zweifelhaft. Der Prinz war in Holstein lieblos mit hartem Drill von Militärs erzogen und früh um jede Lebensfreude gebracht worden. Sein einziger Spaß bestand in soldatischem Exerzieren, bei dem er Befehle erteilen konnte. Er war ein leidenschaftlicher Verehrer Friedrichs von Preußen und womöglich debil, jedenfalls besaß er keine der Eigenschaften, die von einem künftigen Zaren erwartet werden durften. Hinzu kam: Die selbstsichere deutsche Prinzessin an seiner Seite schüchterte ihn ein. Anfangs erwies er ihr noch Respekt, der später in Angst und schließlich in Hass umschlug.
In den ersten sieben Jahren ihrer Ehe war Katharina sehr einsam. Ihre Mutter war in die Heimat zurückgekehrt, und Kaiserin Elisabeth entzog der Großfürstin alle Huld, als sich herausstellte, dass es nichts wurde mit dem ersehnten Erben. Für Katharina blieben nur Repräsentationspflichten und Lektüre. Sie nutzte die Zeit und bemühte sich, das Land kennen zu lernen, das sie einmal regieren wollte.
Aber sie war auch eine sinnliche junge Frau. 23 Jahre wurde sie alt, ohne je einen Mann umarmt zu haben. Die Sitten bei Hofe jedoch waren locker. Junge Männer umwarben die hübsche Deutsche – zumal alle wussten, dass deren Ehemann lieber mit Zinnsoldaten ins Bett ging, als mit seiner Angetrauten. Katharina erwog, das Handtuch zu werfen und nach Deutschland zu den Eltern zurück zu gehen. Da bat eines Tages ihre Kammerfrau, im Auftrage der Zarin, zu einem vertraulichen Gespräch. Sie sollte Katharina einen Liebhaber zuführen, damit sie endlich ein Kind empfange und Kaiserin Elisabeth dem Volk einen Erben präsentieren konnte. Peter war offenbar eingeweiht, denn er stellte sich nicht quer.
Und so begann Katharina eine leidenschaftliche Affäre mit dem jungen Hofmann Sergej Saltykow, dem Kammerherrn ihres Gatten. Der gemeinsame Sohn Paul kam 1754 zur Welt. Er wurde von Peter als ehelich anerkannt und dem Reich als Erben vorgestellt. Nach Katharinas Tod gelangte er als Paul I. auf den Thron.
Jetzt, als Mutter eines Prinzen, war Katharina in Ansehen und Bedeutung aufgestiegen. Und glücklich überließ sie sich der amourösen Szene des Hoflebens. Als es mit ihr und Saltykow zu Ende ging, wählte sie einen neuen Favoriten. Sie wurde noch zweimal Mutter. Tochter Anna zeugte sie mit Günstling Stanislaus Poniatowski und ihren jüngsten Sohn Alexej mit dem General Grigorij Orlow.
Alle diese Männer erhofften sich von Katharina, als sie Witwe geworden war, die Ehe und damit erhöhten Einfluss. Aber die Herrscherin dachte niemals an Heirat. Sie hatte erlebt, dass sich erotische Bindungen politisch ausnutzen ließen und handelte entsprechend. Katharina brachte es zur Meisterschaft im Hazardspiel um Liebe und Macht.
Am Petersburger und am Moskauer Hof hatte sich nach dem Tod Peters des Großen unter dem Zepter mehrerer Zarinnen das Klima gewandelt. Es entstand ein Milieu, in dem junge attraktive Höflinge um Ansehen buhlten, und es ging zu wie am Hofe des Sonnenkönigs, nur dass die Kurtisanen von Moskau und Petersburg männlichen Geschlechts waren. Unter Katharinas Regiment erlangte die Kultur der männlichen Koketterie ihren Höhepunkt. Ein schönes Beispiel dafür, dass die Bereitschaft von Personen bei Hofe, durch erotischen Reiz Vorteile zu erlangen, nicht vom Geschlecht abhängt, sondern von den Machtverhältnissen.
1761 stirbt Kaiserin Elisabeth. Katharinas Gatte Peter III. besteigt den Thron. Er verfügt als erstes die Einziehung der Kirchengüter, um die Staatsverschuldung abzutragen. Dann schließt er ohne Vorteil Frieden mit seinem Idol Friedrich von Preußen, der im noch andauernden Siebenjährigen Krieg Russlands Gegner war. Und er rüstet zu einem Feldzug gegen Dänemark, um den Holsteinern beizustehen.
Der Klerus ist entsetzt, weil er seine Pfründe schwinden sieht. Die Militärs schnauben – wegen des vorschnellen Friedens mit Preußen und der neuen Kriegspläne. In Adelskreisen hält man eh nichts von Peter. Die Garde bespricht sich mit Grigorij Orlow. Man hinterträgt der Kaiserin, dass ihr verhasster Mann plane, sie in ein Kloster abzuschieben. Jetzt kommt alles zusammen: Katharinas Ehrgeiz, die Wut der Garderegimenter und das Misstrauen der Grundherren gegen den schwachsinnigen Peter. Der junge Zar wird gestürzt und inhaftiert. „Er verließ den Thron wie ein Kind, dass man zu Bett schickt“, sagte Friedrich II. über ihn.
Katharina wird zur Kaiserin ausgerufen. Legitime Ansprüche hat sie nicht. Die Macht verdankt sie einem Staatsstreich. Aber die Garde steht hinter ihr. Und das Volk jubelt. Kurz darauf wurde Peter in seinem Gefängnis erdrosselt. Dahinter steckte Orlow mit seinen Brüdern. Er wollte ganze Arbeit leisten. Die Geschichtsschreibung ist sich einig, dass Katharina von diesem Komplott nichts wusste. Aber sie machte mit, indem sie den Mord vertuschen half und verbreiten ließ, ihr Gatte sei einer Kolik erlegen.
Jetzt hatte Katharina ihre Krone. Und sie ging gleich daran, das Werk Peters des Großen, der Mütterchen Russland so nah wie möglich an Europa heranführen wollte, fortzusetzen. Die Beschlagnahme der Kirchengüter machte sie, entgegen ihrem Versprechen, nicht rückgängig. Sie ermahnte den Klerus: „Sie sind Nachfolger der Apostel, denen Gott befohlen hat, den Menschen Verachtung für den Reichtum beizubringen, und die selbst sehr arm waren. Ihr Reich war nicht von dieser Welt. Ich habe diese Wahrheiten sehr oft aus Ihrem eigenen Mund gehört. Wie erdreisten Sie sich, ohne gegen Ihr eigenes Gewissen zu handeln, so große Reichtümer, so ungemessene Ländereien zu besitzen?“ In späteren Jahren erließ sie ein Toleranzedikt, das Religionsfreiheit gewähren sollte. Für eine Verwaltungsreform arbeitete sie detaillierte Pläne aus, eine Justizreform sollte das russische Recht, das bei jeder Völkerschaft anders aussah, vereinheitlichen. Und schließlich zerbrach sich Katharina den Kopf, wie sie die bäuerliche Leibeigenschaft, die in Russland der Sklaverei gleichkam, aufheben oder doch abmildern könnte. Auch die Bildung musste und wollte die Kaiserin heben. Selbst unter der adligen Bevölkerung konnten breite Schichten nicht lesen und schreiben! Katharina hatte viel zu tun, sehr viel – zu viel. Usurpatorin, die sie war, konnte sie nicht Kaiserin bleiben ohne die Unterstützung der Gruppen und Kreise, die sie an die Macht gebracht hatten: des Adels und des Militärs. Also musste sie sämtliche Pläne zur Aufhebung der Leibeigenschaft beiseite legen, denn in diesem Punkt ließen die Grundherren nicht mit sich spaßen. Ja, sie kam nicht mal drumherum, den dringendsten Forderungen des Adels: Befreiung von der traditionellen Pflicht, in Militär und Verwaltung Dienst zu tun, nachzukommen. Im Alter gestand sie: „Alles, was ich für Russland tun konnte, war nicht mehr als ein Tropfen in einem Ozean.“
Bauernaufstände, darunter ein blutiger Bürgerkrieg mit dem Abenteurer Pugatschow (der sich als auferstandener Peter III. ausgab) an der Spitze, ließ Katharina mit äußerster Härte niederschlagen. Pugatschow starb unterm Fallbeil.
Dass sowohl die Verwaltungs- als auch die Justizreform Stückwerk blieben, belastete die Kaiserin schwer. Sie hatte sich so viel davon erhofft. An den französischen Philosophen und Mathematiker, Mitautor der berühmten Enzyklopädie, Jean-Baptiste d’Alembert, schrieb sie: „Sie werden sehen, wie ich, zum Nutzen meines Reiches, Montesquieu geplündert habe. Sieht er meine Arbeit von der anderen Welt aus, so wird er mir das Plagiat hoffentlich verzeihen, um der Wohltaten willen, die sich daraus für zwanzig Millionen Menschen ergeben sollen. Sein Werk (‚Vom Geist der Gesetze‘) ist mein Gebetbuch.“
Doch die Zarin musste begreifen, dass das Riesenreich mit seiner enormen Rückständigkeit nur langsam, in kleinen Schritten, aus dem Mittelalter herausgeführt werden könnte. Und so unterstützte sie Manufakturen und Fabriken, holte ausländische Industrielle ins Land, siedelte die ersten „Wolgadeutschen“ im russischen Kernland an.
Im Bereich der Bildung und der medizinischen Versorgung konnte Katharina echte Fortschritte bewirken. Sie führte das Volksschulwesen ein und die Pockenimpfung, gründete Akademien und Universitäten und sorgte dafür, dass diese Institutionen ausreichende Mittel erhielten. So ist sie die Wegbereiterin jener wunderbaren Blüte der russischen Literatur im 19. Jahrhundert gewesen. Sie selbst schrieb (unter Pseudonym) aufklärerische Artikel im jungen russischen Pressewesen und mehrere Komödien, die auch aufgeführt wurden.
Die Russen hielten zu ihrer Kaiserin. Wie kam das, wo sich doch das Los der großen Mehrheit, der Bauern, eher noch verschlimmerte und sie an den immensen Privilegien des Adels nicht rührte? Wo sie viele Hoffnungen enttäuschte, Abgaben erhöhte und, tief verstört durch die französische Revolution, die Zensur verschärfte? Wo sie schließlich keine Russin, sondern eine westlich orientierte Deutsche war?
In der Geschichte haben immer die Souveräne die größte und nachhaltigste Verehrung auf sich gezogen, die erfolgreiche Feldherren waren, von Julius Cäsar bis zu Friedrich von Preußen. Auch Katharina die Große gehört in diese Reihe. Ihre Generäle Orlow und später Potemkin verschafften ihr territorialen Zugewinn in zwei türkischen Kriegen und drei polnischen Teilungen. Als Machtpolitikerin hat sie reüssiert – so sehr auch ihre Moral (denkt man an Polen) gelitten haben mag. Sie hinterließ bei ihrem Tod ein vergrößertes Russland mit einer gut ausgerüsteten Armee. Die sozialen Verhältnisse aber – sieht man ab vom Bildungswesen – waren aus der mittelalterlichen Rückständigkeit kaum weiter herausgewachsen.
Bis zu ihrem Tod im 68. Lebensjahr hatte Katharina Liebhaber, die sie stets reich beschenkte und einfühlsam behandelte, selbst, wenn sie ihrer schon überdrüssig war und den nächsten ins Auge gefasst hatte. Dass ihre erotische Energie nicht verebben wollte, rechnete man ihr im außerrussischen Europa als Makel an – während man gleichzeitig männliche Fürsten, die sich bis ins Alter mit schönen Mätressen umgaben, hoch schätzte. Dabei war Katharina, bei allem, was wir über sie wissen, eine treue Seele mit einem heiteren Gemüt und einem mitreißenden Humor. Es waren die stolzen Impulse ihrer Jugend und die demütigende Farce ihrer Ehe, die diese Frau dazu bewogen, sich selbst in die Libertinage zu entlassen, als sie die Macht dazu besaß. Wer ihr gefiel, den schloss sie in ihre Arme. Zugleich waren die Beziehungen zu Orlow und später Potemkin vertraut und dauerhaft.
Katharina die Große starb 1796 nach einem Schlaganfall. „Wenn meine Zeit kommt“, so ihre Worte, „will ich keine Klageweiber und Heulsusen um mich haben, sondern standhafte Seelen und frohe Gesichter.“ Doch alle, die ihr in der letzten Stunde nahe waren – Minister, Liebhaber, Ärzte und Sohn Paul – weinten herzzerreißend.
Zum Weiterlesen
Gina Kaus: Katharina die Große;
Simon Sebag Montefiore: Katharina die Große und Fürst Potemkin;
Katharina die Große/Voltaire: Monsieur – Madame. Der Briefwechsel zwischen der Zarin und dem Philosophen (vergriffen).