"Ein kleines saftiges Loch"

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"Ich bat sie, das Bad für mich einlaufen zu lassen. Sie tat so, als könne sie sich nicht dazu entschließen, tat es aber dann doch. Eines Tages, als ich in der Wanne saß und mich abseifte, bemerkte ich, daß sie die Handtücher vergessen hatte. ,lda', rief ich, 'bring mir ein paar Handtücher!' Sie kam ins Badezimmer herein und brachte sie mir. Sie hatte einen seidenen Morgenmantel und Seidenstrümpfe an. Als sie sich über die Wanne beugte, um die Handtücher auf das Gestell zu hängen, öffnete sich ihr Morgenmantel eine Handbreit. Ich kniete mich hin und vergrub meinen Kopf in ihrem Vlies. Es ging so schnell, daß sie nicht Zeit hatte, sich dagegen zu wehren oder auch nur so zu tun, als wehre sie sich dagegen. Im nächsten Augenblick hatte ich sie samt Strümpfen und allem in die Wanne gezogen. Ich streifte ihr den Morgenmantel ab und warf ihn auf den Boden. Die Strümpfe durfte sie anbehalten - das ließ sie lüsterner, mehr nach dem Cranach-Typ aussehen. Ich legte mich zurück und zog sie auf mich. Sie war wie eine läufige Hündin, biß mich überall, schnappte nach Luft und wand sich wie ein Wurm am Angelhaken. Als wir uns abtrockneten, beugte sie sich herunter und fing an, an meinem Schwanz zu lekken. Ich saß auf dem Rand der Wanne, und sie kniete, ihn gierig verschlingend, zu meinen Füßen. Nach einer Weile ließ ich sie aufstehen und sich bücken. Dann besorgte ich es ihr von hinten. Sie hatte ein kleines, saftiges Loch, das mir wie ein Handschuh paßte. Ich biß in ihren Nacken, ihre Ohrläppchen, die empfindliche Stelle ihrer Schulter, und als ich mich von ihr löste, hinterließ ich das Mal meiner Zähne auf ihrem schönen weißen Hintern. Nicht ein Wort wurde zwischen uns gesprochen."

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Diese farbenreiche Beschreibung stammt aus Henry Millers berühmtem Roman Sexus, der in den vierziger Jahren in Paris veröffentlicht wurde, aber von den hygienischen Küsten Amerikas bis zur Herausgabe durch die Grove Press 1965 verbannt war. Miller, alias Val, erzählt, wie er Ida Verlaine, die Frau seines Freundes Bill Woodruff, verführt. Als Sexualbericht enthält der Auszug jedoch wesentlich mehr als die Beschreibung der rein biologischen Handlung, die der Erzähler mit ,Ficken' bezeichnet. Ja, es ist gerade dieser andere Inhalt, der dem Vorfall seinen Wert und Charakter gibt.

Man muß sich die Umstände und Zusammenhänge dieser Szene vor Augen halten: Val hat Bill Woodruff gerade vor dem Variete getroffen, in dem Ida Verlaine auftritt. Dies erinnert den Helden an seine sexuellen Abenteuer vor zehn Jahren, und so folgen in der weitschweifigen Art von Millers Erzählstil elf Seiten lebhafter Vergegenwärtigungen. Da ist zuerst Ida selbst:

Sie war genauso, wie ihr Name klang - hübsch, eitel, theatralisch, treulos, verwöhnt, verhätschelt, verpäppelt. Schön wie eine Puppe aus Meißner Porzellan - nur daß sie rabenschwarze Flechten und beseelte japanische Schlitzaugen hatte. Falls sie überhaupt eine Seele besaß. Sie ging vollkommen im Körperlichen auf, lebte ihren Sinnen, ihren Begierden - und leitete die Schau, die Körperschau, mit ihrem tyrannischen kleinen Willen, den der arme Woodruff als monumentale Charakterstärke auslegte ... Ida verschlang alles wie eine Anakonda. Sie war herzlos und unersättlich.

Als Familienfreund hat Val das Recht, die Nacht bei den Woodruffs zu verbringen, und während Ehemann Bill zur Arbeit geht, wird Val das Frühstück ans Bett serviert. Vals Taktik, Ida dazu zu bringen, ihn zu bedienen, ist im Hinblick auf folgende Bemerkung wichtig: Der Gedanke, mich im Bett zu bedienen, war ihr zuwider. Sie tat das nicht für ihren Mann und vermochte nicht einzusehen, warum sie es dann für mich tun sollte. Im Bett frühstücken war etwas, was ich nur bei Woodruffs tat. Ich tat es eigens, um Ida zu ärgern und zu demütigen.

Einer der Mythen, die den Kern eines jeden Romans von Miller bilden, ist der Protagonist, der immer eine Fassung des Autors selbst darstellt; er ist sexuell un widerstehlich und zu einem beinahe mystischen Grad potent. Es soll den Leser daher nicht überraschen, daß Ida in seine Hände fällt. Doch um auf den ersten langen Auszug zurückzukommen: die Szene liest sich wie ein Schlachtplan, in dem der Held die aggressive Rolle übernimmt und die fügsame Rolle der 'Heldin' der Episode, Ida, zugeteilt wird. Sein erster Schachzug besteht darin, Handlangerdienste zu erzwingen, indem er zum Beispiel nach einem Handtuch verlangt und Ida damit in die ihr angemessene Rolle einer Gastgeberin und Dienerin verweist.

Daß Ida Seidenstrümpfe und einen leicht abstreifbaren Morgenrock trägt, ist nicht nur bequem, sondern schon beinahe eine reine Romanze. Weibliche Leser mögen einwenden, daß man Strümpfe wohl kaum ohne Hüft- oder Strapsgürtel tragen kann, doch die klassisch-männliche Phantasie diktiert, daß die aufregendsten Ausnahmen zur Nacktheit nur hauchdünnes Material sein dürfen, wie eben Strümpfe oder Unterwäsche.

Val macht den ersten Zug: ,lch kniete mich hin und vergrub meinen Kopf in ihrem Vlies.' Der Ausdruck 'Vlies' schlägt den Ton an, den die ganze Passage hat - ein Ausdruck, den Männer gebrauchen, wenn sie sich gegenseitig und von ihrem Gesichtspunkt aus Abenteuer erzählen. Noch eindeutiger in bezug auf den wahren Charakter der Handlung ist der Kommentar, der gleich darauf folgt: 'Es ging so schnell, daß sie nicht Zeit hatte, sich dagegen zu wehren.' Da die ganze Szene keine Beschreibung von heterosexuellem Geschlechtsverkehr zwischen zwei erwachsenen Menschen ist, sondern Geschlechtsverkehr als Machtausübung zeigt, ist 'wehren' ein aufschlußreiches Wort. Val hatte den Leser bereits darüber unterrichtet, daß sie ,mich in ihren Bann bringen wollte, mich auf dem Seil tanzen lassen wollte, wie sie es mit Woodruff und ihren anderen Liebhabern getan hatte'. Die Frage ist jetzt natürlich, wer von den beiden auf dem Seil tanzen und wer der Herr der Lage sein wird.

Nachdem Val Ida unter seine Herrschaft bekommen hat, handelt er schnell, um jeder Auflehnung zuvorzukommen. Dies ruft das nächste bemerkenswerte Ereignis hervor - Val zieht sie sozusagen in sein Element und damit in die entschieden lächerliche Lage, bekleidet in der Badewanne zu sitzen. Auch hier drückt die Sprache wieder die Machtposition aus: 'lch hatte sie in der Badewanne.' Der Leser wird erneut darauf aufmerksam gemacht, daß dem Erzähler für Vals Geschwindigkeit und Beweglichkeit Anerkennung gebührt; Ida wird im Handumdrehen in die Badewanne gezerrt. Nachdem er so die Initiative übernommen hat,  entkleidet Val seine Beute ihres überflüssigen Morgenrocks und wirft ihn auf den Boden.

Die Strümpfe und die Nacktheit dienen dem ästhetischen Genuß; sie tragen dazu bei, Ida Jüsterner, 'mehr nach dem Cranach-Typ aussehen' zu lassen. Die zarte Vollkommenheit eines Cranach-Typs war bereits vorher  vergleichsweise als Idas Körpertyp erwähnt worden. Die Übereinanderlagerung der Unschuld und des Seltenheitswertes eines solchen Bildes mit der traditionellen Hürchen-Figur in Seidenstrümpfen ist eine großartige Strategie. Das Wort 'lüstern' deutet auf bewußte Sinnlichkeit und hängt von einem Geschmack fürs  Geile und besonders für das im Sexakt Erniedrigende ab. Diese Einstellung baut wiederum klar auf der puritanischen Überzeugung auf, daß Sexualität tatsächlich schmutzig und lächerlich ist. Bei dem fraglichen Cranach handelt es sich wahrscheinlich um die zarte und morbide Eva aus der Paradiestafel, jetzt auf
Pin-up-Girl zurechtgemacht.

Val aber macht ruhig weiter - sein Benehmen ist kühl selbstsicher und stinkt nach Bequemlichkeit. 'lch legte mich zurück und zog sie auf mich.' Was darauf folgt, ist rein subjektive Beschreibung. Der Held hat aufgehört, sich zu bewundern, und verliert sich nun in einem Staunen über seine eigene Wirkung, denn die Feuerwerke, die jetzt sprühen, stammen von Ida, auch wenn sie von einem Pawlowchen Mechanismus ausgelöst werden. Wie der berühmte programmierte Hund, besser noch, wie 'eine läufige Hündin', reagiert Ida auf die geschickten Manipulationen des Helden: '... sie biß mich überall, schnappte nach Luft und wand sich wie ein Wurm am Angelhaken.' Die Reaktion des Helden hingegen schließt einen ähnlichen Fall tierischen Mangels an Selbstkontrolle aus. Er ist der Angelhaken, und sie ist der Wurm: dies deutet ganz klar auf stählerne Selbstzucht hin, die mit einer amourösen Dienstbarkeit und kriecherischen Verletzlichkeit lebhaft kontrastiert. Ida hat es - in der doppelten, aber eng verwandten Bedeutung des Wortes - gehabt. Jetzt hat er Ida so an der Angel, daß sie zu ihrem ersten Zug bereit ist: '... beugte sie sich herunter und fing an, meinen Schwanz zu lecken.' Der Schwanz des Helden, jetzt der strahlende Mittelpunkt, ist immer noch ein Haken, an dem Ida in einen einfältigen Fisch verwandelt ist. (Vielleicht waren alle diese Wassermetaphern von der Badewanne inspiriert.)

Auch die Positionen sind nun wesentlich vertauscht. 'lch saß auf dem Rand der Wanne, und sie kniete, ihn gierig verschlingend, zu meinen Füßen.' Die Machtverhältnisse sind jetzt klar umrissen. Dem Helden bleibt nichts mehr zu tun, als seinen Sieg in  einer arroganten, letzten Geste zu bestätigen: 'Nach einer Weile ließ ich sie aufstehen und sich bücken. Dann besorgteich es ihr von hinten.'

Was der Leser hier aus zweiter Hand erlebt, ist ein beinahe übernatürliches Machtgefühl - falls der Leser ein Mann ist. Der Auszug bezeugt ein lebhaftes und einfallsreiches Ausnutzen von Umständen, Detail und Zusammenhang, dazu bestimmt, die Erregungen des Geschlechtsaktes zu provozieren. Gleichzeitig bedeutet er eine männliche Machtbestätigung durch eine schwache, gefügige und ziemlich unintelligente Frau. Es handelt sich um einen Fall von Sexualpolitik auf der  untersten   Ebene.

Zweifellos häufen sich über dem Triumph des männlichen Egos die Befriedigungen von Held und männlichem Leser gleichermaßen und finden in folgender Feststellung ihren plastischen Ausdruck: ,Sie hatte ein kleines, saftiges Loch, das mir wie ein Handschuh paßte.' Daraufhin macht der Held dem Leser mit der Beschreibung Appetit, wie er sich an seinem Objekt nährt: ,lch biß in ihren Nacken, ihre Ohrläppchen, die empfindliche Stelle ihrer Schulter, und als ich mich von ihr löste, hinterließ ich das Mal meiner Zähne auf ihrem schönen weißen Hintern.' Der letzte Biß ist ein Mal, das Besitz und Gebrauch kennzeichnet und, mehr noch, die innere Einstellung äußerlich dokumentiert. Val hatte uns vorher informiert, daß Bill Woodruff ein so absurder und verliebter Kriecher sei, daß er sich dazu erniedrigt hatte, diesen  Teil der Anatomie seiner Frau zu küssen. Unser Held berichtigt die Beziehung zwischen den Geschlechtern durch eine, wie er glaubt, den wirklichen Verhältnissen besser entsprechende Geste.

Zweifellos ist der letzte Satz unseres Zitats der beredteste: 'Nicht ein Wort wurde zwischen uns gesprochen.' Wie ein Cowboy, der sich niemals herabläßt, seinen Hut abzunehmen, hat auch Val den ganzen Schlachtplan, einschließlich des coup de grace, ausgeführt, ohne sich auf ein einziges menschliches Wort einzulassen.

KATE MILLETT

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