Kate Millett: Sexus und Herrschaft

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Wenn das Ichbild, das eine Gruppe von sich selbst hat, durch gemeinschaftlichen Glauben, Ideologie oder Tradition nur in gehässigen Versionen existiert, muß die Wirkung schädlich sein. Diese wird noch durch eine beständige, oft sehr subtile Art der Herabsetzung verstärkt, die Frauen täglich im persönlichen Umgang erfahren, z. B. durch Eindrücke, die sie aus Bildern und Informationsmedien erhalten, oder durch Diskriminierung in bezug auf Verhalten, Anstellung und Erziehung. Es kann deshalb nicht überraschen, daß Frauen Gruppencharakteristiken entwickeln, die denen von Minoritäten und Randexistenzen gleichen. Ein einfaches Experiment von Philip Goldberg belegte, was jedermann sowieso weiß: nachdem Frauen die Verachtung, mit der sie behandelt werden, akzeptiert haben, beginnen sie, sich selbst sowie einander gegenseitig zu verachten. Der einfache Test bestand darin, Collegestudentinnen zu fragen, welche Meinung sie über eine wissenschaftliche Arbeit hatten, die von einem gewissen John McKay bzw. von einer Joan McKay geschrieben worden war. Die Studentinnen stimmten allgemein darin überein, daß John ein eindrucksvoller Denker war, Joan aber höchst mittelmäßig. Die Arbeiten waren identisch: die Reaktion war durch das Geschlecht des angeblichen Autors bestimmt worden.

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Da Frauen in einem Patriarchat meist nur 'Randbürger' sind, wenn sie überhaupt Bürgerrechte genießen, gleicht ihre Situation der anderer Minoritäten, wobei unter einer Minorität hier nicht die zahlenmäßige Unterlegenheit einer Gruppe verstanden wird, sondern deren niedrige Rangordnung. ,Eine Minoritätist eine Gruppe von Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen oder kulturellen Eigenschaften aus der Gesellschaft, in der sie leben, für eine andersartige und ungleiche Behandlungsweise ausgesondert sind.' (Louis Wirth, "Problems of Minority Groups". Es ist interessant, daß viele Frauen sich selbst nicht als diskriminiert betrachten; man kann keinen besseren Beweis für eine erfolgreiche Beeinflussung finden.)

Nur wenige Soziologen haben sich bislang in konstruktiver Weise mit dem Minoritätenstand der Frau auseinandergesetzt. In der Psychologie stehen maßgebliche Untersuchungen immer noch aus, die sich mit dem Schaden am weiblichen Selbstverständnis befassen und mit den ausgezeichneten Arbeiten verglichen werden könnten, die die Auswirkung des Rassenstandards auf Schwarze und Kolonialvölker zum Thema haben. Der bemerkenswert kleine Beitrag der modernen Forschung zu den psychologischen und soziologischen Auswirkungen der männlichen Herrschaft auf die Frau und auf die Kultur im allgemeinen zeugt von der weitverbreiteten Unwissenheit und Gleichgültigkeit der konservativen Sozialwissenschaften, die das Patriarchat sowohl als Status quo wie auch als Naturzustand hinnehmen. Selbsthaß.

Selbst das wenige, was die Sozialwissenschaften in diesem Zusammenhang in Erfahrung gebracht haben, bestätigt, daß die Frauen die bei einer Minorität zu erwartenden Charakteristiken aufweisen: Gruppenselbsthaß und Selbstablehnung, Verachtung sowohl ihrer selbst als anderer Frauen. Dies ist das Ergebnis der ständigen, wenn auch subtilen Eintrichterung einer Unterlegenheit, die allmählich als Tatsache akzeptiert wird. Ein weiteres Anzeichen für den Minoritätenstand ist die Strenge, mit der Gruppenmitglieder abgeurteilt werden. Die doppelte Moral wird nicht nur in bezug auf sexuelles Verhalten, sondern auch in anderem Zusammenhang angewendet. Dies trifft auch bei den relativ seltenen Fällen weiblicher Verbrecher zu: in vielen amerikanischen Staaten werden eines Verbrechens überführte Frauen zu längeren Strafen verurteilt als Männer. Im allgemeinen wird eine angeklagte Frau weit über ihre Taten hinaus bekannt und berüchtigt und kann aufgrund der allgemeinen Sensationslust hauptsächlich für ihr ,Sexleben' verurteilt werden. Doch ist die Erziehung zur Passivität in einem Patriarchat meist so wirkungsvoll, daß Frauen selten extrovertiert genug sind, um aus ihrem Mißverhältnis zur Gesellschaft heraus den Weg ins Verbrechen einzuschlagen. So wie jedes Mitglied einer Minorität die Exzesse eines anderen Mitgliedes entweder entschuldigen oder mit lautem Enthusiasmus verdammen muß, so sind auch Frauen in der Kritik ihrer Artgenossinnen typisch hart, rücksichtslos und ängstlich.

Der nagende Zweifel, der viele Mitglieder einer Minorität quält, daß nämlich der über ihre Unterlegenheit verbreitete Mythos letzten Endes doch stimmen könnte, hat in der persönlichen Unsicherheit der Frauen phantastische Proportionen angenommen. Manche finden ihre untergeordnete Position so schwer zu ertragen, daß sie deren Existenz überhaupt nicht anerkennen und glattweg leugnen. Eine große Anzahl jedoch erkennt die Umstände klar und gibt sie auch zu, wenn sie mit den richtigen Worten beschrieben werden.

Bei zwei Rundfragen, in denen Frauen befragt wurden, ob sie lieber als Männer geboren wären, wurde diese Frage in der einen Studie von einem Viertel der Frauen, in der anderen von der Hälfte bejaht. Wenn man Kinder fragt, die noch keine Ausweichmechanismen entwickelt haben, was ihre Wahl wäre, wenn sie eine hätten, stellt sich heraus, daß eine große Anzahl von Mädchen es vorzögen, in der Elitegruppe geboren zu sein, während die Knaben überwiegend die Zumutung, Mädchen zu sein, zurückwiesen. ("Eine Befragung von Kindern In der vierten Klasse zeigte, daß zehnmal mehr Mädchen wünschten, sie könnten Buben sein, als umgekehrt.") Die Tatsache, daß Eltern vor der Geburt eines Kindes sich meist einen Sohn wünschen, ist zu gut bekannt, als daß man sie noch besonders hervorheben müßte. Da es bald im Bereich des Möglichen liegen wird, das Geschlecht der Kinder von den Eltern wählen zu lassen, wird diese Tendenz in wissen-
schaftlichen Kreisen mit Beunruhigung betrachtet.

Vergleiche, die Myrdal, Hacker und Dixon zwischen den Attributen von Schwarzen und von Frauen angestellt haben, zeigen, daß beiden Gruppen dieselben Merkmale zugeschrieben werden: niedrige Intelligenz; Befriedigung der Instinkte oder Sinne; eine emotionelle Natur, die zugleich primitiv und kindlich ist; eine vorgepielte Begabung oder Affinität für das Sexuelle; eine Zufriedenheit mit dem Schicksal, was zugleich der Beweis für seine Angemessenheit ist; eine listige Angewohnheit zu täuschen und die Gefühle zu verbergen. Beide Gruppen sind zu denselben Besänftigungstaktiken gezwungen: zu einem sich anbiedernden Benehmen, das dazu erfunden ist, zu gefallen. Sie zeigen eine Tendenz, die schwachen Punkte zu studieren, in denen die dominierende Klasse dem Einfluß oder der Korruption erliegen könnte. Und sie spielen eine Hilflosigkeit vor, die sich trügerischer Bitten um einen Rat unter Demonstration der eigenen Unkenntnis bedient.

Es ist eine Ironie, wie die frauenfeindliche Literatur sich jahrhundertelang gerade auf diese Charakterzüge konzentrierte und ihre Attakken auf die femininen Täuschungsmanöver und ihre Verderbtheit gerichtet hat, dabei vor allem aber auf den Aspekt, der mit dem Sexuellen oder, wie solche Quellen es ausdrücken, mit der, Geilheit'zu tun hat. Wie bei allen Randgruppen, wird auch hier einigen wenigen Frauen ein höherer Rang eingeräumt, damit sie eine Art von kulturellem Polizeiregime über den Rest ausüben können. Hughes spricht bei Randgruppen von einem Rangdilemma, das Frauen, Schwarze oder Amerikaner der zweiten Generation erfahren. Die Menschen sind in der Welt 'hochgekommen', doch ist es ihnen aufgrund ihrer Abstammung nicht erlaubt, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen. Dies trifft besonders auf Karrierefrauen zu oder solche mit einer guten Ausbildung. Die Ausnahmepersonen sind oft verpflichtet, rituelle und eigenartig anmutende Verhaltenweisen zu zeigen, um ihren höheren Rang zu rechtfertigen. Charakteristisch ist die Form eines Versprechens von 'Feminität', das heißt einer Freude am Gehorchen und einem großen Bedarf an männlicher Bevormundung. Politisch gesehen sind die brauchbarsten Personen für diese Rolle Unterhaltungskünstler und öffentliche Sexobjekte. Allgemein ist festzustellen, daß in einer Minorität immer ein kleiner Prozentsatz von Glücklichen die Herrscher unterhalten darf. (Daß sie dabei auch ihre eigenen Gruppenmitglieder unterhalten, gehört weniger hierher.) In den meisten Minoritäten wird es Sportlern oder Intellektuellen erlaubt, als ,Stars' hervorzutreten. Eine Identifikation mit ihnen soll auch die weniger Glücklichen unter den anderen Gruppenmitgliedern befriedigen.

Frauen unterhalten, gefallen, befriedigen und schmeicheln Männern mit ihrer Sexualität. Für sie treffen diese Sonderumstände der Sportler und Intellektuellen nicht zu, da die übliche Erklärung für ihren niedrigeren Stand gerade darin besteht, daß man ihnen körperliche Schwäche und intellektuelle Minderwertigkeit zuschreibt. Aus logischen Gründen ist die Zurschaustellung körperlichen Mutes oder körperlicher Gewandtheit nicht hübsch (für Frauen deshalb nicht angebracht), und Anzeichen ernst zu nehmender Intelligenz sind fehl am Platz.

Kate Millet

 

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