Iris Knobloch: Führt an in Cannes

Iris Knobloch auf dem roten Teppich. - Foto: Isabelle Vautier/Starface/IMAGO
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Wenn eine die Erste ist, dann geht das zumeist mit Widersprüchen und Anfeindungen einher. Das musste auch Iris Knobloch erleben, die in Cannes gleich zwei Mal „die Erste“ ist. Die gebürtige Deutsche ist die erste Nichtfranzösin und die erste Frau, die als Präsidentin an die Spitze des legendären Filmfestivals gewählt wurde.

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Als Cannes im vergangenen Jahr die Entscheidung bekannt gab, Iris Knobloch zur Nachfolgerin von Präsident Pierre Lescure zu machen, waren der Ernennung heftige Debatten in den französischen Medien vorausgegangen. Die Kritik bezog sich zumeist auf Knoblochs Herkunft, weniger auf ihr Geschlecht – der scheidende Präsident Lescure hatte schon zu Beginn seines letzten Mandats klargestellt, dass ihm eine Frau nachfolgen müsse. Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Knobloch dann als Kandidatin des französischen Kulturministeriums ins Rennen schickte – wie in vielen französischen Kulturbelangen so hat auch im Verwaltungsrat dieses wichtigen Filmfestivals die Regierung ein starkes Mitspracherecht –, war die Aufregung groß. Eine Deutsche auf einem Spitzenposten der französischen Kulturnation?

Iris Knobloch mit ihrer Mutter Charlotte. - Foto: Lindenthaler/IMAGO
Iris Knobloch mit ihrer Mutter Charlotte. - Foto: Lindenthaler/IMAGO

Pascal Rogard, Chef des mächtigen französischen Autorenverbands SACD, spottete über Knoblochs Akzent, den die bayerische Herkunft auch im Französischen einfärbt. Sieben Berufsverbände, von Kinobetreibern bis Filmverleihern, sprachen sich gegen Knobloch aus, weil sie sie weniger als Europäerin und mehr als Vertreterin amerikanischer Medienkonzerne sahen. Und die Zeitung Le Monde ätzte in einem Porträt, in der Öffentlichkeit kenne kaum jemand Knoblochs Namen.

Wer also ist diese Frau, die sich, schon das ein Zeugnis standhaften Charakters, mit keinem Wort zu den Kampagnen gegen sie äußerte? Dass niemand ihren Namen kenne, mag vielleicht für  Frankreich gelten, in Deutschland ist er geläufiger, denn die heute 60-jährige Iris Knobloch ist die Tochter von Charlotte Knobloch, 90, der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden und heutige Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Die Mutter, die die Nazizeit in einem fränkischen Dorf überlebt hatte, wo die mutige Hausangestellte der Knoblochs sie als ihr uneheliches Kind ausgab, gab sich größte Mühe, ihre Kinder weltoffen zu erziehen, ermunterte sie früh, Erfahrungen im Ausland zu sammeln und Fremdsprachen zu lernen. Iris Knobloch spricht, neben ihrer Muttersprache Deutsch, auch Englisch und Französisch fließend. Bevor sie in die Filmbranche wechselte, arbeitete die Juristin als Anwältin in New York, Los Angeles und München.

Ende der Neunziger Jahre wechselte sie zu WarnerMedia und war für den Medienriesen 25 Jahre lang in unterschiedlichen Führungspositionen tätig, davon 15 Jahre lang für Warner France. 2021 verabschiedete sie sich von dem Unternehmen und brachte unter anderem den französischen Musik-Streamingdienst Deezer an die Börse. Sie scheint also die Richtige, um das traditionelle Kino und die Streamingdienste zusammenzuführen, was das Gebot der Stunde ist.

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Mit Cannes verbindet Knobloch eine lange Zusammenarbeit, sie hatte das Festival mit Regisseuren wie Clint Eastwood und Christopher Nolan zusammengebracht. Will man aber wissen, was Knobloch besonders qualifiziert, so muss man sich die Geschichte des Films „The Artist“ anschauen. 2011 hatte der französische Regisseur Michel Hazanavicius einen Film über Hollywood in den Dreißiger Jahren gedreht. Er war schwarz-weiß und niemand sprach ein Wort. Doch Knobloch glaubte an den Film, verteidigte ihn gegenüber der Konzernspitze von Warner, brachte ihn nach Cannes und sollte mit ihrer Wahl Recht behalten. Fünf Oscars erhielt „The Artist“. Es war die erste französische Produktion, die als „Bester Film“ ausgezeichnet wurde.

Mut zum Wagnis und ein gutes Gespür für künstlerische Ausnahmetalente zeichnen Knoblochs Arbeit also aus. Ob sie es obendrein schafft, mit ihrer Erfahrung Cannes mit den Streaming-Riesen zu versöhnen, die bislang aufgrund der Regularien dem Festival fernblieben, wird sich jetzt zeigen.

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