Kein Oscar für Philomena

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Schön, dass es noch solche Filme gibt. Unspektakulär, sexszenenfrei und ohne Happy End. Aber: ergreifend, subtil und komisch. Die Geschichte ist wahr. Philomena war eine von hunderten oder gar tausenden armen jungen Irinnen, deren uneheliche Kinder von frömmelnden Nonnen an gut situierte Amerikanerinnen verkauft wurden. Für 1000 Dollar das Stück. Regisseur Stephen Frears, der auch die hinreißende „Queen“ gemacht hat, richtet seinen Blick auf diese noch immer fromme und mitfühlende Frau, die auch mit 70 den ihr geraubten Sohn nicht vergessen kann. Und er stellt ihr den erfolgreichen aber gerade geschassten, sarkastischen Intellektuellen zur Seite. Der begleitet die Frau auf der Suche nach ihrem Kind als Reporter nach Amerika. Um der guten Story willen. Judi Dench als Philomena und Steve Coogan als Reporter sind rührend und genervt miteinander – und am Ende ist sie ein wenig hellsichtiger und er ein wenig mitfühlender. Wenn der Film zu Ende ist, fragt man sich: Warum werden nicht viel öfter solche Filme gemacht?! Filme, die uns wirklich etwas vom Leben erzählen.

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„Philomena“, jetzt im Kino

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Hollywood, die Bruderschaft

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Der Test ist von einer so auffallenden Schlichtheit, dass es eigentlich eine Kunst für jeden Filmemacher sein sollte, ihn nicht zu bestehen. „Spielen mindestens zwei Frauen mit, die auch einen Namen tragen? Unterhalten sie sich miteinander? Und über etwas Anderes als einen Mann?“, fragte die amerikanische Cartoonistin Alison Bechdel erstmals vor fast 30 Jahren, um Hollywoods Obsession mit hartgesottenen Männerfiguren zu entlarven. Die Heldinnen des Comics „Dykes to Watch Out For“, denen Bechdel die drei Fragen in die Sprechblasen schrieb, entschieden sich damals für den Science-Fiction-Thriller „Alien“, in dem Sigourney Weaver in der Rolle der kämpferischen und gleichzeitig emphatischen Raumfahrttechnikerin Ripley als erste Frau in das Actiongenre vorstieß.

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Während Weaver bis heute zu Hollywoods starken Frauen zählt, fristen die meisten ihrer Mitstreiterinnen auch mehr als 35 Jahre nach „Alien“ das Dasein cineastischer Mauerblümchen. Nach dem Bechdel-Test hat in den vergangenen Jahrzehnten fast jeder zweite Film den Sexismus-Test nicht bestanden. Kassenschlager wie die Filmtrilogie „Der Herr der Ringe“, die mit 17 Oscars ausgezeichnet wurde, oder das ebenfalls mit dutzenden Filmpreisen gefeierte Drama „The Social Network“ zeigen Frauen nur als namenlose stumme Requisiten.

Hollywood hat ein Faible für Haudegen jeder Couleur.

„Die Damen sind lediglich Trophäen“, bestätigte der New Yorker Drehbuchautor Aaron Sorkin unverblümt auf die Frage eines Journalisten, warum fast alle Darstellerinnen bei „The Social Network“ high, betrunken oder bei sexuellen Begegnungen in Badezimmern gezeigt wurden. Die amerikanische Filmakademie hat Sorkins sexistische Darstellung vor drei Jahren mit einem Oscar belohnt.

Vielschichtige Rollen sind für Hollywoods weibliche Stars bis heute rarer denn je. Von den neun nominierten Produktionen, die bei der Oscar-Verleihung am 2. März eine Chance in der Kategorie „Bester Film“ haben, erfüllen nur vier Bechdels Minimalkriterien. Schon der Blick auf die Kinoplakate zeigt vor allem testosterondominierte Männerspektakel.

Hollywoods Faible für Haudegen jeder Couleur resultiert nicht zuletzt aus der Zusammensetzung seines Epizentrums, der „Academy of Motion Picture Arts & Sciences“ (AMPAS). Wie die Los Angeles Times recherchierte, ist die Gruppe weit stärker mit Männern besetzt als bislang angenommen. Fast 4 500 der etwa 5 800 stimmberechtigten Mitglieder, die jedes Jahr die Oscars vergeben, sind männlich, Durchschnittsalter 62 Jahre. „Unter den 43 Präsidenten der Academy sind nur ein paar Frauen“, verriet die Zeitung über den geheimnisvollen Bund der Strippenzieher.

Dass Filme, die von Männern gemacht werden, auch für Männer gemacht werden, zeigen auch Oscar-Favoriten wie „Gravity“. Obwohl Sandra Bullock in dem Weltraumdrama als Missionsspezialistin Dr. Ryan Stone einen selten starken Part spielt, ist sie in der Stunde der Not doch auf George Clooney in der Rolle des Astronauten Matt Kowalski angewiesen. Nach der Zerstörung der Internationalen Raumstation rät Kowalski der Verzweifelten, mit einer Bremsrakete zu einer chinesischen Raumstation und von dort zur Erde zurückzukehren.

„Es ist ein Teufelskreis. Männer wählen die Preisträger, die Preisträger bekommen mehr Angebote und werden Teil der Bruderschaft“, moniert die Bloggerin Kamayani Bali Mahabal.

Auch im Jahr 2014 war keine Frau für den Regie-Oscar nominiert.

Bullock, die neben Meryl Streep („Im August in Osage County“), Judi Dench („Philomena“), Cate Blanchett („Blue Jasmine“) und Amy Adams („American Hustle“) in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ vorgeschlagen wurde, ist in diesem Jahr eine von 31 Frauen, die eine Chance auf einen Oscar haben, neben 151 nominierten Männern. Wie gewohnt bemüht sich die Academy deshalb wieder um den so genannten „Schnuckelchen-Faktor“. Die kurvigen Starlets, die die Filmakademie jedes Jahr einlädt, sollen den roten Teppich verweiblichen. Im Jahr 2014 wurde ein weiteres Mal keine einzige Frau für die Königsdisziplin „Regie“ nominiert. Kathryn Bigelow, die vor vier Jahren mit dem Kriegsfilm „The Hurt Locker“ den Oscar errang, ist in der 86-jährigen Geschichte des Filmpreises die bislang einzige Frau, die den Regie-Oscar holte.

Dass Hollywoods Herrenclub zunehmend am Publikumsgeschmack vorbei produziert, zeigen die seit Jahren rückläufigen Ticketverkäufe an der Kinokasse. Wie das Entertainment-Portal „Vocativ“ bei der Untersuchung der 50 lukrativsten Filme des Jahres 2013 feststellte, spielten Dramen und Komödien, die den Bechdel-Test locker bestanden hatten, insgesamt weit mehr Geld ein als männliche Stars. Für Blockbuster wie „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ und „Ich – Einfach Unverbesserlich 2“ und 22 weitere Filme mit vielschichtigen Frauenfiguren besetzt, wurden allein in den Vereinigten Staaten 2013 Tickets im Wert von mehr als 4 Milliarden Dollar verkauft. Die übrigen 26 Produktionen, die Bechdels Kriterien nicht erfüllten, brachten es dagegen lediglich auf knapp 2,7 Milliarden Dollar.

Einen wohlgemeinten Rat konnten sich Versha Sharma und Hanna Sender, die Autorinnen der Studie, deshalb nicht länger verkneifen. „Liebes Hollywood, wir wissen, wie du im Jahr 2014 ganz leicht mehr Geld verdienen könntest. Zeig einfach mehr Frauen!“

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