Hollywood, die Bruderschaft

So haben die Jungs es gern: kerlig! Wie Leonardo Dicaprio in "The Wolf of Wallstreet"
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Der Test ist von einer so auffallenden Schlichtheit, dass es eigentlich eine Kunst für jeden Filmemacher sein sollte, ihn nicht zu bestehen. „Spielen mindestens zwei Frauen mit, die auch einen Namen tragen? Unterhalten sie sich miteinander? Und über etwas Anderes als einen Mann?“, fragte die amerikanische Cartoonistin Alison Bechdel erstmals vor fast 30 Jahren, um Hollywoods Obsession mit hartgesottenen Männerfiguren zu entlarven. Die Heldinnen des Comics „Dykes to Watch Out For“, denen Bechdel die drei Fragen in die Sprechblasen schrieb, entschieden sich damals für den Science-Fiction-Thriller „Alien“, in dem Sigourney Weaver in der Rolle der kämpferischen und gleichzeitig emphatischen Raumfahrttechnikerin Ripley als erste Frau in das Actiongenre vorstieß.

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Während Weaver bis heute zu Hollywoods starken Frauen zählt, fristen die meisten ihrer Mitstreiterinnen auch mehr als 35 Jahre nach „Alien“ das Dasein cineastischer Mauerblümchen. Nach dem Bechdel-Test hat in den vergangenen Jahrzehnten fast jeder zweite Film den Sexismus-Test nicht bestanden. Kassenschlager wie die Filmtrilogie „Der Herr der Ringe“, die mit 17 Oscars ausgezeichnet wurde, oder das ebenfalls mit dutzenden Filmpreisen gefeierte Drama „The Social Network“ zeigen Frauen nur als namenlose stumme Requisiten.

Hollywood hat ein Faible für Haudegen jeder Couleur.

„Die Damen sind lediglich Trophäen“, bestätigte der New Yorker Drehbuchautor Aaron Sorkin unverblümt auf die Frage eines Journalisten, warum fast alle Darstellerinnen bei „The Social Network“ high, betrunken oder bei sexuellen Begegnungen in Badezimmern gezeigt wurden. Die amerikanische Filmakademie hat Sorkins sexistische Darstellung vor drei Jahren mit einem Oscar belohnt.

Vielschichtige Rollen sind für Hollywoods weibliche Stars bis heute rarer denn je. Von den neun nominierten Produktionen, die bei der Oscar-Verleihung am 2. März eine Chance in der Kategorie „Bester Film“ haben, erfüllen nur vier Bechdels Minimalkriterien. Schon der Blick auf die Kinoplakate zeigt vor allem testosterondominierte Männerspektakel.

Hollywoods Faible für Haudegen jeder Couleur resultiert nicht zuletzt aus der Zusammensetzung seines Epizentrums, der „Academy of Motion Picture Arts & Sciences“ (AMPAS). Wie die Los Angeles Times recherchierte, ist die Gruppe weit stärker mit Männern besetzt als bislang angenommen. Fast 4 500 der etwa 5 800 stimmberechtigten Mitglieder, die jedes Jahr die Oscars vergeben, sind männlich, Durchschnittsalter 62 Jahre. „Unter den 43 Präsidenten der Academy sind nur ein paar Frauen“, verriet die Zeitung über den geheimnisvollen Bund der Strippenzieher.

Dass Filme, die von Männern gemacht werden, auch für Männer gemacht werden, zeigen auch Oscar-Favoriten wie „Gravity“. Obwohl Sandra Bullock in dem Weltraumdrama als Missionsspezialistin Dr. Ryan Stone einen selten starken Part spielt, ist sie in der Stunde der Not doch auf George Clooney in der Rolle des Astronauten Matt Kowalski angewiesen. Nach der Zerstörung der Internationalen Raumstation rät Kowalski der Verzweifelten, mit einer Bremsrakete zu einer chinesischen Raumstation und von dort zur Erde zurückzukehren.

„Es ist ein Teufelskreis. Männer wählen die Preisträger, die Preisträger bekommen mehr Angebote und werden Teil der Bruderschaft“, moniert die Bloggerin Kamayani Bali Mahabal.

Auch im Jahr 2014 war keine Frau für den Regie-Oscar nominiert.

Bullock, die neben Meryl Streep („Im August in Osage County“), Judi Dench („Philomena“), Cate Blanchett („Blue Jasmine“) und Amy Adams („American Hustle“) in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ vorgeschlagen wurde, ist in diesem Jahr eine von 31 Frauen, die eine Chance auf einen Oscar haben, neben 151 nominierten Männern. Wie gewohnt bemüht sich die Academy deshalb wieder um den so genannten „Schnuckelchen-Faktor“. Die kurvigen Starlets, die die Filmakademie jedes Jahr einlädt, sollen den roten Teppich verweiblichen. Im Jahr 2014 wurde ein weiteres Mal keine einzige Frau für die Königsdisziplin „Regie“ nominiert. Kathryn Bigelow, die vor vier Jahren mit dem Kriegsfilm „The Hurt Locker“ den Oscar errang, ist in der 86-jährigen Geschichte des Filmpreises die bislang einzige Frau, die den Regie-Oscar holte.

Dass Hollywoods Herrenclub zunehmend am Publikumsgeschmack vorbei produziert, zeigen die seit Jahren rückläufigen Ticketverkäufe an der Kinokasse. Wie das Entertainment-Portal „Vocativ“ bei der Untersuchung der 50 lukrativsten Filme des Jahres 2013 feststellte, spielten Dramen und Komödien, die den Bechdel-Test locker bestanden hatten, insgesamt weit mehr Geld ein als männliche Stars. Für Blockbuster wie „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ und „Ich – Einfach Unverbesserlich 2“ und 22 weitere Filme mit vielschichtigen Frauenfiguren besetzt, wurden allein in den Vereinigten Staaten 2013 Tickets im Wert von mehr als 4 Milliarden Dollar verkauft. Die übrigen 26 Produktionen, die Bechdels Kriterien nicht erfüllten, brachten es dagegen lediglich auf knapp 2,7 Milliarden Dollar.

Einen wohlgemeinten Rat konnten sich Versha Sharma und Hanna Sender, die Autorinnen der Studie, deshalb nicht länger verkneifen. „Liebes Hollywood, wir wissen, wie du im Jahr 2014 ganz leicht mehr Geld verdienen könntest. Zeig einfach mehr Frauen!“

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Und dein Kind, Cate Blanchett?

Dylan Farrow schrieb einen Offenen Brief an Woody Allen. - © Frances Silver
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„Was ist Ihr liebster Woody Allen-Film? Bevor Sie antworten, sollten Sie wissen: Als ich sieben Jahre alt war, nahm mich Woody Allen an der Hand und führte mich in eine schummerige Dachkammer im zweiten Stock unseres Hauses. Er wies mich an, mich auf den Bauch zu legen und mit der elektrischen Eisenbahn meines Bruders zu spielen. Dann missbrauchte er mich sexuell. Seit diesem Tag finde ich es schwierig, mir Spielzeugeisenbahnen anzuschauen.“  

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So beginnt der Offene Brief, den die heute 28-jährige Dylan Farrow jetzt in der New York Times veröffentlicht hat. Es ist nicht das erste Mal, dass die Adoptivtochter von Mia Farrow und damals soziale Tochter von Woody Allen, diese Vorwürfe ausspricht. Sie hatte es schon als Siebenjährige getan, im Jahr 1992. EMMA berichtete damals mehrfach ausführlich über Dylans Missbrauchs-Vorwürfe und den Sorgerechtsprozess, den Allen gegen seine Lebensgefährtin Mia Farrow anstrengte. Er hatte inzwischen eine sexuelle Beziehung mit Farrows 18-jähriger Adoptivtochter Soon-Yi begonnen und wollte, nachdem Farrow sich fassungslos von ihm getrennt hatte, das Sorgerecht für drei gemeinsame (Adoptiv)Kinder.

Der Prozess endete damit, dass der Richter ihm den Umgang mit den Kindern verweigerte. Wenn die Medien überhaupt berichteten, dann über Farrow als verletzte, rachsüchtige Ehefrau und Allen als „sympathisch-zappeligen Stadtneurotiker“ (Spiegel). Dann ging man zur Tagesordnung über. Für Dylan allerdings begann eine jahrzehntelange Hölle mit Essstörungen und Selbstverletzungen.   

„Nachdem meinem Vater in einem Sorgerechtsprozess das Besuchsrecht entzogen worden war, entschied sich meine Mutter gegen eine Strafanzeige, obwohl die Staatsanwaltschaft von Conneticut bei ihren Ermittlungen Belege gefunden hatte und den Missbrauch für wahrscheinlich hielt“, schreibt Dylan heute. „Der Staatsanwalt riet wegen der ‚Zerbrechlichkeit des kindlichen Opfers' ab. Woody Allen wurde nie eines Verbrechens angeklagt.“ Und das habe sie sehr lange verfolgt, ebenso wie die Tatsache, dass Hollywood so tat, als wäre nichts gewesen. „Schauspieler überreichten ihm Preise. Sender luden ihn ins Fernsehen ein. Kritiker druckten ihn in Magazinen.“ Lange habe sie diese Ignoranz  „verstummen lassen“.

Dylan: „Es fühlte sich an, als ob mir all die Awards und Lobreden sagen sollten, dass ich die Klappe halten und abhauen sollte. Aber all die Opfer sexuellen Missbrauchs, die sich an mich wandten – um mich zu unterstützen und ihre Ängste mit mir zu teilen, als Lügner hingestellt zu werden und denen erzählt wurde, ihre Erinnerungen seien nicht ihre Erinnerungen – haben mir den Anstoß gegeben, nicht länger zu schweigen, damit auch sie nicht das Gefühl haben, weiter schweigen zu müssen.“  

In der November 2013-Ausgabe von Vanity Fair redete Dylan zum ersten Mal seit ihrer Kindheit. EMMA berichtete, aber im deutschen Blätterwald herrschte weiterhin Schweigen – wie seit 22 Jahren. In keinem der zahlreichen Interviews zum Start von Allens aktuellem Film „Blue Jasmine“ wurde die Frage nach Dylan gestellt. Als Allen kürzlich den Golden Globe für sein Lebenswerk bekam und für „Blue Jasmine“ für den Oscar nominiert wurde, hat es Dylan offenbar gereicht. „Was, wenn es dein Kind gewesen wäre, Cate Blanchett?“ fragt Dylan die „Blue Jasmine“-Protagonistin. „Oder du, Scarlett Johansson? Du hast mich als kleines Kind gekannt, Diane Keaton. Hast du mich vergessen?“

Woody Allen hat seine Sprecherin auf Dylans Offenen Brief reagieren lassen: „Mr. Allen hat den Artikel gelesen und fand ihn unwahr und beschämend.“ Und prompt sekundiert die Presse: „Es gibt Menschen in seinem Umfeld, die Dylan Farrows Anschuldigungen für unglaubwürdig halten“, schreibt die Süddeutsche. „Kein Mensch außer Woody Allen und seiner Adoptivtochter kennt die Wahrheit.“ Eins ist jedenfalls klar: Sollte Allen am 2. März einen Oscar bekommen, wird über dem strahlenden Filmhelden ein Schatten liegen. Dazu hat es 22 Jahre gebraucht – und Dylans Mut.

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