Und dein Kind, Cate Blanchett?

Dylan Farrow schrieb einen Offenen Brief an Woody Allen. - © Frances Silver
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„Was ist Ihr liebster Woody Allen-Film? Bevor Sie antworten, sollten Sie wissen: Als ich sieben Jahre alt war, nahm mich Woody Allen an der Hand und führte mich in eine schummerige Dachkammer im zweiten Stock unseres Hauses. Er wies mich an, mich auf den Bauch zu legen und mit der elektrischen Eisenbahn meines Bruders zu spielen. Dann missbrauchte er mich sexuell. Seit diesem Tag finde ich es schwierig, mir Spielzeugeisenbahnen anzuschauen.“  

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So beginnt der Offene Brief, den die heute 28-jährige Dylan Farrow jetzt in der New York Times veröffentlicht hat. Es ist nicht das erste Mal, dass die Adoptivtochter von Mia Farrow und damals soziale Tochter von Woody Allen, diese Vorwürfe ausspricht. Sie hatte es schon als Siebenjährige getan, im Jahr 1992. EMMA berichtete damals mehrfach ausführlich über Dylans Missbrauchs-Vorwürfe und den Sorgerechtsprozess, den Allen gegen seine Lebensgefährtin Mia Farrow anstrengte. Er hatte inzwischen eine sexuelle Beziehung mit Farrows 18-jähriger Adoptivtochter Soon-Yi begonnen und wollte, nachdem Farrow sich fassungslos von ihm getrennt hatte, das Sorgerecht für drei gemeinsame (Adoptiv)Kinder.

Der Prozess endete damit, dass der Richter ihm den Umgang mit den Kindern verweigerte. Wenn die Medien überhaupt berichteten, dann über Farrow als verletzte, rachsüchtige Ehefrau und Allen als „sympathisch-zappeligen Stadtneurotiker“ (Spiegel). Dann ging man zur Tagesordnung über. Für Dylan allerdings begann eine jahrzehntelange Hölle mit Essstörungen und Selbstverletzungen.   

„Nachdem meinem Vater in einem Sorgerechtsprozess das Besuchsrecht entzogen worden war, entschied sich meine Mutter gegen eine Strafanzeige, obwohl die Staatsanwaltschaft von Conneticut bei ihren Ermittlungen Belege gefunden hatte und den Missbrauch für wahrscheinlich hielt“, schreibt Dylan heute. „Der Staatsanwalt riet wegen der ‚Zerbrechlichkeit des kindlichen Opfers' ab. Woody Allen wurde nie eines Verbrechens angeklagt.“ Und das habe sie sehr lange verfolgt, ebenso wie die Tatsache, dass Hollywood so tat, als wäre nichts gewesen. „Schauspieler überreichten ihm Preise. Sender luden ihn ins Fernsehen ein. Kritiker druckten ihn in Magazinen.“ Lange habe sie diese Ignoranz  „verstummen lassen“.

Dylan: „Es fühlte sich an, als ob mir all die Awards und Lobreden sagen sollten, dass ich die Klappe halten und abhauen sollte. Aber all die Opfer sexuellen Missbrauchs, die sich an mich wandten – um mich zu unterstützen und ihre Ängste mit mir zu teilen, als Lügner hingestellt zu werden und denen erzählt wurde, ihre Erinnerungen seien nicht ihre Erinnerungen – haben mir den Anstoß gegeben, nicht länger zu schweigen, damit auch sie nicht das Gefühl haben, weiter schweigen zu müssen.“  

In der November 2013-Ausgabe von Vanity Fair redete Dylan zum ersten Mal seit ihrer Kindheit. EMMA berichtete, aber im deutschen Blätterwald herrschte weiterhin Schweigen – wie seit 22 Jahren. In keinem der zahlreichen Interviews zum Start von Allens aktuellem Film „Blue Jasmine“ wurde die Frage nach Dylan gestellt. Als Allen kürzlich den Golden Globe für sein Lebenswerk bekam und für „Blue Jasmine“ für den Oscar nominiert wurde, hat es Dylan offenbar gereicht. „Was, wenn es dein Kind gewesen wäre, Cate Blanchett?“ fragt Dylan die „Blue Jasmine“-Protagonistin. „Oder du, Scarlett Johansson? Du hast mich als kleines Kind gekannt, Diane Keaton. Hast du mich vergessen?“

Woody Allen hat seine Sprecherin auf Dylans Offenen Brief reagieren lassen: „Mr. Allen hat den Artikel gelesen und fand ihn unwahr und beschämend.“ Und prompt sekundiert die Presse: „Es gibt Menschen in seinem Umfeld, die Dylan Farrows Anschuldigungen für unglaubwürdig halten“, schreibt die Süddeutsche. „Kein Mensch außer Woody Allen und seiner Adoptivtochter kennt die Wahrheit.“ Eins ist jedenfalls klar: Sollte Allen am 2. März einen Oscar bekommen, wird über dem strahlenden Filmhelden ein Schatten liegen. Dazu hat es 22 Jahre gebraucht – und Dylans Mut.

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Woody Allen: Das lange Schweigen

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Dylan, die heute 30-jährige Adop­tivtochter von Mia Farrow und Woody Allen, geht in die Offensive. Sie berichtet in einem Interview mit Vanity Fair, dass der Kultregisseur sie im Alter von sieben Jahren missbraucht habe. Schon damals sei sie darum gebeten worden auszusagen. „Wenn ich heute mit der siebenjährigen Dylan sprechen könnte, würde ich ihr raten, mutig zu sein und eine Aussage zu machen“, sagt sie. Dylan spricht über das permanent „unangemessene Verhalten“ ihres Vaters, solange sie denken kann, und ihrer Angst. Ein Ereignis auf dem Dachboden „brachte das Fass zum Überlaufen“: „Ich war sieben. Ich habe es getan, weil ich Angst hatte. Ich wollte, dass es aufhört. Etwas in mir zerriss.“

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Erstmals bricht Dylan ihr Schweigen, heißt es nun in den Medien. Aber das stimmt so nicht. Schon im Oktober 1992 titelte EMMA aus gegebenem Anlass erstmals mit Woody Allen und seiner Adoptivtochter Dylan. Ein Jahr später berichteten wir über das vernichtende Urteil des New Yorker Familienrichters in dem Sorgerechtsprozess, den Woody Allen angestrengt hatte.

Am 4. August 1992 hatte Dylans Kindermädchen Alarm geschlagen. Sie hatte „irritierende Szenen“ beobachtet. In den darauffolgenden Tagen und Wochen erzählte die siebenjährige Dylan ihrer Mutter, dem Kinderarzt und dem Psychologen immer wieder das Gleiche: Der Vater habe sie am ganzen Körper geküsst, auch zwischen den Schenkeln, und seinen Finger in sie „rein gedrückt“. Dylan: „Es hat wehgetan. Er hat gesagt, wenn ich in dem Film vorkommen will, bleibt mir nichts anderes übrig. Er hat einfach immer wieder reingestoßen.“ Die Aussagen des Kindes wurden auf Video festgehalten.

Als es ein Jahr später zum Sorgerechtsprozess kam, den Mia Farrow in allen Punkten gewann, spöttelten die Medien in Europa und schrieb Der Spiegel: „Die böse Vermutung lag nahe, dass Mia Farrow die siebenjährige Tochter Dylan, der eine übergroße Fantasie attestiert worden war, zu ihrer ehrvernichtenden Aussage gegen den Vater manipuliert habe.“ Denn vor Gericht habe Woody Allen „so sympathisch zappelig wie nur in seinen früheren Filmen (gewirkt). Und nicht selten gab es Gelächter von der netten Stadtneurotiker-Art.“

Im März 1997 schließlich berichtete EMMA über Details. Inzwischen hatte Woody Allen die Adoptivtochter von Farrow, Soon-Yi, geheiratet. Auch die Koreanerin, die Farrow auf der Straße aufgelesen hatte, kennt Allen seit deren siebtem Lebensjahr. Als sie 17 war, flog auf, dass er seit geraumer Zeit nicht nur ein Verhältnis mit dem Mädchen hatte, sondern auch Pornobilder mit ihr gemacht hatte (die die Mutter entdeckte).

Den Kindern des netten Neurotikers war schon lange das Lachen vergangen. Auch sein Sohn hat seit 20 Jahren jeglichen Kontakt mit ihm abgebrochen. Der 39-Jährige erzählt heute, er habe Allen aus jedem Familienfoto und Video mit Photoshop entfernt. „So könnten wir das Gute sehen ohne an das Böse erinnert zu werden."

Das Urteil vom 7.6.1993

Woody Allen hatte den Prozess angestrengt. Er wollte damals das Sorgerecht für alle Kinder, die er mit der von ihm geschiedenen Mia Farrow hatte. Doch Richter Elliott Wilk erteilte Woody Allen eine vernichtende Absage: Er sprach ihn „schuldig in allen Punkten“ und gab der Mutter das Sorgerecht. Allen wurde zu den Prozesskosten, geschätzte zwei Millionen Dollar, verurteilt. Die New York Times berichtete:

In einem vernichtenden Urteil von 33 ­Seiten warf Richter Wilk Herrn Allen vor, er habe mit einer Tochter seiner Lebensgefährtin eine Liebesaffäre begonnen, habe Familienmitglieder gegeneinander aufgewiegelt und habe von den wichtigsten Dingen im Leben seiner Kinder keine Ahnung. Der Richter beschrieb Woody Allen als einen „eigennützigen, unzuverlässigen und unsensiblen“ parent. 

Der Richter verurteilte das Verhältnis Woody Allens zu seiner „sozialen“ Tochter Soon-Yi hinter dem Rücken von Mia Farrow moralisch. Und er hielt den sexuellen Missbrauch der heute siebenjährigen Dylan nicht für ausgeschlossen. Wenn auch nicht für beweisbar, die Indizien seien „unklar“. Dabei bezog sich Richter Wilk auch auf die Psychotherapeutin der kleinen Dylan, die ­Allens Verhältnis zu Dylan als „unangemessen intensiv“ bezeichnet hatte. Es sei auch noch unklar, ob Allen sich jemals „die Einsicht und Urteilsfähigkeit aneignen“ könne, die für den Aufbau einer „angemessenen ­Beziehung zu Dylan“ erforderlich ist.

Das New Yorker Gericht konstatierte bei Allen eine grundsätzliche „schwerwiegende Unzulänglichkeit“ in Sachen Elternschaft. Das Gericht stellte in so gut wie allen Punkten seine elterliche Eignung in Frage und nannte Allens Verhalten den Kindern gegenüber „missbrauchend und gefühllos“. Im Urteilsspruch heißt es wörtlich: „Herr Allen hat keinerlei elterliche Fähigkeiten gezeigt, die ihn als angemessenen Betreuer von Moses, Dylan oder Satchel ausweisen würden.“ Einzige Kritik des Richters an der Mutter: „Frau Farrows einzige Unzulänglichkeit als verantwortliche Erziehungsperson war wohl ihre fortgesetzte Beziehung mit Herrn Allen.“

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