Spioninnen: Codewort Seidenstrumpf

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Für die Einen sind sie strahlende Heldinnen, die ihr Leben riskieren für Volk und Vaterland. Für die Anderen ruchlose Verräterinnen, die keine Gnade kennen. Sicher ist nur eines: Zu allen Zeiten und in jedem Krieg wussten Spioninnen auch ihre so genannten „weiblichen“ Eigenschaften und Fähigkeiten einzusetzen.

Die schillernde Mata Hari (1876–1917) ist die berühmteste unter ihnen – aber sie hat viele Schwestern. Belle Boyd (1844 – 1900) rannte im Kugelhagel durch feindliche Linien, um der Südstaaten-Armee wichtige Informationen zu bringen. „Hoffnung, Furcht und die Liebe zum Leben und die Entschlossenheit, meinem Land bis zum Letzten zu dienen, wirkten zusammen und füllten mein Herz mit mehr als weiblichem Mut und liehen mir übernatür liche Kraft und die Schnelligkeit meiner Beine“, erinnerte sie sich später. Die 17-Jährige hat so verhindert, dass Brücken gesprengt und ein Lager abgebrannt wurde.

Ein tapferes Herz und ein unbeugsamer Charakter gehören zur Grundausstattung einer Spionin, eine Prise Abenteuerlust kann nicht schaden. Viele dieser wagemutigen Frauen waren schon als Kinder „wilde Mädchen“, tobten durch die Natur oder lernten von ihren Vätern das Reiten und Schießen. Virginia Hall (1906 – 1982) ist so eine. Eigentlich hatte sich die junge Amerikanerin aus Baltimore in den 1930er Jahren eine Karriere im Diplomatischen Dienst in den Kopf gesetzt. Das US-Außenministerium aber hielt Frauen grundsätzlich für entscheidungsschwach, redselig und „viel zu emotional“.

Natürlich, bedeutete man der Politikwissenschaftlerin, die fließend Deutsch und Französisch sprach, könne sie als Sekretärin in Botschaften arbeiten. Doch Virginia Hall hatte andere Pläne. Sie begriff den Krieg als Chance und absolvierte im Zweiten Weltkrieg die harte englische Agenten-Ausbildung. 1941 baute sie einen Agentenring in Südfrankreich auf. Und das, obwohl sie 1933 bei einem Jagdunfall den Unterschenkel verloren hatte. Die deutschen Besatzer fahndeten mit Plakaten nach der „hinkenden Dame“, der Gestapo-Chef von Lyon wütete vergeblich gegen die „kanadische Nutte“.

Schließlich musste Virginia Hall trotz Holzbein über die verschneiten Pyrenäen fliehen. Dennoch ließ sie sich 1944 erneut von einem Kanonenboot vor der Küste der Bretagne absetzen und koordinierte auf dem Plateau von Yssingeaux die Abwürfe von Waffen für die Résistance und die Gefangennahme deutscher Soldaten. Für ihren Einsatz wurde Hall hoch dekoriert – von Engländern, Amerikanern und Franzosen. 1948 wird Hall eine der ersten Agentinnen des CIA.

Oft sind es die Vaterlandsliebe, der Kampf für Gerechtigkeit und das Mitgefühl mit Unterdrückten und Verfolgten, die die Spioninnen antreiben. Aber nicht immer. Manchmal ist es auch schlicht das Geld. Wie bei Mata Hari, die in aller Welt als Synonym für „die Spionin“ gilt. Die aus einer gewalttätigen Ehe mit einem englischen Offizier in Indonesien geflohene Holländerin eroberte mit freizügigen Schleiertänzen die Bühnen Europas und die Herzen der Männer. Sie verdiente enorme Summen und gab noch größere für Kleider, Kaviar und Hotelsuiten aus. Ihr Stern sank bereits, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Greta McLeod, wie Mata Hari mit bürgerlichem Namen hieß, strandete mittellos in Amsterdam – und entdeckte Spionage als mögliche Geldquelle. Für 20 000 Franc ließ sie sich von den Deutschen anwerben. Für das Versprechen von einer Million Franc war sie gleichzeitig bereit, für Frankreich zu spionieren.

Weder der einen noch der anderen Seite hat sie je Brauchbares geliefert und am Ende selbst den höchsten Preis bezahlt. Im Februar 1917 wurde sie von den Franzosen als Agentin verhaftet, nach zermürbenden Verhören vor Gericht gestellt und – trotz vieler Proteste – zum Tode verurteilt. Am 15. Oktober des Jahres 1917 trat in Vincennes das Erschießungskommando an.

Dabei war Mata Hari trotz ihrer großen Berühmtheit keine große Spionin. „Sie war das schlechteste Pferd in meinem Stall“, bekannte ihre deutsche Führungsoffizierin Elsbeth Schragmüller: „Sie ist wirklich umsonst erschossen worden, denn gebracht hat sie nichts, was wir nicht schon längst gewusst haben.“ Seit 1915 leitete die Leutnantstochter von Antwerpen aus die Spionage gegen Frankreich. Das „Fräulein Doktor“ hatte – als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit – Abitur gemacht, Staatswissenschaften studiert und war 1913 promoviert worden. Als der Krieg ausbrach, schlug sie sich von Berlin nach Belgien durch. Beim Geheimdienst stieg die kühle Blondine, die so intelligent wie ehrgeizig war, kometenhaft auf. Sie bildete Agenten aus und führte sie. Nach dem Krieg tauchte sie unerkannt unter und nahm ihre  wissenschaftliche Karriere wieder auf.

Louise de Bettignies (1880 – 1918) war hochqualifiziert. Der Agentenring, den die Französin im Ersten Weltkrieg in Lille aufbaute, ersann eine Kurzschrift, mit der 1600 Worte unter einer Briefmarke versteckt werden konnten und entwickelte eine Geheimtinte, mit der transparentes Papier beschrieben und auf Brillengläser oder Passfotos geklebt wurde. Die so geschmuggelten Informationen passierten die Grenze mit feindlichem Stempel.

Louise de Bettignies selbst war als angebliche Käsehändlerin unterwegs, doch trug sie in ihrem Korb mehr als Camembert. Sie wählte also eine harmlose weibliche Tätigkeit, um brisante Informationen zu transportieren. Dass Männer Frauen grundsätzlich zunächst einmal Harmlosigkeit unterstellen, dieses Vorurteil nutzten viele Spioninnen weidlich. Sie fallen – anders als junge Männer – kaum auf, wenn sie sich im Alltag hinter den Fronten bewegen. Immer können sie eine Tante oder die entfernt lebende Schwester besuchen, die gerade niederkommt. Sie können ihre Kleidung unerkannt auspolstern und mit naivem Augenaufschlag das Dummchen geben.

Nicht, dass sie es nötig hätten. Die meisten waren so intelligent wie Elizebeth Friedman (1892 – 1980), die über verborgene Botschaften in Shakespeares Texten geforscht hatte und darüber zur Code-Knackerin wurde. Während der amerikanischen Prohibition in den Jahren 1920 bis 1933 entzifferte die Literaturwissenschaftlerin die codierten Funksprüche von Alkoholschmugglern. Sie spürte nicht nur deren Schiffe auf, sondern trieb auch die Verurteilungen voran.

Im Zweiten Weltkrieg leitete Friedman ganze Dechiffrier-Abteilungen des Geheimdienstes und entwickelte später ein Verschlüsselungssystem für den neu gegründeten Internationalen Währungsfonds.

Wie Elizebeth Friedman geben die meisten Spioninnen ihr ursprüngliches Leben ohne Bedauern auf. Sie schlüpfen in eine neue Identität mit anderen Namen, Sprachen und Leben. Sie lassen Familie – oft sogar die Kinder – und Freunde zurück, um im Feindesland nachts mit dem Fallschirm abzuspringen oder an fremde Küsten zu schwimmen. Sie nehmen in Kauf, dass sie sich nach einem Stück Seife sehnen wie nach einer Kostbarkeit, dass sie oft Hunger haben und in ständiger Todesgefahr leben. Deshalb müssen sie furchtlos sein.

Wie Christine Granville (1908 – 1952), eine polnische Adelige, die im Zweiten Weltkrieg im französischen Widerstand kämpfte. Eine deutsche Patrouille schlug sie mit erhobenen Handgranaten in die Flucht („Wenn ihr schießt, lasse ich die fallen und sprenge uns alle in die Luft“). Sie befreite gefangene Agenten aus den Händen der Gestapo mit einem dreisten Bluff: Sie sei die Nichte von Feldmarschall Montgomery, der am D-Day die britischen und kanadischen Truppen befehligt hatte. Die alliierten Truppen seien nun auch in Südfrankreich gelandet – und sie könne ein

gutes Wort einlegen, wenn man die Männer gehen ließe. 1952 wird Granville, die so vieles überlebt hatte, von einem abgewiesenen Liebhaber erstochen. Später wird sie das reale Vorbild sein für die fiktive Vesper Lynd, die so schöne wie geheimnisumwehte Agentin aus dem James-Bond-Roman „Casino Royale“.

Den echten Leben der Spioninnen wird erst seit einigen Jahren genauer nachgespürt. Dabei lassen die Forscher ein Thema bewusst beiseite: Dass diese Agentinnen auch getötet haben. Vor allem im Zweiten Weltkrieg hatten die kriegführenden Mächte die Ausbildung ihrer Agenten professionalisiert, auch für Frauen gehörten Nahkampf oder der Bau von Sprengfallen selbstverständlich dazu. In den Berichten über das Wirken der Spioninnen aber haben die allenfalls Schmiere gestanden, wenn Attentate auf Züge verübt wurden.

Eine Ausnahme ist wieder Christine Granville, die einmal über ein Stilett sagte: „Diese Waffe ist schnell und tödlich, ich habe bei vielen Gelegenheiten Gebrauch von ihr gemacht.“ In der Regel aber sind Spioninnen schweigsam. Sie prahlen nicht damit, dass ihre Informationen Schachzüge des Gegners verhindert oder den eigenen Truppen den Weg geebnet haben. Sie zählen nicht, wie viele Menschenleben sie gerettet haben – oder wie viele gegnerische ausgelöscht. Von den erfolgreichsten Spioninnen wird man nie hören. Sie sind nach ihrer Mission unerkannt wieder in ein normales Leben eingetaucht.

Melita Norwood (1912 – 2005) hätte das fast geschafft: Erst mit 87 Jahren flog die Rentnerin auf, die als Sekretärin eines Forschungsinstituts 39 Jahre lang Atomwissen an die Sowjetunion durchgereicht hatte. „Ich fürchte, ich war ein schlimmes Mädchen“, bekannte sie. Reue indes kannte die Unbeugsame, die Marmelade für Wohltätigkeitsbasare kochte und ihren Tee aus Che Guevara-Tassen trank, nicht. Gerechtigkeit war ihr Motiv: Russland sollte auf gleicher Höhe mit dem Westen sein.

In allen Ländern wurden Agentinnen nach Kriegsende schäbig behandelt und versanken in Bedeutungslosigkeit. So wie die Deutsche Ursula Kuczynski (1907–2000), die in mehreren Ländern und selbst als dreifache Mutter noch für die Sowjetunion spionierte und im Zweiten Weltkrieg als „rote Sonja“ durch ihre Kontakte zu Atomspion Klaus Fuchs zu einem gewissen Ruhm gekommen war. Sie entging ihrer Verhaftung in letzter Minute und floh aus England in die DDR – dort wurde sie vom Nachrichtendienst lautlos fallengelassen. Erst als Kinderbuchautorin erlebte sie eine zweite Karriere.

Kuczynski hat noch Glück gehabt. Viele wurden gedemütigt und gefoltert, sie starben für ihr Land oder ihre Überzeugung. Den Spioninnen erging es also ganz ähnlich wie den Soldatinnen nach dem Krieg. Während des Konflikts wurden sie gebraucht und durften ihr Leben riskieren. Danach aber wurden sie für ihren Ausbruch aus dem „normalen“ Frauenleben verachtet; egal, ob sie mit der Waffe in der Hand gekämpft hatten oder „mit den Waffen einer Frau“. Auch das ist ein Tabu, das durchaus gebrochen wurde.

Spioninnen, die für ihre Sache oder ihr Land mit dem Feind ins Bett gingen. Wie die Diplomatengattin Amy Elizabeth Thorpe (1910 – 1963). Zuerst entlockte sie einem Militärattaché der italienischen Botschaft, später dem französischen Presseattaché militärische Geheiminformationen.

Nach dem Krieg heiratete sie ihr letztes Spionage-Opfer. Später erinnerte sie sich: „Als Gegenleistung für meine ‚Liebe‘ versahen mich die Männer mit Informationen. Beschämend? Ach, nicht im Geringsten. Meine Vorgesetzten sagten mir einmal, dass das Ergebnis meiner Arbeit tausenden von Engländern und Amerikanern das Leben gerettet hat.“

Und heute? Die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte nimmt wieder zu – und damit die Notwendigkeit, über die Pläne und die Ausrüstung des Gegners Bescheid zu wissen. Die Spionagetechniken haben sich weiterentwickelt. Aber wer sagt denn, dass nicht auch Frauen an den Lauschanlagen und den Computerschirmen der NSA sitzen? Oder an der Front ihr Leben riskieren.

 

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Ute Maucher und Gabi Pfeiffer: Codewort Seidenstrumpf. Die größten Spioninnen des 19. und 20. Jahrhunderts (ars vivendi)

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