Alice Schwarzer schreibt

Alice & Romy

Köln, 12. Dezember 1976: Romy Schneider trifft Alice Schwarzer. - Foto: Gabriele Jakobi
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Sie wollte endlich als Mensch wahrgenommen werden! Nicht als Star. Nicht als Sissi und nicht als die Sünderin in Paris. Sondern als Frau, die stark und stolz, aber auch verletzt und verzweifelt war. Kein Zweifel: In der #MeToo-Debatte wäre sie eine der ersten gewesen, die ihre Stimme erhoben hätte. Und sie hätte einiges zu sagen gehabt. Am 12. Dezember 1976 hat Romy Schneider sich einen Abend und eine Nacht lang Alice Schwarzer anvertraut. Sie wollte endlich verstanden werden! Und gerächt, von Alice. „Ich will, dass das, was du über mich schreibst, alle schockiert!“ sagte sie. Und: „Wir sind die beiden meistbeschimpften Frauen der Nation.“ Was sie damit meinte? Dass sie als „Schlampe“ beschimpft wurde, die aus dem goldenen Sissi-Käfig ausgebrochen und nach Frankreich gegangen war - und Alice als „Männerhasserin“, die aus der Frauenrolle ausgebrochen war und das Patriarchat attackierte. Jahre nach Romys Tod begab Alice sich auf die Spuren ihres Lebens. Und sie entdeckte, dass Romy immer schon stark und verzweifelt zugleich war, und zerrissen zwischen ihrer Leidenschaft für ihren Beruf - und ihrer Leidenschaft für die Liebe und eine Familie. Ein sehr moderner Konflikt.

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12. Dezember 1976. Draußen ist es dunkel und regnerisch. Ich sitze mit Romy Schneider in dem kleinen, kajütenartigen Penthouse auf der Dachterrasse im fünften Stock, über der Redaktion. Wir reden seit Einbruch der Dunkelheit. Längst sind die Lichter des fünf Fußminuten entfernten Kölner Doms erloschen. Die Scheinwerfer strahlen bis Mitternacht. Romy redet und redet. Es ist unsere zweite Begegnung.

In dieser Nacht hofft Romy, von mir gerettet und gerächt zu werden. Sie sagt: „Ich will, dass dein Artikel über mich alle schockiert!“ Und: „Ich vertraue dir.“ Und: „Du darfst mich nicht verraten!“

Romy wünscht sich, dass ich es in die Welt hinaus schreie: Romy, das kleine Mädchen, das mit fünf Jahren von einem Nachbarn ins Gebüsch gezerrt wurde, aber nie darüber reden wird, um „meiner Mutter nicht weh zu tun“. Romy, das junge Mädchen, dem der Stiefvater so hart nachstellt, dass sie sich in der Toilette einschließen muss. Romy, die ihre väterlichen Freunde so gerne auf ihre Knie zerren, während sie als Sissi die Welt verzaubert. Diese deutschen Männer, die gebrochen aus dem Krieg zurückgekommen sind und die nun einer erwachsenen Frau gar nicht mehr auf Augenhöhe begegnen können. Sie ziehen es vor, bei naiven Mädchen den starken Mann zu spielen. Romy, der Star, von dem die Regisseure erwarten, dass sie auf allen Ebenen zur Verfügung steht – und die das so manches Mal auch tut, weil sie diese wichtigen Männer so bewundert und glaubt, ihnen nur auf der Ebene der Verführung gewachsen zu sein.

Wir schreiben das Jahr 1976. Gerade erst haben wir Feministinnen erstmals das Schweigen gebrochen, die Omerta, die auf der sexuellen Gewalt, auf dem Missbrauch, der sexuellen Belästigung und der Vergewaltigung lag. Doch es wird noch Jahre, ja Jahrzehnte dauern, bis diese Themen wirklich öffentlich sind – bis die Opfer sich nicht länger schämen, sondern die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. In Hollywood wird die Blase erst im Jahr 2017 platzen, mit der Affäre Weinstein und MeToo.

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An diesem Abend sitzen Romy und ich auf der braunen Samtdecke, die ich noch aus Paris mitgebracht und über mein Bett gebreitet habe, der einzigen Sitzgelegenheit in diesem Raum, in dem ich in den ersten Monaten vor dem Start von EMMA wohne. Wir sind beide ähnlich verzweifelt und revoltiert zugleich, wenn auch aus ganz gegensätzlichen Gründen.

Romy dreht gerade einen Film in Berlin, sie ist zum ersten Mal seit 17 Jahren wieder in Deutschland. Nach Köln ist sie an diesem Wintertag mit zwei Absichten gekommen: Zum einen, um mit dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Heinrich Böll über ihre Rolle in der Verfilmung seines Romans „Gruppenbild mit Dame“ zu reden. Zum zweiten, um mit mir ein Interview zu machen. „Kommst du mit zu Böll?“, fragt sie am Telefon. „Ich traue mich nicht alleine.“ Selbstverständlich komme ich mit. Böll ist ein alter Bekannter und ein sehr netter Mensch. Vor ihm muss Romy sich nicht fürchten.

Aber nach Köln muss sie sich schon trauen. In der Stadt am Rhein ist sie nicht zum ersten Mal. Hierhin wurde die vierzehnjährige Rosemarie Albach, die zu raschem Filmruhm als Romy Schneider kam, 1953 von Mutter Magda Schneider aus der Klosterschule Goldenstein in Berchtesgaden in die noch zertrümmerte Nachkriegsstadt und den Nierentischprunk ihres Stiefvaters Hans Herbert Blatzheim geholt. Blatzheim war ein geschäftstüchtiger, halbseidener Gastronom, in den frühen 50er-Jahren die Inkarnation des deutschen Wirtschaftswunders: Wir Deutschen sind wieder wer! Jetzt war Blatzheim Romys „Daddy“ und sollte als solcher bald nicht nur für die junge Schauspielerin, sondern auch für die junge Frau eine fatale Rolle spielen.

All das geht Romy Schneider in dieser Dezembernacht durch den Kopf. Romy redet und redet – als rede sie um ihr Leben. Wir sprechen überwiegend Französisch miteinander, obwohl wir beide Deutsche sind. Es ist ihr Wunsch, und mir macht es Spaß, drei Jahre nach dem Abschied von meinem Leben in Paris wieder meine zweite Sprache zu sprechen.

Romy hat mich mein Leben lang begleitet. Sie war im Deutschland der 50er- bis 70er-Jahre die Verkörperung aller deutschen Frauenklischees: von der Jungfrau Sissi über das Luder in Paris bis hin zur reuigen Mutter in Berlin. Das hatte allen voran sie selbst klarsichtig erkannt und immer wieder versucht, sich daraus zu befreien. Ihre auch mit sich selbst so schonungslosen Interviews und ihre hinreißend sarkastischen Briefe legen lebendig Zeugnis davon ab.

Die Vertrautheit unserer Begegnung ist kein Zufall: Wir haben, trotz aller Unterschiede, vieles gemeinsam. Die Liebe zu Frankreich, das schwere deutsche Herz – und den Zorn über den Umgang der Medien mit uns. Gleichzeitig aber fühlen wir uns beide so hoffnungslos deutsch. „Das ist der Esprit germanique“, sagt Romy. „Diese permanente Widersprüchlichkeit (contradiction). Und das Absolute!“ Und das scheint nicht das einzige, was uns in ihren Augen verbindet. „Wir sind“, sagt Romy, „die beiden meistbeschimpften Frauen Deutschlands“.

Was sie damit meint? Dass wir beide, sie wie ich, in diesen Monaten ganz besonders hämisch durch die Medien gezogen werden: Sie als „die abtrünnige Sissi“, die sich zu viele Freiheiten nimmt, auch sexuelle – ich als „die frustrierte Feministin“, die nach dem Skandal vom „Kleinen Unterschied und seinen großen Folgen“ (meinem 1975 erschienenen Buch über die Rolle von Sexualität und Liebe bei der (Selbst)Unterdrückung der Frauen) nun auch noch eine Zeitschrift für Frauen macht.

Für die für Anfang 1977 geplante erste Ausgabe von EMMA hatte ich einige Wochen zuvor Romy nach Paris in die Rue Berlioz geschrieben und ihr erklärt, warum ich gerade sie für die erste Ausgabe dieses feministischen Magazins porträtieren möchte. Weil sie alle weiblichen Rollen, das heißt Klischees im Nachkriegsdeutschland verkörpert hat. Und weil sie, nach Marlene Dietrich, der erste deutsche Weltstar ist.

Im November sahen wir uns dann zum ersten Mal in Berlin, wo sie die Leni in Bölls „Gruppenbild mit Dame“ spielte. Ich traf sie im Restaurant – und war überrascht, wie klein und zierlich sie war. Auf den ersten Blick eigentlich unscheinbar. Gleichzeitig war sie an diesem Abend sprühend vor Energie und Witz. Sie trug ihr Haar halblang mit Mittelscheitel und dazu ein schlichtes Kleid und eine gesmokte Strickjacke, wie unsere Mütter sie in den 40ern anhatten. Ins Bett gehen wollte Romy auch an diesem Abend nicht. Noch nachts um eins beschwatzte sie mich, weiterzureden, und kam – nicht ohne im Restaurant zwei, drei Flaschen Champagner zu greifen – mit zu mir nach Hause. Es wurde eine lange Nacht. Und ich begann zu ahnen, dass Romys lange Nächte viel mit ihrer Angst vor Einsamkeit zu tun haben. „Ich war in meinem Leben sehr viel allein“, sagt sie zu mir. Und: „Ich habe sehr viel geweint.“

Foto: Helga Kneidl
Foto: Helga Kneidl

Ein paar Wochen später sitzen wir also in Köln, in dieser von ihr so gefürchteten, weil mit drückenden Erinnerungen belasteten Stadt. In dieser langen Nacht sprechen wir über ihre Verzweiflung und ihre Wut, über Mammi Magda und Daddy Blatzheim, über Deutschland und Frankreich, über Arbeit und Liebe – über Frauen und Männer. Denn der Aufbruch der Frauen war in dieser Zeit in aller Munde und hatte längst auch Romy Schneider erfasst. „Es ist nicht so, dass ich die Männer hasse“, sagt sie. „Aber man wird von ihnen so entmutigt.“

Als alles anfing mit den Frauen, hatten sie und ich zum ersten Mal miteinander zu tun. Ich war im Frühling 1971 von Paris, wo ich damals als Korrespondentin arbeitete, nach Deutschland gereist, um nach dem Vorbild der Aktion der Französinnen auch in Deutschland Frauen zu finden, die bereit waren, öffentlich zu bekennen: „Wir haben abgetrieben – und wir fordern das Recht dazu für alle Frauen!“ Für Deutschland bot ich dem Stern die Aktion an. Es gelang. 374 Frauen hatten den Mut, sich selbst zu bezichtigen, darunter Romy Schneider. Ich hatte ihr geschrieben, und sie hatte mir umgehend geantwortet: „Da bin ich ganz und gar dafür!!!“ Dreimal unterstrichen. Drei Ausrufezeichen.

Romy Schneider konnte damals so wenig wie die restlichen 373 Frauen ahnen, was losgehen würde nach der Veröffentlichung des Bekenntnisses der Frauen am 6. Juni 1971. Denn bis zu diesem Tag war die Abtreibung ein totales Tabu, über das eine Frau noch nicht einmal mit der eigenen Mutter oder der besten Freundin redete. Abtreibung, das war etwas Heimliches, Schändliches, Lebensgefährliches. Abgetrieben wurde, je nach finanzieller Lage, bei einer Engelmacherin, bei der man verbluten konnte, oder bei einem Arzt, der es zur Strafe (Das kommt davon) gern auch mal ohne Narkose tat. Dennoch war es für Romy „einfach selbstverständlich“ gewesen, bei dem provokanten und gefährlichen Bekenntnis mitzumachen. Auch das verband uns.Als Romy Schneider an diesem Dezembertag 1976 nach Köln kommt, ist sie beruflich auf dem zweiten Höhepunkt ihres Lebens: Sie ist zwar in Deutschland noch immer die abtrünnige Sissi, in Frankreich aber längst eine Halbgöttin in der Tradition von Marlene Dietrich: „la Schneidär“. Für den Nouvel Observateur ist sie „die beste Schauspielerin Europas“.

Privat macht sie, nach ihrer gescheiterten Ehe mit dem deutschen Regisseur Harry Meyen, gerade einen dritten Anlauf. Sie hat ihren Ex-Sekretär, den Franzosen Daniel Biasini geheiratet und verspricht sich – wieder einmal – das große Glück. Zu ihrem Sohn David mit dem Ex-Mann soll nun unbedingt noch ein zweites Kind von dem jetzt geliebten Mann kommen. Nach dem Dreh von „Gruppenbild mit Dame“ plant sie ein Jahr Pause – und sodann vier Filmprojekte und vielleicht eine Filmfirma zusammen mit Kollegen. Jetzt endlich soll alles klappen, alles auf einmal: Arbeit, Liebe, Sicherheit. Kurzum: das Glück.

Aber noch ist Romy müde. Und verzweifelt. Und wütend.

Diese Monate in Deutschland – und das auch noch überwiegend in Berlin, der Stadt, in der sie mit Meyen gelebt hatte – machen ihr mehr zu schaffen, als sie gedacht hatte. Paparazzi verfolgen und belauern sie auf Schritt und Tritt. Selbst der Einkaufskorb ihrer Haushälterin wird nach möglichen Skandalen durchwühlt (wie viele Flaschen Rotwein? wie viele Flaschen Champagner?). Während der Dreharbeiten lebt sie zweieinhalb Monate lang hinter zugezogenen Fenstern.

Einen Abend und Nacht lang hat Romy sich Alice anvertraut.

An diesem Abend ist ihre schöne Stimme dunkel und bestimmt. Sie spricht über ihre Hoffnung: Dass wir Frauen keine „Palatschinken“ bleiben und in Zukunft weniger mit Männern zu tun haben, die „Waschlappen“ sind (beide Begriffe sagt sie, im Fluss des französischen Satzes, auf Deutsch). Dreimal fordert sie mich auf, das Tonband anzuhalten („Arrête la machine!“), und zwar bei den Themen: Daddy Blatzheim, Sexualität und ihrem Verhältnis zu Frauen. Einmal beginnt sie zu weinen. Es ist, als wir über Deutschland sprechen.

Nach ihrem Tod am 29. Mai 1982 werden endgültig alle Dämme brechen, in Büchern und einer Flut von Artikeln. Darin steht jetzt auch das, was man bis dahin – aus Takt oder Angst vor Klagen – zurückgehalten hatte: ihr Tabletten- und Alkoholkonsum, ihre Bisexualität, die Ausbeutung durch ihre Männer.

In der Tat hatte Romy Schneider, die ja seit ihrem 15. Lebensjahr eine sehr gut verdienende Karrierefrau war, immer für alle bezahlt: angefangen bei Daddy Blatzheim, der große Teile ihres von ihm verwalteten Vermögens verschleuderte, bis hin zu Daniel Biasini, der sich von ihrem Geld seine Ferraris und Yachten kaufte und bei dem sie nach der Scheidung 1981 mit Schulden zurück blieb. Die einzige Ausnahme in diesem Punkt scheint Alain Delon gewesen zu sein – bei dem gab es zwar andere Probleme, aber immerhin: Bezahlt hat er für sich selbst.

In dieser Nacht begreife ich: Romy Schneider ist mutig und ängstlich zugleich; sie ist revoltiert und angepasst, sie ist hochbegabt und von Selbstzweifeln zerfressen. Und genau diese Zerrissenheit, ihr offenes Leiden daran und dessen Umsetzung in ihren Rollen ist es, was – neben ihrem Charisma – den Mythos Romy begründet. Auf der Ebene ist Romy Schneider durchaus mit Marilyn Monroe vergleichbar.

Nicht zufällig schwärmen zwar viele Männer, doch anscheinend vor allem Frauen für sie. Sie identifizieren sich mit dem Idol. Was nicht nur an Romys erotischer Ausstrahlung liegt, die sich an beide Geschlechter richtet, sondern auch an ihrer so hochaktuellen Zerrissenheit als Frau: Romy Schneider ist sehr früh und sehr öffentlich den Weg gegangen, auf den sich viele Frauen erst heute und klammheimlich machen.

Die junge Romy hatte sich schon in den 50er-Jahren von einer besitzergreifenden Mutter und einem übergriffigen Stiefvater befreit; sie hat immer wieder den Bruch und Ausbruch gewagt, doch nie ihre Sehnsucht nach Kontinuität und Sicherheit stillen können. Auch hatte die Schauspielerin in der vierten Generation noch vor der Leidenschaft für die Liebe die Leidenschaft für ihren Beruf entdeckt – bis zu ihrem Tod sollte es ihr nicht gelingen, beides zu vereinbaren. Im Gegenteil, sie hat auf beiden Seiten Konzessionen gemacht, hat die meist windigen Männer an ihrer Seite zunehmend mit fest geschlossenen Augen idealisiert und auch so manchen Film gedreht, der sein Niveau ausschließlich ihrer außergewöhnlichen schauspielerischen Präsenz zu verdanken hatte.

In dieser Dezembernacht in Köln redet sie über all das. Doch das meiste erzählt Romy Schneider nicht der Journalistin, sondern der Frau, die ihr zuhört. Sie erwartet viel von mir. Mehr, als ich ihr in den wenigen Stunden unserer Begegnung geben kann. Und sie verfolgt mich weit über unsere Begegnung und ihren Tod hinaus.

Wir hatten stundenlang geredet, bis weit nach Mitternacht. Ich spürte, dass sie um keinen Preis allein sein wollte. Sie wollte unsere Begegnung nutzen, sich verständlich zu machen, sich ganz zu offenbaren. Es war für Romy die Gelegenheit. Sie hatte es satt! Sie wollte ihre Wahrheit rausschreien.

Ihr tiefer Wunsch war, wahrgenommen und verstanden zu werden. Sieh mich an! Ich bin es. Nicht das Klischee. Nicht deine Projektion. Sieh mich an!

Als ich 15 Jahre nach ihrem Tod mein Buch über sie schrieb, entdeckte ich wenige Stunden nach dem Tippen der letzten Zeile in den Tiefen einer Schublade das zuvor vergeblich gesuchte Tonband mit unserem Gespräch vom 12. Dezember 1976 wieder. Nicht ohne Beklommenheit drückte ich auf die Abhörtaste – und der erste Satz, der mir mit ihrer tiefen, melodischen Stimme entgegenschlug, lautete: „Ne me trahis pas!“

Damals spürte ich, dass ich ihren Hoffnungen und Erwartungen innerhalb dieser wenigen Stunden nicht genügen konnte. Also habe ich sie dazu gedrängt, sich schlafen zu legen, in meinem Gastzimmer im vierten Stock. Sie hat mir das übelgenommen. Sie wollte mit mir zusammen bleiben, das war klar. Sie hatte Angst, in dieser Stadt in dieser Nacht alleine zu sein.

Als ich am frühen Morgen aufstand, um sie zu wecken, war sie ins Hotel gegangen. Mitten in der Nacht. Nicht ohne mir einen Haufen hastig beschriebener kleiner Zettel dazulassen.

Erst 36 Jahre nach ihrem Tod werde ich dem französischen Dokumentarfilmer Patrick Jeudy die Tonbänder dieser Nacht anvertrauen. Und er wird über diese deutsch-französische Begegnung für Arte, mit Romys Stimme und meinem Kommentar, einen erschütternden und augenöffnenden Dokumentarfilm daraus machen: „Ein Abend mit Romy Schneider“.

Doch in dieser Nacht des 12. Dezember 1976 ahnen wir noch nicht, dass sie schon in fünf Jahren, sechs Monaten und 17 Tagen nicht mehr leben wird. Da ist sie erst 43 Jahre alt, aber am Ende ihrer Kräfte, psychisch wie physisch. Und wir ahnen schon gar nicht, dass Romy noch Jahrzehnte nach ihrem Tod ein Idol sein wird.

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