Anika Decker: Gewonnen!

Foto: Edith Held
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Anika Decker sitzt auf ihrer dschungelartigen Dachterrasse mit Blick auf den Berliner Fernsehturm und spricht über die Klitoris. Denn die spielt in ihrem aktuellen Film „Liebesdings“ eine im wahrsten Sinne des Wortes große Rolle, und zwar auf dem Kopf von Elyas M’Barek. Der mimt einen smarten Filmstar, der auf der Flucht vor den Boulevard-Medien in ein feministisches Off-Theater stolpert. Dort trifft er nicht nur auf tanzende Tampons, sondern bekommt von Theaterchefin Frieda zwecks Tarnung die überdimensionale Stoff-Klitoris übergestülpt und trägt sie mit Fassung. Das ist ziemlich lustig, aber Decker ist die Sache ernst.

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„Erschreckend“ sei es, „wie spät die Klitoris erforscht wurde und dass sie noch heute in Lehrbüchern nur als kleiner Knubbel eingezeichnet ist“, sagt Decker. Überhaupt sei es ein „Riesenthema“, wie Frauen von der medizinischen Forschung vernachlässigt würden: „Dass ein Großteil der Medikamente nicht an uns erforscht ist und dass man unsere Symptome nicht kennt. Das habe ich selbst erlebt.“

Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um die Strukturen in der Filmbranche

Mit Anfang dreißig wäre Anika Decker fast gestorben. Mit schweren Nierenkoliken kam sie in die Notaufnahme, sie weinte vor Schmerzen. Die Therapie: Beruhigungsmittel. „Und dann haben sie einfach mal getippt und mir einen Herzkatheter geschoben.“ Es folgten: Sepsis, Organversagen, Koma. Decker ist sicher: „Ein Geschäftsmann im Anzug wäre anders behandelt worden.“ Über das Horror-Erlebnis hat die Drehbuchautorin und Regisseurin 2019 einen Roman geschrieben: „Wir von der anderen Seite“.

Wenn man dem Tod so knapp von der Schippe springt, macht das manche Menschen freier und mutiger, schließlich hat man das Schlimmstmögliche schon überlebt. Das ist auch bei Anika Decker so, hat aber, sagt sie, mit ihrer mutigen Klage gegen Til Schweiger und Warner Bros. nichts zu tun. „Was da passiert ist, hat einfach mein Gerechtigkeitsempfinden angeschossen. Und wenn bei mir eine Grenze überschritten ist, dann mach ich es einfach!“

Für ihr Drehbuch zur Komödie „Keinohrhasen“ hatte die junge Autorin 50.000 Euro bekommen. Der Film wurde zum Überraschungserfolg und spielte 70 Millionen Euro ein. Decker klagte 2016 zunächst darauf, dass Schweigers Produktionsfirma und der Verleih alle Gewinne offenlegen müssen. Im Februar 2022 bekam sie Recht. Teil zwei der Klage, Deckers Anteil, ist in Arbeit.

Natürlich geht es dabei ums Geld. Aber auch um die Strukturen einer Branche, in der Drehbuchautoren und Frauen nicht gut behandelt werden. Als Decker, die Kinohit-Garantin, nach „Zweiohrküken“ 2015 in ihren Film „Traumfrauen“ ausschließlich weibliche Hauptrollen schrieb, erklärte man ihr: „Frauen machen keine Kasse.“ Und dann „haben mir kluge Männer geraten, eine Autoverfolgungsjagd einzubauen. Kein Witz!“ erzählt sie und lacht ihr kräftiges Decker-Lachen. „Traumfrauen“ spielte knapp 14 Millionen Euro ein. Quod erat demonstrandum.

Schon früh das Gefühl: Frauen werden als Menschen zweiter Klasse behandelt

Anika Decker war schon in der Schule bekennende Feministin. „Ich hatte schon damals das Gefühl, ich werde als Mensch zweiter Klasse behandelt.“ Die katholische Schule im ländlichen Stadtallendorf bei Marburg liegt im Bistum Fulda. Der berüchtigte Erzbischof Dyba „hat damals die Glocken gegen Abtreibung läuten lassen. Das fand ich eine absolute Anmaßung.“ Anika stellt unbequeme Fragen und bekommt in der Klasse bald den Spitznamen „Alice Schwarzer“ verpasst.

Ihre Eltern – ein „sehr sanfter Vater“ und eine „sehr emanzipierte Mutter“ – sind beide Lehrer, die sie „fair und auf Augenhöhe“ erlebt. Die Großtante raucht Zigarillos und empfiehlt ihrer Großnichte dringlich, nicht zu früh zu heiraten. „Das habe ich ja auch befolgt.“ Erst vor wenigen Wochen hat Anika Decker, 47, ihrem Freund Alex Wilde das Ja-Wort gegeben. Auch in „Liebesdings“ gibt es natürlich ein Happy End. Aber diesmal ist die Protagonistin, anders als in „Keinohrhasen“, kein verspanntes Mauerblümchen, sondern: Feministin. Und coproduziert hat den Film Anika Decker, die 2015 mit Bruder Jan die Firma „Decker Bros.“ gegründet hat, diesmal gleich selbst. Auch deshalb kommt in „Liebesdings“ kein Autorennen vor, sondern: eine Klitoris.

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