Aus der Coronial-Zeit

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Würde ich rauchen, bräuchte ich jetzt eine Zigarette. Das habe ich in letzter Zeit oft gedacht. Morgens um acht Uhr im Wald zum Beispiel. Während des Lockdowns war ich mit meinen Kindern so ziemlich jeden Morgen im Wald. Damit sie sich austoben konnten und dann während meiner Homeoffice-Zeit halbwegs ausgelastet waren. „Familie Waldschrat“ heißt ein Buch meines Sohnes Ben. So fühlten wir uns auch. Anfangs habe ich noch nach dem Eichenprozessionsspinner Ausschau gehalten. Sollte es ihn in unserem Wald geben, müssten wir mittlerweile immerhin gegen ihn immun sein.

Zeitgleich mit uns kam oft ein Vater mit drei Söhnen und Liegestuhl an. Seine Jungs kriegten die Order „Massakriert euch nicht!“ und dann verschwand Vati mit seinem Handy im Liegestuhl. Jegliche Annäherungsversuche seiner Söhne wurden mit einer Handbewegung abgewiesen. Diesen Ausknopf, den Männer haben, den hätte ich manchmal auch gerne.

Ein Bekannter hat seinen beiden Kindern jeden Abend fünf Euro gezahlt, wenn sie ihn im Homeoffice in Ruhe gelassen haben. Und zwei Euro extra, wenn sie noch die Wohnung aufgeräumt haben, bevor die systemrelevante Mutter nach Hause kam. „Die 50 Euro zahl’ ich ja sonst für Benzin die Woche auch“, sagte er ganz beiläufig. Ein anderer hat seine Kinder zwei Mal die Woche mit dem Fahrrad zum McDrive von  McDonalds geschickt, damit er nicht kochen musste. Ein weiterer hat seinen Sohn aus erster Ehe dafür bezahlt, dass er mit seiner Tochter aus der jetzigen Ehe per Skype Hausaufgaben macht. „Damit die Kinder mal was zusammen machen.“ Wie schön.

Tja, so sind Mütter einfach nicht. Wir erkaufen uns keine Erziehung, wir halten es nicht aus, wenn unsere Kinder ständig Fastfood essen und wir wollen uns gar nicht dauernd mit fadenscheinigen Argumenten aus der Affäre ziehen.

Und wir versumpfen übrigens auch weniger im Homeoffice. Viele Männer aus meiner Nachbarschaft hatten ein Homeoffice-Outfit für die Video-Konferenzen: oben ein zugeknöpftes Hemd, unten Shorts und Badelatschen. Das Haareschneiden war ja für alle ein Problem, aber warum das Rasieren eingestellt wurde, verstehe ich nicht.

Obwohl der Lockdown ganz schön hart war, hat er manche Familien auch näher zusammengebracht. Mein Sohn (6) und meine Tochter (3) sind als Geschwister so richtig zusammengewachsen. Manchmal waren sie regelrecht ineinander verkeilt. Auch wir Nachbarn sind uns nähergekommen. Ich konnte zum Beispiel ein Missverständnis aus der Welt schaffen. Ich hatte mich schon gewundert, warum mir ein Nachbar beim Vorbeiradeln manchmal zuraunte: „Mensch, bei euch bei der Arbeit läuft‘s ja rund gerade, was?!“ oder „Bei euch müsste man Aktien kaufen“. Ich hatte ihn schon in der Schublade „Bekloppt“ einsortiert, als ich mitbekam, dass er scheinbar nicht „EMMA“, sondern „ÄMÄSON“ für meinen Arbeitsplatz hielt.

Jetzt weiß er Bescheid und wir haben darauf angestoßen. Wie auf so vieles. Auf das gemeinsame Hoffen auf die vollständige Öffnung der Kitas und Schulen zum Beispiel. Oder auf ein Platzen der Immobilien-Blase oder zumindest eine neue Abwrackprämie … Aber eigentlich wollen wir alle nur eines: Normalität. Prost!
 

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