Metal: Außen hart und innen weich

Britta Görtz, die "Elchkuh", mit Critical Mess.
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Vor einigen Monaten besuchte ich ein Konzert einer meiner Lieblingsmetalbands. Zwischen all den Männerköpfen und fliegenden Haaren sah ich sie plötzlich: eine junge Frau mit langen Dreadlocks. Sie tauchte mit einem verzückten Lächeln ins Circle Pit, in dem die Männer wild im Kreis rannten, ein. Rasch wurde sie von der Masse der Körper geschluckt und verschwand. Wenig später stürmte ich selber zwischen die schwitzenden Männerkörper, nicht ohne vorher meine Bierflasche zu leeren, um mir etwas Mut anzutrinken.

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Danach traf mich ein Schlag direkt am Kinn, ich ging zu Boden. Irgendwann fischte mich eine helfende Hand aus dem Pit. Ich war komplett dehydriert, erschöpft und ziemlich ekstatisch. Ich kann nur schwer beschreiben, was mit mir im Moshpit geschieht, aber es ist, als könnte ich für einen Moment meinen Körper verlassen. Unter normalen Bedingungen käme ich nie auf die Idee, mich mit Männern, noch dazu betrunkenen, körperlich messen zu wollen. Ellbogen raus und Angriff! Im Moshpit erlebe eine Art von Aggression, die für Frauen tabu ist. Vielleicht könnte man also von Genderbending sprechen.

Übrigens betrifft das nicht nur die Frauen: Die langen Haare der Kuttenträger brechen mit Bildern von Männlichkeit. Einer meiner langhaarigen Freunde wurde einmal gefragt, wer von uns beiden denn das Mädchen in der Beziehung sei. Die äußerliche Härte, die durch Accessoires wie Nietenarmbänder und schwere Boots zur Schau gestellt werden, sind nicht nur Szene-Dresscode, sondern demonstrieren auch Männlichkeit. Ausgerechnet hier aber, in der Szene der vermeintlich groben Kerle, lernt man sensible und hochintelligente Männer kennen. Die dumpfe Härte und Aggression ist in Teilen Wunschbild.

Es deckt sich mit der Wahrnehmung der Musik. Wirken schon Spielarten wie Heavy- und Groove Metal für unbedarfte Ohren aggressiv, dann sind Death Metal und Metalcore für die meisten Hörer nur noch verstörendes Gegrunze und Geschrei. Death Metal ist bekannt für das, was man Growlen und Shouten nennt. Anstelle des klaren Gesangs treten kehliger Gesang und Schreie, wobei es sich eher um eine kontrollierte Form des Röhrens, das tief aus der Brust kommt, handelt. Ungefähr wie bei einem Elch oder einem Hirsch.

Anfang des Jahres erlebte ich eine der bekanntesten Death Metal-Bands, Six Feet Under, bei ihrem Auftritt im Bandhaus Leipzig. Eine der Vorbands waren Critical Mess. „Das ist ja eine Frau“, sagte ein Kumpel mit Blick auf die Bühne. Wer nicht hinsah, dem konnte durchaus entgehen, dass die Person, die da grunzend auf der Bühne stand, kein grober Kerl, sondern eine zierliche Frau war: Britta Görtz, die den Beinamen „Elchkuh“ trägt.

Ich beschließe, Britta ein bisschen über die Rolle von Frauen im Metal auszufragen. Denn ausgerechnet im Death Metal sowie Death- und Grindcore, die zu den „brutalsten“ und härtesten Formen des Metals gehören, erobern seit einigen Jahren Frontfrauen die Bühnen. Tatiana Shmaylyuk (Jinjer), Alissa White-Gluz (Arch Enemy), Rachel Aspe (früher Eths) oder eben Britta Görtz gehören dazu. „Als ich mit Growlen und Shouten begann, hatte ich mir bis dato keine Gedanken darüber gemacht, ob diese Art von Gesang irgendeinem Geschlecht zugeschrieben wird.“ Aufgrund der Seltenheit errangen einige Sängerinnen Ikonenstatus. „Erfolgreiche Sängerinnen im härteren Rock und Metal gab es ja schon lang. Sei es Sabina Classen oder Doro. Ich würde auch Frauen wie Janis Joplin, Joan Jett und Girlschool dazuzählen“, sagt Britta.

Bei allen weiblichen Stars der Szene fällt auf, dass sie extrem attraktiv sind. „Metaller sind nun einmal Augentiere“, zuckt mein Mann die Schultern. Im Musikgeschäft war es noch nie abträglich, attraktiv zu sein, aber anzunehmen, dass es da umso wichtiger ist, wo ein fast rein männliches Publikum vor den Frontfrauen steht. Andererseits: Extrem sexualisierte Musikerinnen, wie man sie im Pop beispielsweise mit Miley Cyrus kennt, gibt es nicht im Metal. Allenfalls Lena Scissorhands (Infected Rain) posiert auf ihren Kanälen zumeist ziemlich nackt oder in Unterwäsche, und fügt sich in das Bild der „Suicide Girls“ (Das sind alternative Models mit vielen Tattoos, Piercings usw.).

Die meisten Metal-Sängerinnen haben gleichzeitig eine Prise „männlicher“ Härte mit Nietenarmbändern und Lederkutte. Aber: „Mehr und mehr erlebe ich, dass Metal eine eigene Weiblichkeit entwickelt. Das ist gut, davon brauchen wir mehr“, sagt Britta. „In allen Lebensbereichen.“

Übrigens hatte auch die Metalszene ihre Metoo-Variante, in Form des Hashtags #Killtheking, erzählt Britta. Damals reagierte Destroyer 666-Frontmann Keith „K. K. Warslut” auf die Kampagne, die auch ihn und seine Band als schwarze Schafe brandmarkte, mit dem Satz: Die nörgelnden Frauen bräuchten einfach mal einen „harten Schwanz“. Auch Britta Görtz erfährt als Musikerin immer wieder Sexismus. Zugleich sei die Lage auch nicht schlimmer als anderswo. „Meiner Erfahrung nach geht es über anzügliche Bemerkungen nicht hinaus, und wenn, dann meistens von besoffenen Fans.“ Und vielleicht, so könnte man zumindest mutmaßen, ist die Prise Aggression im Auftreten der Frauen im Metal etwas, das sie wehrhafter macht. Ellbogen raus. Wie im Moshpit eben.

MARLEN HOBRACK

Mehr von der Autorin auf ihrem Blog marlen-hobrack.de.

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