Bettina Wegner: Ein bewegtes Leben

Foto: Werner Popp
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Wenn sie berlinert, dann heftig. Die Wörter poltern wie Brocken aus ihrem fein geschnittenen Mund, unpoliert, ungeschliffen, treffsicher. Ihre Eltern, beide Kommunisten, hatten ihr den Dialekt aberziehen wollen. „Es gab Taschengeld: fuffzich Pfennje. Für jedet Berliner Wort wurd mir een Pfennich abjezogen. Hab ick also keen Taschengeld mehr jesehʼn. Hab ick mir jesacht: Kannste ooch berlinern.“

Über sechzig Jahre ist das her. Doch wenn Bettina Wegner erzählt, rückt alles in die Gegenwart. So unmittelbar und direkt wie sie selbst sind auch ihre Lieder. Mit einem wurde sie weltbekannt. „Sind so kleine Hände/winzge Finger dran/ Darf man nie drauf schlagen/die zerbrechen dann.“ Als sie sich nicht mehr mit diesem Lied vertrug, weil es plötzlich all ihre anderen Lieder zu verdrängen schien, brachten ihr die Söhne eine Parodie der Punk-Band Daily Terror ins Haus: „Sind so kleine Biere“, beginnt der Song. Bettina Wegner war begeistert. „Ick bin n’ Punk-Fan.“

Dann lacht sie ihr kurzes, sich überschlagendes Lachen und zieht an ihrer Zigarettenspitze. Ihr schmales Gesicht mit den hervorspringenden Wangenknochen hat noch immer etwas Zerbrechliches. Ihre Stimme dagegen, inzwischen ein wenig tiefer gerutscht, zeugt von ihrer Kraft.

Eine Szene aus dem Film „Bettina“, der am 19. Mai in die Kinos kommt. Der Regisseur Lutz Pehnert und die Produzentin Susann Schimk haben mit dieser Dokumentation eine Liebeserklärung an die deutsche Liedermacherin realisiert. Eine, die der radikal Unangepassten in all ihren Facetten gerecht wird. „Bettina“ lässt die Hauptdarstellerin sein, wie sie ist, zerhackt ihre Lieder nicht in leicht konsumierbare Spots und wirft Schlaglichter auf ihren politischen Widerstand. In Ost wie West. Fast hälftig verteilen sich ihre 74 Jahre auf die beiden Deutschlands. Hüben und Drüben nennt sie es, wobei Drüben für sie immer noch der Westen ist.

Seit ihrem erzwungenen Weggang aus der DDR im Jahr 1983 lebt die Liedermacherin in einem schlichten Haus mit Garten am nordwestlichen Rand von Berlin. Ein Idyll – Heimat ist es nicht. „Ich habe nach der Ausbürgerung nie mehr so ein Zugehörigkeitsgefühl gehabt zu irgendwas. So blöd das klingt – es war meine Heimat. Ich hab’ mich da zu Hause gefühlt. Wenn du die Wurzeln rausziehst, kriegst du die woanders nicht mehr rein. Ich war 36. Ich fühle mich bis heute nirgendwo verwurzelt.“ Ohne jede Spur von Selbstmitleid sagt sie das. Trauer scheint durch, ja. Aber traurig, hat sie mal gesungen, „traurig bin ich sowieso“.

Traurigkeit ist für sie ein produktives Gefühl. Eine Vorstufe des Muts, die Dinge verändern zu wollen. Diesen Mut hatte sie schon als Zwanzigjährige. Nach dem Einmarsch von Soldaten der Warschauer Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei im August 1968 verteilt sie handgeschriebene Flugblätter mit Sätzen wie „Nieder mit den Mördern von Prag“ und wird prompt verhaftet.

Die Tonbandaufzeichnung ihrer Verhandlung vor dem Ost-Berliner Stadtgericht ist erhalten. Sanft, aber auch bestimmt, versucht Bettina Wegner der Richterin ihren Standpunkt zu erklären. Vergeblich. Die Mutter eines Säuglings wird zu eineinhalb Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Die Schauspielschule muss sie verlassen. Die Bewährung absolviert sie als Fabrikarbeiterin in den Berliner Elektro-Apparate-Werken.

Dort sieht sie zum ersten Mal, wie sich Frauen gemeinsam gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen wehren. In ihren Liedern bleibt sie dem Alltag der Menschen verbunden – und ihrer Sehnsucht nach einer freieren Gesellschaft: „Grade, klare Menschen wärn’ ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat hab’n wir schon zuviel.“

Ende der 1970er Jahre wird Wegner zur künstlerischen Leitfigur des Widerstands. Auftreten kann sie nur noch in wenigen evangelischen Kirchen. 1980 ist auch damit Schluss.

Wie erging es den angeblich so gleichberechtigten Frauen in der DDR? Schon 1978 sang Bettina Wegner ein Lied mit dem Titel „Ach, wenn ich doch als Mann auf diese Welt gekommen wär“. Alles ist drin: Sexismus, Verachtung, Doppelbelastung. Ein Tabubruch, denn offiziell gilt die Frauenfrage als gelöst. Obwohl Bettina Wegner manche Zeilen mit Witz wattiert, ist ihre Wut unüberhörbar.

Ihre Beziehungen zu Männern? „Inkompatibel“ sagt sie 2012 in einem Interview. Von Thomas Brasch hatte sie ihren ersten Sohn. Der Schriftsteller verließ sie schon während der Schwangerschaft. Mit Klaus Schlesinger, ebenfalls Schriftsteller, bekam sie ihren zweiten Sohn, eine Weile lebte die Patchworkfamilie harmonisch zusammen. An der
Zerrüttung des Paares beteiligte sich die Stasi massiv, wie sie später in den Akten lesen konnte.

Im Westen gab es dann „Micha“, endlich einer, sagt sie, „der sich nicht als was Klügeres, Besseres vorkam“. Mit ihm wäre sie eigentlich gern alt geworden. Aber nach einem Konzert verliebt sie sich in Oskar Lafontaine, neun Monate dauert die Liaison.

„Je älter ich geworden bin, desto mehr Liebeslieder habe ich geschrieben, hat aber alles nix genutzt und dementsprechend klingen sie“, sagt sie einmal vor Beginn eines Konzerts. Diese Art von trockener Selbstironie und rückhaltloser Ehrlichkeit ist in einer zunehmend auf Sexyness und Coolness gepolten Eventkultur nicht mehr gefragt. Das Geschäftsgebaren
in der Branche setzt ihr zu, und so geht sie 2007 auf Abschiedstournee.

Wie so oft entstand daraus ein Neuanfang. Mit wenigen anderen Musikern tut sie sich nun zu feinen, kleinen Konzerten zusammen, wie im Kulturforum Görlitzer Synagoge etwa, im Herbst 2021. Mit ungebrochener Intensität singt sie Eigenes und Lieder, die sie sich mit Respekt zu eigen gemacht hat. Nicht immer handeln sie von der Liebe. Aber immer gibt Bettina Wegner ihre Liebe hinein.

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