Alice Schwarzer schreibt

Das Problem mit Brosius-Gersdorf

Richterin Frauke Brosius-Gersdorf bei Markus Lanz. - FOTO: teutopress/IMAGO/
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Am 11. Juli wurde das Parlament kurz vor der Sommerpause noch zur Bühne einer grotesken Komödie. Die geplante Wahl der Richterin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin musste abgeblasen werden. Die Union, die zunächst ihre Zustimmung zu der SPD-Kandidatin signalisiert hatte, stieg aus dem Deal aus. Grund: Konservative Medien und christliche Fundamentalisten hatten den Parteien mit dem C im Namen eingeheizt. Grund: die Auffassung der Kandidatin, die „Würde des Menschen“ beginne erst mit der Geburt eines Kindes und nicht bei seiner Zeugung. 

Denn in Deutschland ist bis heute undenkbar, was in katholischen Ländern in unserer Nachbarschaft längst selbstverständlich ist: Dass Frauen mindestens in den ersten drei Monaten eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen können, ohne vom Staat bevormundet zu werden (Beratungspflicht). In Frankreich hat Präsident Macron das Recht auf Abtreibung sogar in die Verfassung gehoben. Das überwiegend ungläubige und protestantische Deutschland aber ist auch im 21. Jahrhundert noch so vatikanhörig, dass es Frauen weiterhin dieses elementare Recht auf eine selbstbestimmte Mutterschaft verweigert. 

Was sagen die Konservativen zu diesem anderen Problem mit der linken Kandidatin?

Das Abtreibungsrecht ist auch heute noch so brisant, dass man sich in Berlin rasch einen windigen Plagiatsvorwurf einfallen ließ (der selbst von dem dafür verantwortlichen Plagiatsjäger Stefan Weber rasch relativiert wurde), um die unbequeme Kandidatin vom Tisch zu kriegen. Die aber bleibt hartnäckig und bietet nun der CDU/CSU eine Anhörung an, in der sie vermutlich ihr Plädoyer für das Recht auf Abtreibung irgendwie relativieren wird. Was tut man nicht alles für den ehrenvollen Posten einer Verfassungsrichterin.

Sollte es dazu kommen, ist den Konservativen allerdings sehr dringlich zu raten, über ein zweites Problem mit der linken Kandidatin zu reden: Frauke Brosius-Gersdorf plädiert für das Recht, als Rechtsreferendarin Kopftuch zu tragen! Das aber wäre keineswegs ein Fortschritt, sondern ein gefährlicher Rückschritt. 

Denn der Schleier ist keineswegs ein religiöses Symbol. Das bestätigten schon vor Jahren sogar die höchsten islamischen Autoritäten an der Al-Azhar-Universität in Kairo. Das Kopftuch ist ein politisches Symbol. Es ist das Kennzeichen radikal-patriarchaler Traditionalisten und, seit 1979, die Flagge der Islamisten, des politischen Islam. Ein solches politisches Symbol für spätere Richterinnen und Staatsanwältinnen zuzulassen, das würde nicht nur gegen die Neutralität der Justiz verstoßen, sondern wäre auch gegen die Verfassung, die in Deutschland die Gleichheit der Geschlechter garantiert, und zutiefst undemokratisch.

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Die Motive weiblicher Individuen, ihr Haar oder sogar ihren ganzen Körper zu verhüllen, sind sehr unterschiedlich. Das wissen wir aus unserer Lebenserfahrung, wie auch aus zahlreichen wissenschaftlichen Studien. Es geht vom Druck durch den Ehemann, der Familie bzw. Community bis hin zu einer „Identitätssuche“ der Kopftuchträgerin: Wer bin ich als Muslimin heute in Deutschland? Diesen Frauen sollte man nicht etwa das Tragen des Kopftuches verbieten, sondern mit ihnen reden. Ist ihnen eigentlich klar, dass Haar und Körper der Frau als „haram“, sündig, gelten und das Kopftuch das Symbol ist für ein ganzes System der Unsichtbarmachung und Entrechtung von Frauen?

Die private Ebene ist also eines, etwas ganz anderes ist die Frau im öffentlichen Dienst, als die Vertreterin eines demokratischen Staates. Sie hat neutral zu sein und darf nicht gegen die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung von Männern und Frauen verstoßen. Das tut sie aber, wissentlich oder unwissentlich, mit dem hochsymbolischen Kopftuch, für dessen Absetzung Frauen heute in Iran oder Afghanistan mindestens ihre Freiheit, ja so manches Mal sogar ihr Leben riskieren. Auch sie lassen wir mit dieser falschen „Toleranz“ im Stich.

Wie kann es da sein, dass eine deutsche Hochschulprofessorin, die nach dem Verfassungsamt strebt, für ein „Recht“ auf das Kopftuch einer zukünftigen Richterin oder Staatsanwältin plädiert? Sie sollte sich im Gegenteil einsetzen für die Verhinderung eines solchen Rückschritts in einem Staat, der kein Gottesstaat ist, sondern eine Demokratie – und das auch bleiben will.

ALICE SCHWARZER

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