Erschreckende Parallelen

Adolf Hitler am Obersalzberg, bejubelt von den Massen.
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Frau Prof. Becker, warum war der Mann in der Weimarer Republik in der Krise?
Eigentlich sollte der Erste Weltkrieg zur Verfestigung eines heroischen Männerbildes beitragen – nach der Kultur der Jahrhundertwende, die eine androgyne, sanfte Männlichkeit etabliert hatte. Und das ging, wie wir wissen, gründlich schief.

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Aber war das Männerbild der wilhelminischen Zeit nicht eher von Härte und Militarismus geprägt?
Neben dem soldatischen Typus ist seit der Décadence-Kultur um 1900 in der Kaiserzeit ein zweiter männlicher Typus öffentlich präsent. Ein Mann, der nichts am Hut hat mit soldatischem Ehrgeiz und Heldentum. Dieser eher weiche Typus Mann etabliert sich doch bis zu einem gewissen Grad auch in der Gesellschaft. Und der Krieg, der ja ein Krieg des Mannes ist, soll das alte, traditionelle Männlichkeitsbild wieder verfestigen und das Bild des androgynen Mannes durch das Ideal des heroischen Kriegers zurückdrängen.

Was passierte stattdessen?
Erstens füllen während des Krieges die Frauen die freigewordenen Arbeitsplätze in den Betrieben, sie werden Straßenbahnfahrerinnen und arbeiten sogar in den Stahlwerken oder auf den Zechen. Der Mann bekommt also Konkurrenz. Als die Männer dann nach Hause kommen, sind sie gedemütigt durch die Niederlage. Millionen von ihnen sind zu Invaliden geworden. Man muss sich das vorstellen: Der Mann zieht als Soldat mit seinem männlichen Nationalstolz und seinem Überlegenheitsgefühl in den Krieg und wie kommt er zurück? Auf Krücken, oder er muss auf einem Wagen gefahren werden, weil er keine Beine mehr hat. Oder er ist ein traumatisierter „Kriegszitterer“. Es ist ja auf eine gewisse Weise grotesk, dass man eigentlich mit dem Krieg die Nervositäts- und Hysterie-Kultur der Jahrhundertwende hatte bekämpfen wollen – und die Männer kommen zitternd zurück, sind schreckhaft und haben Nervenzusammenbrüche.

Die Frauen hingegen bezeichnen Sie als „Kriegsgewinnlerinnen“.
Ja. Denn abgesehen von ihren neuen Erfahrungen in den „Männerberufen“ gibt es in der Republik nun verfassungsmäßig festgeschriebene Staatsrechte für Frauen: das Wahlrecht oder den Verfassungsartikel „Männer und Frauen haben grundsätzlich gleiche Rechte“. Und diese neue Gesellschaftsordnung bringt auch eine neue Geschlechterordnung mit sich. Hinzu kommt: Zwar haben die unversehrten Männer nach 1919 die Frauen wieder von ihren Arbeitsplätzen in der Produktion verdrängt. Aber dann kommen ja etwa ab 1923 neue Berufe für Frauen dazu: die Verkäuferinnen in den Warenhäusern, die Stenotypistinnen und Telefonistinnen, die Verwaltungsangestellten. Das gibt einen Riesenpush in Richtung Berufstätigkeit von Frauen – auch wenn diese Berufe oft schlecht bezahlt sind. Frauen können jetzt eine Beziehung mit einem Mann haben, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Da kommt mit voller Wucht eine neue Generation Frauen auf die Männer zu.

Gibt es neben der „Neuen Frau“ denn auch den „Neuen Mann“?
Es gibt über den „Neuen Mann“ auf jeden Fall eine Debatte. Zum Beispiel in der Textsammlung von Friedrich Markus Huebner, „Wie Männer sich die Frau von morgen wünschen“, die 1929 erschien. Da gibt es durchaus Stimmen, die den Aufbruch der Frauen begrüßen. Es gab also durchaus eine Gruppe Männer, die die nachlassenden Rollenzwänge als Befreiung empfanden. Wenn man sich zum Beispiel Filme aus den 20er Jahren anschaut, kann man sehr schön sehen, dass ein neuer Typus Mann Einzug in den Film gehalten hat – und damit auch in die Realität. Nehmen wir den Film „Menschen am Sonntag“ von Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer, der in Berlin spielt: Vier Leute aus der Stadt machen einen Ausflug zum Wannsee, zwei Männer und zwei Frauen. Die beiden Männer sind leger gekleidet, mit offenem Hemdkragen, und in der Gruppe gibt es keine Hierarchie, keine Geschlechterordnung. Die Männer und Frauen machen alles gemeinsam: Sie schwimmen zusammen, tanzen zusammen.

Ist dieser Aufbruch nicht nur ein Berliner Phänomen?
Nein! Ich halte das für ein Stereotyp, das unbedingt der Revision bedarf. Im Rahmen des 100-jährigen Jubiläums der Zwanziger Jahre gab es in so vielen Städten, auch kleineren, Ausstellungen zum Thema: Was passierte in den 20ern in unserer Region? Das Ergebnis ist eindeutig: Die gesellschaftliche Liberalisierung, zu der auch ein neues Frauenbild gehörte, hat sehr wohl auch außerhalb von Berlin stattgefunden. Sie ist vielleicht nicht auf dem Land angekommen, aber in einer mittelgroßen Stadt sehr wohl. Und das fasziniert uns ja auch so in dieser Epoche. Was das für ein Umbruch war! Was da alles verändert wurde! In Bezug auf Frauen, in Bezug auf Männer. In Bezug auf Bauen und Urbanität: Die Stadt ist nicht länger ein Moloch. Jetzt kommt die Idee von Freizeit, genießen, ausgehen, amüsieren.

Dann folgt aber der Rückschlag.
Ja. Ab Ende der Zwanziger Jahre erscheinen verstärkt Kriegsromane, in denen der alte, stahlharte Männertypus wieder auftaucht. Auch die Illustrierten zeigen vermehrt Bilder von streng blickenden Männern mit markanten Gesichtern und durchtrainierten Körpern. Und natürlich zielen gerade die Inszenierungen der Nationalsozialisten darauf, die starke Männlichkeit, den perfekten Männerkörper wiederherzustellen. Arno Brekers überlebensgroße Skulpturen durchtrainierter Männerkörper sollen die verstümmelten Körper und die Demütigung im Ersten Weltkrieg vergessen machen. Die Frau hingegen soll Mutter sein. Sie soll wieder raus aus der Öffentlichkeit und zurück in den privaten Raum.

Und das gefiel vielen Männern.
Offensichtlich. Zum Programm der Nazis gehörte es ja erklärtermaßen, die neuen Geschlechterbilder und Geschlechterverhältnisse, die sich in den Zwanziger Jahren so sehr verändert hatten, wieder zurückzudrehen. Allerdings bin ich sicher: Wenn die ökonomische Krise nicht in diesem extremen Ausmaß dazugekommen wäre, wäre die Propaganda der Nazis nicht auf so fruchtbaren Boden gefallen. Es ist kein Zufall, dass die NSDAP nach 1929 so einen enormen Zulauf bekam. Wir haben heute wieder Debatten über den „verunsicherten Mann“ und gleichzeitig ein Erstarken rechter Strömungen. Da sehe ich durchaus eine Parallele. Auch die AfD strebt ja eine Revision der Geschlechterverhältnisse an. Und dass die Zahlen für die AfD hochgehen, hat ganz sicher auch damit zu tun, dass viele Männer verunsichert sind und das Rad gern zurückdrehen würden.

Sabina Becker ist Professorin für Neue Deutsche Literaturgeschichte an der Universität Freiburg. Das Gespräch führte Chantal Louis.

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