Damengambit: Nona gegen Netflix

Die vier Schachköniginnen in den 70ern. Nona ist die zweite von rechts. Foto: Film delights
Artikel teilen

„Netflix hat absichtlich gelogen, die Darstellung ist sexistisch und herabsetzend!“, sagt Nona Gaprindaschwili. Die Serie "Damengambit", eine der erfolgreichsten Netflix-Serien, die 62 Millionen Haushalte gestreamt haben, und die weltweit einen Schachboom – vor allem unter Frauen - auslöste, nimmt an einer Stelle den realen Bezug zu ihr auf - und macht einen bedeutenden Fehler.

Anzeige

Konkret geht es um eine Szene, in Nona Gaprindaschwili auf einem Schachturnier zu sehen ist. Im Hintergrund ist ein Radio-Reporter zu hören: „Da ist Nona Gaprindaschwili, sie ist Schach-Weltmeisterin und hat noch nie gegen einen Mann gespielt!“

Das ist nicht nur herabwürdigend, vor allem ist es: falsch. Gaprindaschwili hatte zum Zeitpunkt der Partie (1968) laut Klageschrift bereits „gegen mindestens 59 Männer gespielt (gegen 28 davon gleichzeitig); darunter mindestens zehn Spieler, die zum Zeitpunkt der Partie den Rang eines Großmeisters innehatten“.

Nona Gaprindaschwili ist nicht irgendeine Schachspielerin, sie ist die Königin!

Denn Nona Gaprindaschwili ist nicht irgendeine Schachspielerin. Sie ist DIE Schachspielerin, die den Weg für Frauen ans Schachbrett erkämpft hat, die so viele Männer im Schach geschlagen hat, dass niemand, der ihren Namen kennt, auch nur ansatzweise denken könnte, Frauen könnten kein Schach spielen.

Ihr Heimatland, das drei-Millionen-Einwohner-Land im Südkaukasus, hat nicht in Politikern, Dichtern oder Kriegsherren seine Volkshelden gefunden, sondern in vier schachspielenden Frauen: Nona Gaprindaschwili, Nana Alexandria, Maia Tschiburdanidse und Nana Iosseliani. Sie waren nicht nur Großmeisterinnen, sie haben Georgien zum „Frauenland des Schachs“ gemacht.

Unglaubliche dreißig Jahre in Folge brachten die vier den Weltmeistertitel in ihre Heimat. Nona Gaprindaschwili errang als erste Frau überhaupt den prestigeträchtigen Titel eines Großmeisters und verteidigte ihren Weltmeistertitel 15 Jahre lang. Ihre Karriere begann 1952 durch Zufall. Weil ihr ebenfalls im Schach erfolgreicher großer Bruder kurz vor einem Turnier krank wurde, durfte die kleine elfjährige Schwester Nona einspringen – ein Star war geboren.

Gaprandaschwili und Alexandria wurden in den 1970er Jahren in Georgien so populär, dass nach ihnen Parfüms mit „Nana“ und „Nona“ benannt und die in Flacons in der Form von Schachfiguren vertrieben wurden. Die vier Ausnahme-Frauen wurden in Georgien nebenbei zu Vorreiterinnen der Emanzipation. Sie haben ihrem Land gezeigt, dass ein messerscharfer Verstand, Strategiedenken und Siegeswillen nicht an ein Geschlecht gebunden sind. Auf einmal wollten alle georgischen Mädchen und Frauen Schach spielen. Vereine schossen wie Pilze aus dem Boden.

Die vier sind bis heute eng befreundet. Nona Gaprindaschwili spielt noch immer erfolgreich Turnierschach, im Mai wird sie 81 Jahre alt. Der 2020 erschienene Film „Glory to the Queen“ setzt ihnen ein verdientes Denkmal. Die Regisseurin Tatia Skhirtladze, eine bildende Künstlerin aus Tiflis, blickte als Kind selbst zu den vier Schachspielerinnen auf. „Das waren meine Heldinnen. Starke, selbstbewusste und hochintelligente Frauen!“, sagt sie, „Die vier haben unsere Frauenbewegung stark beeinflusst. Georgien war eines der ersten Länder weltweit, in dem Frauen wählen durften. Und: Frauen haben zur Hochzeit ein Schachbrett geschenkt bekommen.“

Die Regisseurin blickte als Kind selbst zu den vier Frauen auf: Das waren Kriegerinnen!

In ihrem Dokumentarfilm begleitet Tatia Skhirtladze die - zum Teil vor Witz sprühenden - Frauen in ihrem Alltag, gräbt Erinnerungen an ihre wichtigsten Erfolge aus und folgt ihren Spuren im weiblichen Selbstverständnis der modernen georgischen Gesellschaft. Und: Mit viel Humor dekonstruiert sie historische Propagandafilme über die Weltmeisterinnen als sorgende Ehefrauen und Blumenmädchen. Tatia Skhirtladze: "Das waren keine Blumenmädchen, das waren Kriegerinnen!"

Kein Wunder also, dass Nona Gaprindaschwili nun die Partie gegen Netflix eröffnet. Das Urteil könnte zum Präzedenzfall werden für künftige Projekte des Streaming-Portals, das öfter in der Kritik steht, die Geschichte zu verfälschen (Stichwort: The Crown). Der Klage wurde bereits stattgegeben, es wird zu einer Gerichtsverhandlung kommen. Gaprindaschwili: "Ich kämpfe für meine Geschichte und für alle Frauen im Schach!"

Tipp: Der Film "Glory to the Queen" kann auf Vimeo gestreamt werden!

Noch immer eng befreundet: Die vier Frauen heute.

Artikel teilen
 
Zur Startseite