Die Bronze und die Frauen

Foto: Danita Delimont/Imago
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Frau Kneisel, was verrät uns die Bronzezeit über Männer und Frauen?
Vor allem die Forschung selbst verrät uns viel. Denn Frauen finden darin kaum statt. Über ihre Rolle in der Bronzezeit wurde lange Zeit überhaupt nicht nachgedacht. Es ging nur um Krieger und Waffen. Die Frau ist die große Forschungslücke dieser Zeit.

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Frau Kneisel, was verrät uns die Bronzezeit über Männer und Frauen?
Vor allem die Forschung selbst verrät uns viel. Denn Frauen finden darin kaum statt. Über ihre Rolle in der Bronzezeit wurde lange Zeit überhaupt nicht nachgedacht. Es ging nur um Krieger und Waffen. Die Frau ist die große Forschungslücke dieser Zeit.

Nicht nur in dieser Zeit…
Genau, die Geschichtsforschung ist geprägt vom 19. Jahrhundert, in dem Frauen nicht viel zu sagen hatten. Diese untergeordnete Rolle wird rückblickend auf nahezu alle Epochen projiziert. Dabei war es in vielen Zeiten ganz anders. Und dann widmet sich die prähistorische Forschung besonders hier im Norden den Kriegern der Bronzezeit, weil hier so viele Waffen gefunden worden sind. Waffen wurden lange Zeit natürlich ausschließlich Männern zugeordnet und sie faszinieren die Menschen. Ihre Deutung ist ja auch recht einfach. Sowohl die männlichen Archäologen wie auch die Studenten stürzen sich geradezu darauf. In den Seminaren wollen Studenten über das immergleiche Thema referieren: das Schwert. Auf den Fachtagungen ist es das gleiche: Schwerter, soweit das Auge reicht.

Aus Skandinavien ist bekannt, dass es auch Frauen unter den kämpfenden Wikingern gegeben hat.
Diese Forschung bricht gerade erst auf, dank neuer forensischer DNA-Methoden. Bei den aktuellen Ausgrabungen im Schlachtfeld im Tollensetal in Mecklenburg-Vorpommern sind nun auch erstmals Frauen gefunden worden. In Dänemark gibt es massenhaft Gräber, in denen Frauen mit Waffen bestattet wurden, vor allem mit Dolchen. Viel aufschlussreicher als Waffen ist aber noch eine andere Grabbeigabe, die in der Forschung ebenfalls vernachlässigt wird: Schmuck!

Was erzählt dieser Schmuck?
Mit den Schmuckfunden lässt sich die Forschungslücke Frau schließen. Der Schmuck, den diese Frauen getragen haben, erzählt von ihrem Leben, von ihrer gesellschaftlichen Stellung und von ihren Wanderungen. Es gibt über doppelt so viele Schmuckfunde wie Waffenfunde. In der Forschung wird aber nicht über die Schmuck-Trägerinnen, sondern eher über die Technik der Schmuckherstellung geforscht, geschaut, ob man daraus eventuell Metallwerkstätten lokalisieren kann. Dabei verrät der Schmuck viel über die Frauen!

Was denn?
Eine Kollegin aus Schweden hat erforscht, wieviel Bronze Frauen und Männer tatsächlich am Körper trugen. Die Frauen waren so mit Bronzeschmuck behangen, dass es schepperte und klapperte. Sie waren also laut, sorgten öffentlich für Aufmerksamkeit. Sie mussten sich nicht verstecken, nichts heimlich machen, sie brauchten keinen Schutz. Sie waren voll präsent. Diese Frauen müssen Macht gehabt haben. Anders ist auch nicht zu erklären, dass sie in der älteren Bronzezeit in großen Grabhügeln bestattet wurden oder dass sie so viel Reichtum an Schmuck anhäufen konnten. Der Schmuck ist aus Bronze gefertigt, das nicht aus der Region stammt. Das macht ihn besonders wertvoll.

Wie sieht der Schmuck denn aus?
1.100 v. Chr. waren Gürteldosen und Gürtelbecken sehr beliebt, das sind Bronze-Becken, die etwa so groß wie eine Müslischale sind und einen Deckel haben. Dazu gehörten Armringe und Armspiralen, die den ganzen Unterarm bedeckten. Auch gedrehte Halsringe, wie sie im Mai in Schweden gefunden worden sind, wurden viel getragen. Dazu große, mächtige Arm- und Fußringe. Der Schmuck war auf Außenwirkung angelegt, er hatte repräsentativen Charakter. Quasi wie eine Tracht, die zu Festen oder besonderen Gelegenheiten getragen wurde.

Was wissen Sie über das Geschlechterverhältnis?
Bei den Siedlungen, die wir ausgraben, sehen wir, dass die Menschen auf Großbauernhöfen zusammengelebt haben. In der Eisenzeit in Polen wurden beispielsweise Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen bestattet. Oft gibt es in den Gräbern diese eine besondere Frau, die mit dem ganzen Schmuck bestattet wurde. Sie muss also eine exponierte Stellung gehabt haben. Möglicherweise hat sie Wissen vermittelt. Ganz anders die Krieger. Diese hauptsächlich jungen Männer wurden außerhalb der Gemeinschaft in Gruppen bestattet. Ihr Status war eher untergeordnet – außerhalb der Familie. Anhand des Schmucks lassen sich auch Austausch und Kontakte belegen. So findet man im Alpenraum Schmuck in Gräbern, der eindeutig aus dem Norden stammt und umgekehrt.

Die Frauen sind also weit gereist?
Ja, sie waren keineswegs nur auf ihr Zuhause festgelegt, wie es in der Geschichtsforschung oft dargestellt wird. Archäologische Funde im Lechtal südlich von Augsburg zeigen, dass Frauen in der Bronzezeit bis zu 600 Kilometer weit auf Wanderschaft gingen, wahrscheinlich wegen einer Heirat. Einzelne Frauen aus dem Lechtal kamen aus dem Leipziger Raum. Ihre Gräber und der Schmuck, mit dem sie bestattet wurden, zeigen, dass sie hoch angesehen und es keine Zwangsheiraten waren. Es liegt nahe, dass sie das Wissen zur Bronzeverarbeitung mitgebracht haben. Und: Die Menschen der Bronzezeit wussten bereits, dass sie ihren Genpool auffrischen müssen. Ein bekanntes Beispiel für mobile Frauen ist das „Mädchen von Egtved“.

Wer war dieses Mädchen?
Sie war 16, 17 Jahre alt als sie nahe Egtved in Jütland in Dänemark um 1400 v. Chr. in einem Baumsarg, einer Eiche, bestattet wurde. Sie trug eine Art wollenden Minirock mit einer auffälligen Gürtelschnalle und Arm- und Beinreifen. Mittels Strontiumisotopen-Analyse wissen wir, dass sie nicht aus Dänemark, sondern aus dem Schwarzwald kam. Strontium wird mit der Nahrung in Knochen und Zähnen eingelagert. Da die Entwicklung der Zähne im Jugendalter abgeschlossen wird, kann man auf die Region schließen, in der ein Mensch aufgewachsen ist, während die Knochen mitteilen, wo er oder sie sich in den letzten Lebensjahren befand. Das ermöglicht zum Beispiel eine Analyse von Migrationsbewegungen sesshafter Bevölkerungen. Die Nahrung, die das Mädchen von Egtved aufgenommen hat, stammte aus dem Schwarzwald, gefunden wurde sie in Jütland, also rund 1.000 Kilometer entfernt. Weil sie aber wohlhabend gekleidet war, Schmuck trug und üppig bestattet wurde, kann sie keine Verstoßene oder Vertriebene gewesen sein.

Gab es auch handelsreisende Frauen?
Ja, in der Tat. In der Bronzezeit wurde Metall wichtig, das gab es im Norden nicht. Kupfer und Zinn mussten eingetauscht werden. Die Masse an Bronze, die wir hier in Nordeuropa sehen, muss aus Teilregionen des Alpenraums kommen, wahrscheinlich aus dem Karpatenbecken und Spanien. Dadurch sind große Handels-Netzwerke entstanden. Der Norden, besonders Dänemark, ist reich an Bernstein, der schon seit der Steinzeit ein Zeichen von Luxus und Macht ist. Die Menschen aus dem Norden, Männer wie Frauen, gingen mit Bernstein auf Handelsreisen. Am Mittelmeer gab es einen enormen Bedarf an Bernstein für die Schmuckherstellung, die Griechen nannten ihn „Tränen der Götter“. Im Gegensatz zur Steinzeit gab es in der Bronzezeit also europaweite Kontakte und Netzwerke, in denen Frauen wichtige Kulturträgerinnen waren.

Werden Sie die Forschungslücke Frau schließen können?
Ich will die kommenden Generationen an Studierenden in diese Richtung stoßen. Die Forschung mittels neuer Gen-Analysen wird präziser und so mehr Frauen zum Vorschein bringen. Außerdem lässt sich belegen, dass große demografische Prozesse nicht wegen der Umwelt, sondern in erster Linie wegen sozialer Ungleichheit entstanden sind. In der Klimaforschung ist es normal, dass beispielsweise alte Schiffslogbücher oder Temperatur-Messdaten ausgewertet werden, um Modellierungsdaten für die zukünftige Klima-Entwicklung zu haben. Dasselbe können wir PrähistorikerInnen seit der Menschwerdung für die Sozial-Entwicklung erforschen.

Wie soll das geschehen?
Wir fragen: Was war für eine Gesellschaft wichtig, wann wurde sie verwundbar? Welche Netzwerke oder welche  Gesellschaftsformen waren erfolgreich? Wie hat die zunehmende Bedeutung von Eigentum, die sich in der Bronzezeit ausgebildet hat, eine Gesellschaft verändert? Wie reagierte ein Gesellschaftssystem auf soziale Ungleichheit? Und was bedeutete das für Männer und Frauen? Auch wir ArchäologInnen können die Jahrtausende modellieren, um zu zeigen, wie unsere gesellschaftliche Zukunft aussehen könnte. Was wir aber dafür brauchen ist das ganze Bild!

Jutta Kneisel bei der Ausgrabung eines Hügelgrabes in Bornhöved, Schleswig-Holstein. - Foto: Nadine Materne
Jutta Kneisel bei der Ausgrabung eines Hügelgrabes in Bornhöved, Schleswig-Holstein. - Foto: Nadine Materne

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