Die Katze und der liebe Gott

Illustration: Franziska Becker
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Es war am Ende des vorletzten Tages der Schöpfung; die Sonne, die ja, wie die Gestirne alle, bereits existierte, ging gerade zum fünften Mal unter, da saß auf Gottes mächtiger, lehmbeschmadderter Töpferscheibe fix und fertig die Katze. Sie war prachtvoll, kleiner, aber getigerter als selbst der Tiger, ihr Fell, vom rosigen Näschen bis zum buschigen Schwanz, dicht und seidig, die Schnurrbarthaare, kühn geschwungen, zart und elastisch wie gesponnenes Silber, sträubten sich empor zu ihren beiden phosphorgrün leuchtenden Irisscheiben, in denen, ebenmäßigen Kernen gleich, die schwarzen Ellipsen der Pupillen steckten. Ihre gepolsterten Vorderpfoten standen eng beieinander; ohne zu blinzeln schaute sie an Jehova Gott rauf, runter und wieder rauf, als sei er nicht furchterregend riesig und umzuckt von Geistesblitzen.

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„Ich will aber! Ich will, ich will, ich will …“
schrie die Katze. Ihre Augen glühten.

Ob es daran lag, dass Gott Feierabend hatte, also schon ein wenig erschöpft war von der Mühsal der Schöpfung, oder ob er, wie jeder wahre Künstler, doch etwas Stolz empfand beim Anblick seines für heute letzten Geschöpfes, oder ob er, von plötzlichem Argwohn befallen, die Katze testen wollte, wer vermag das zu sagen. Jedenfalls ließ er die Lider über seine großen, strengen, aber grundgütigen Augen sinken; seine langen Wimpern warfen den Schatten der Barmherzigkeit über das braunschwarzgestreifte Wesen, und Gott sprach:

„Du bist mir wohlgefällig, Katze. Und da mich, ob meines an dir so offensichtlich gewordenen Talents im Tierekneten, gute Laune anwandelt und du mir auch einen geschickten, unerschrockenen, hungrigen Eindruck machst, will ich, unter sämtlichen Kreaturen, die ich bislang schuf, dir allein ein Privileg gewähren. Du, Katze, darfst Mäuse fangen, denn an diesen dreisten Nagern wird es der Welt nicht mangeln.“

„Och“, murrte die Katze, „immer bloß Mäuse, das ist eine langweilige Kost“. Da hob Gott schon ein wenig die Braue und räusperte sich, sagte dann aber – mit nicht mehr ganz so milder Stimme: „Na gut, weil du es bist, und weil ich die Vögel, obwohl sie weder säen noch ernten, ja doch ernähre, sei dir, die du ebensowenig säst und erntest, auch mal ein Vögelchen erlaubt.“

„Hm“, maulte die Katze, „jeden Tag Mäuse oder Vögel und am nächsten wieder Vögel oder Mäuse, das wird verdammt fad. Was iss’n mit Federmäusen?“

„Pah“, machte der Liebe Gott, „du meinst wohl Fledermäuse? Oder habe ich dich bloß falsch verstanden, weil du so eine kehlige Stimme hast? – Von mir aus; mach dich zum Affen vor der Eule, leg dich auf die Lauer, schlag dir die Nacht um die Ohren, und sollest du wirklich einmal so ein Vampirchen erwischen, lass ihn dir schmecken, den erbärmlichen Happen aus Pelz, Haut und Knochen.“

Die Schwanzspitze der Katze begann zu wippen, aus ihrer nun erhobenen Pfote lugten die scharfen Krallen, was jedoch alles andere war als ein Zeichen eifriger Dankbarkeit. „Wenn es so ist, Gott“, fauchte die Katze, „will ich eben auch den Menschen fressen.“

Hätte es ihm jetzt die Sprache verschlagen, wäre der Liebe Gott nicht der Liebe Gott. O nein, er schickte seiner Katze, während er tief Luft holte, einen Blick, der derart ungnädig war, dass sie wegsehen musste; und dann polterte Gott los: „Bist du von Sinnen, du Bonsai-Bestie!

Das kommt ja überhaupt nicht in die Tüte. Erstens habe ich den Menschen noch gar nicht fertig, und zweitens wird der die Krone der Schöpfung. Menschenfressen ist verboten. Und Schluss.“

„Ich will aber! Ich will, ich will, ich will …“ schrie die Katze. Ihre Augen glühten giftgrün, die Haare auf ihrem Buckel sträubten sich und knisterten; ihr Schwanz wogte hin und her wie eine Palme im Sturm.

„Nein“, donnerte Gott.

„Doch“, rief die Katze.

So ging das eine Weile. Schließlich wurde dem Lieben Gott bewusst, dass er sich seit einer halben Stunde mit einer Katze stritt. Er schämte sich, denn er musste sich eingestehen, dass er, der er schließlich der Liebe Gott war, sich noch lächerlicher aufführte als das kleine Tier in seinem Zorn. War die Katze so anmaßend, weil sie so schön war? Oder war es genau umgekehrt?

Und für allzuviel feinen Instinkt sprach es auch nicht, dass sie es wagte, von Minute zu Minute respektloser, fordernder, unleidlicher vor ihrem Schöpfer und auf dessen Nerven herumzutrampeln. Womöglich, erkannte Gott selbstkritisch, ist mir die Mieze nicht so wohl geraten, wie ich im ersten Moment geglaubt hatte. Aber da noch einmal nachbessern zu wollen, das ziemt sich nicht für ein Genie. Und außerdem weiß ich etwas, was die nicht weiß …

"Und dann wird er verputzt, der Mensch!“,
jubelte die Katze.

Gott schielte rüber zu seiner Weltzeituhr; er wollte endlich ein Gläschen trinken und sich ausruhen für den letzten Tag der Genesis, an dem es den Menschen zu formen galt, der ja immerhin sein Ebenbild werden sollte. Ergreif eine List, eitel wie die ist, fällt sie drauf rein, sagte er sich – und dann zur Katze: „Du hast gewonnen, Süße. Ich will mal nicht so sein. Meinetwegen, friss Menschen. Doch bevor Du einem von ihnen das Licht ausbläst, sollst du drei Vaterunser für mich beten, aber ganz andächtig, langsam und deutlich, bis zum letzten Wort.“

„Au ja“, jubelte die Katze, „das kann ich. Und dann wird er verputzt, der Mensch.“

Graziös wie keine nach ihr sprang Gottes Katze runter von der göttlichen Töpferscheibe, schlüpfte dem Herrn zwischen den Beinen hindurch und entwich in die sternklare Nacht.

Seither sucht die Katze unsere Gesellschaft, jagt die Mäuse in unserem Haus, Keller und Stall, legt uns Vögel vors Bett und ganz selten auch einmal eine Fledermaus. Und wenn der von ihr erwählte Mensch sich hinsetzt, um ein bisschen auszuruhen von seinen Werken, macht die Katze einen Satz in dessen Schoß, rollt sich zusammen, schließt die Augen, um sich besser konzentrieren zu können, und fängt gleich an, die Vaterunser herunterzuschnurren; sie betet und betet und betet, schläft aber jedes Mal dabei ein.

Aus: „Die Enten, die Frauen und die Wahrheit“ (Fischer TB, 8.95 €)

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