Alice Schwarzer schreibt

Die verzweifelte Rächerin

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Täglich werden Frauen geschlagen, vergewaltigt, ermordet - von Männern. Und niemand schert sich darum. Aber wenn eine Frau einem Mann mit einem 25 Zentimeter langen Fleischmesser zu Leibe rückt, und dann noch an seiner empfindlichsten Stelle, rauscht es im Blätterwald. Lorena Bobbitt hatte nach einer Vergewaltigung durch den eigenen Ehemann für seine Entwaffnung gesorgt. Seitdem heißt die Amerikanerin weltweit: „Die Frau, die ihrem Mann den Penis abschnitt.“

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Mit dem Pimmel in der Hand verließ die zierliche Kosmetikerin (24) am 23. Juni gegen vier Uhr morgens das gemeinsame Appartement in der Kleinstadt Manassas. Sie stieg in ihr Auto, fuhr los und warf das „abgehackte Anhängsel“ unterwegs aus dem Fenster. Die Polizei fand es später in der Nähe eines Kindergartens.

John Wayne Bobbitt (26), der 1,96 Meter große Ex-Soldat der Elite-Einheit „Marines“, betrat gegen fünf Uhr die Ambulanz eines Krankenhauses: mit blutbedeckten Händen, die er gegen seine Leisten preßte. Der Arzt wollte zunächst sein Handgelenk behandeln. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß der „Alptraum eines jeden Mannes“ (Vanity Fair) wahr geworden war.

Bis nach Europa drang die Kunde von der Kastration. „Feministinnen rühmen es als Befreiungshieb“, witzelt die Bunte, und die amerikanische Presse höhnt über den „Triumph der Schwanzabschneiderinnen“. Aber nicht nur Emanzen jubelten über den gelungenen Racheakt. Das ganze weibliche Amerika ist begeistert. Die Frauenzeitschrift Vanity Fair ergriff offen Partei für Lorena. Die Völkerkundlerin Helen Fisher wunderte sich öffentlich, „dass es nicht öfter passiert“. Und eine alte Dame aus Brooklyn wetterte in der Daily News: „Sie hätte die Eier gleich mitabschneiden sollen.“

James Sehn, der Urologe, der das „Corpus Delicti“ wieder anoperiert hat, berichtet: „Wenn ich die Geschichte erzähle, fühlen sich Männer entmannt, und Frauen fühlen sich machtvoll.“ So tief ist die Sympathie der Frauen für Lorena, so groß die Rage gegen den Vergewaltiger John, dass die Frau des erfolgreichen Operateurs in ihrem Schönheitssalon beschimpft wurde. Auch auf Kaffeekränzchen und nach der Kirche wird sie immer wieder gefragt, warum ihr Mann „das Ding“ wieder angenäht hat. Mrs. Sehn entnervt: „Die Frauen sagen, Lorena hätte das Teil in einen Müllschlucker werfen sollen.“

Und die Rächerin selbst? Für sie ist es keine Heldinnentat, für sie war es nur verspätete Notwehr. Mit 15 ist die gebürtige Venezuelanerin in die USA ausgewandert. Ihr Traum: ein netter Mann, nette Kinder und ein nettes Häuschen. Geld und Liebe dazu. Und dann traf sie den Marine John Wayne Bobbitt.

Eine Woche vor der Hochzeit schlief Lorena das erste Mal mit ihm: „Ich habe immer Filme gesehen und dachte, Sex, das sind Berührungen, Küsse, Zärtlichkeit, aber er war nicht zärtlich. Es ging immer nur rein, raus, rein, raus.“ John Wayne hatte kein Geld, er ließ sich von Lorena aushalten. Und er dankte es ihr mit Schlägen: „Dabei benutzte er Kampftechniken, die er bei den Marines gelernt hatte.“ In der Nacht vom 22. auf den 23. Juni liegt Lorena im Bett und schläft. Zwischen drei und halb vier wird sie wach, John kommt von einer seiner Sauftouren nach Hause. Sie schläft wieder ein. Als sie das nächste Mal erwacht, liegt er auf ihr: „Ich war für ihn nur ein Stück Fleisch. Er riß meine Beine auseinander, rammte seinen Penis in mich hinein. Er schob seine Zunge in meinen Mund. Sehr, sehr tief. Ich dachte, ich werde stranguliert.“

Als er von ihr herunterrollt und zu schnarchen beginnt, holt sie das Messer aus der Küche; sie schlägt die Bettdecke zurück und schneidet das Ding ab, die Waffe des Vergewaltigers. Zwei Stunden später stellt sich Lorena freiwillig der Polizei, sie sagt den Beamten, wo sie den Penis hingeworfen hat. Zehn Stunden war John Wayne Bobbitt schwanzlos, nach neuneinhalb Stunden auf dem Operationstisch war der Penis wieder dran. Noch ist es nicht sicher, ob der Vergewaltiger impotent bleibt. Aber, freut sich News Week: „Immerhin kann er wieder urinieren.“

John Wayne Bobbitt wurde wegen „sexueller Nötigung“ angeklagt. Wie in Deutschland gibt es in Virginia den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe nicht. Dem Mann könne die Gewalttat nicht nachgewiesen werden, meinten die Geschworenen. Sie sprachen ihn frei. Der Prozeß gegen Lorena Bobbitt ist für den 10. Januar festgesetzt. Für die „heimtückische Körperverletzung“ drohen ihr 20 Jahre Gefängnis.

Wie auch immer der Prozeß ausgehen mag - eins hat die schüchterne Rächerin schon jetzt bewirkt: Wenn Amerikanerinnen das Victory-Zeichen machen, formen sie neuerdings die zwei hochgereckten Finger an der rechten Hand zur Schere. Schnippschnapp.

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