Ellen Page: Die Unangepasste

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Es war ihr erstes Mal. Und so, wie sie davon erzählt, muss es fantastisch gewesen sein. „Es war wirklich etwas ganz Besonderes und ich habe mich unheimlich glücklich gefühlt“, gab Ellen Page anschließend den Medien zu Protokoll. Zum allerersten Mal in ihrem 29-jährigen Leben war die Hollywood-Schauspielerin nicht allein über den roten Teppich gelaufen, sondern Hand in Hand mit einem anderen Menschen. Dieser Mensch hat lange blonde Haare, heißt Samantha Thomas und ist eine Frau. Im Fast-Partnerlook in Schwarz-weiß schritt das Paar am 13. September 2015 beim Toronto Filmfestival zur Premiere von Ellens neuem Film „Freeheld“.

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Für lesbische Frauen gab es bisher keinen Film wie diesen

„Verliebt zu sein, endlich mein Leben leben zu können, die Hand meiner Freundin zu halten, sie mit zu dieser Premiere zu bringen und mit ihr über den roten Teppich zu laufen – ich kann gar nicht sagen, wie großartig das ist!“ jubelte Ellen Page nach dem Auftritt – und die Medien jubelten mit über das „happy couple“ (Dailymail), das so „glücklich lächelt“ (Gala).

Hinzu kommt, dass der Film, in dem Ellen Page neben Julianne Moore die Hauptrolle spielt, passenderweise den Kampf um Homosexuellenrechte zum Thema hat. Ellen Page ist die Automechanikerin Stacie Andree, deren Lebensgefährtin Laurel Hester die Diagnose Lungenkrebs im Endstadium bekommt. Die Polizistin, seit 25 Jahren bei der Polizei von New Jersey, möchte ihre Pensionsansprüche an Stacie übertragen, damit die nach Laurels Tod weiter im gemeinsam gekauften Haus leben kann. Bei Ehepaaren ist diese Regelung üblich, aber da die beiden Frauen nicht heiraten dürfen, beginnt nun der zermürbende Kampf des Frauenpaares um sein Recht.

Der Film beruht auf einer wahren Geschichte. Im Jahr 2005 hatten fünf republikanische Bezirksvertreter, englisch: Freeholders, daher der Filmtitel – Laurels Antrag abgelehnt und auf die „Heiligkeit der Ehe“ verwiesen. Hunderte AktivistInnen demonstrierten daraufhin für die Gleichbehandlung des Paares und setzten sich mit Schildern in die Verhandlungen: „Lassen Sie Officer Laurel Hester nicht so sterben. Haben Sie Mitgefühl.“ Schließlich stimmten die Freeholders am 25. Januar 2006 zu. Drei Wochen später starb Laurel Hesters. Der Dokumentarfilm „Freeheld“ über Laurels und Stacies historischen Sieg wurde 2007 mit einem Oscar prämiert.

Ellen Page sah den Film zwei Jahre später. „In einem Hotelzimmer in Detroit, wo ich gerade drehte. Ich habe nur noch geweint“. Die Produzenten, die aus der Geschichte einen Spielfilm machen wollten, hatten ihr die Doku zugeschickt, um sie für die Rolle der Stacie zu gewinnen. Page sagte sofort zu. „Der Film feiert, wie weit wir in ziemlich kurzer Zeit gekommen sind“, sagt sie. Außerdem: „Lesbische Frauen hatten noch nie einen solchen Film wie die Männer ihn mit ‚Milk‘, ‚Philadelphia‘ oder ‚Brokeback Mountain‘ hatten“. Es ist zu vermuten, dass die Produzenten wussten, wen sie da fragten, weil sich schon damals gewisse ­Gerüchte um diese junge Schauspielerin rankten. Die hatte sich erstens von Anfang an offenherzig zum Feminismus bekannt, zweitens den Hollywood’schen Püppchen-Dresscode beständig ignoriert und sich drittens trotz ihrer körperlichen Zartheit für ihre Rollen auffallend starke Frauen ausgesucht.

Zum Beispiel Kitty Pryde, Superheldin im Blockbuster „X-Men“. Oder die 14-jährige Hayley, die in „Hard Candy“ übers Internet einen Pädosexuellen in die Falle lockt. Oder „Juno“, die Rolle, die Page schon im zarten Alter von 18 Jahren berühmt machte: Die Geschichte um eine schwangere 16-Jährige, die ihr Kind zur Adoption freigibt, brachte Ellen Page – als einer der jüngsten Schauspielerinnen aller Zeiten – eine Oscar-Nominierung ein. Und einen Ruf als Pro Choice-Aktivistin. „Ich bin Feministin und absolut Pro-Choice“, erklärte sie. „Ich finde Abtreibungen nicht toll, aber ich will, dass Frauen die Wahl haben. Sollen wir etwa in Zeiten zurückfallen, in denen sie mit dem Kleiderbügel abgetrieben haben?“ Page engagierte sich später auch für Obamas Kampagne für die rezeptfreie Pille danach: „Verrückt, dass Leute, die gar nicht schwanger werden können, über die Gebärmütter der ganzen Nation entscheiden“, spottete sie auf Twitter. 

Ellen Page war es einfach leid, sich zu verstecken

Wahrscheinlich spielt bei ihrem Engagement eine Rolle, dass die bekennende Atheistin im kanadischen Halifax geboren ist, wo es, anders als in den USA, keinen Bible Belt und keine evangelikalen Präsidenten gibt. Die Tochter eines Grafik-Designers und einer Lehrerin wurde mit zehn in der Schultheatergruppe von einem Casting-Scout entdeckt. Mit 16 ging der „totale Tomboy“ nach Toronto, und schon bald rief Hollywood. 

Allerdings gab es da immer dieses kleine Geheimnis. Zwar scheute die Nonkonformistin sich nicht, zum Beispiel einer Guardian-Reporterin vorzuschlagen, „jetzt mal diesen Promotion-Kram zu lassen und stattdessen lieber über die radikale Feministin Shulamith Firestone zu sprechen“. Darüber aber, dass sie Frauen liebte, schwieg Ellen. Bis zu jenem 14. Februar 2014, an dem sie sich als Rednerin auf einer Konferenz der Homo-Organisation „Human Rights Campain“ ein Herz fasste. „Ich bin hier, weil ich homosexuell bin“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Und weil ich vielleicht etwas dazu beitragen kann, dass andere ein einfacheres und hoffnungsvolleres Leben haben.“ Fünf Sekunden Stille. Dann erhob sich das Publikum und spendete tosenden Applaus. 
„Ich war so nervös wie noch nie in meinem Leben“, offenbarte Ellen später der anderen lesbischen Ellen (de Generes) in deren Show. „Aber ich war es leid, mich zu verstecken.“

Chantal Louis

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