Franziska Becker wird 70

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Ein dicker Foliant mit Karikaturen von Wilhelm Busch ist für die junge Franziska Becker die Bibel. Der "Urvater des modernen Comic" weckt ihre lebenslange Leidenschaft für bissige Kommentierungen mit Feder und Tusche. Mit Busch verbindet die in Mannheim geborene Cartoonistin der Blick für das Abstruse, das unfreiwillig Komische im Alltag, insbesondere im Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Beckers Markenzeichen sind Figuren mit Knollennasen und großen Füßen, die sich in Sprechblasen austauschen. Eine der wenigen Frauen in einer Männerdomäne feiert am 10. Juli ihren 70. Geburtstag.

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Beckers Figuren haben Knollennasen und große Füße

Die politische Künstlerin erhielt zahlreiche Preise, unter anderem als erste Frau 2013 den nach ihrem Vorbild benannten Wilhelm Busch Preis. Quasi als Geburtstagsgeschenk hat die Comic-Zeichnerin jüngst die Hedwig-Dohm-Urkunde des Journalistinnenbundes für ihr "spitzfedriges und scharfzüngiges" Lebenswerk bekommen. Das freut sie besonders: "Denn ich sehe mich als zeichnende Journalistin." Doch die Freude wird ihr vergällt durch jüngste Anfeindungen einer deutsch-türkischen Bloggerin, die ihr Rassismus und Islamfeindlichkeit unterstellt; insbesondere ihre Kopftuch-Comics diskriminierten muslimische Frauen.

Der Vorwurf sei empörend, sagt EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer. Bei den Zeichnungen der Hauscartoonistin des feministischen Frauenmagazins gehe es um politische Radikalisierung und den Missbrauch des Islam, nicht um den Glauben selbst. Gibt es Grenzen für Satire? Nein, meinen Becker und Schwarzer unisono. Becker: "Beleidigte ohne Humor wird es immer geben."

Ada & Eva im Paradies: Letzte Warnung!

Vom zeichnenden Kind bis zu Hauscartoonistin von EMMA war es ein weiter Weg. Zwar fördern die liberalen Eltern die Begabung der Tochter, aber als Beruf kommt das Zeichnen für sie nicht in Frage. Becker studiert Ägyptologie, bricht das Studium aber ab. "Zu trocken", erklärt sie. Da erscheint ihr eine schnelle medizinisch-technische Ausbildung der leichtere Weg.

Aber die Liebe zur Kunst bricht sich schließlich doch Bahn: 1972 findet sie zur Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, wo sie unter anderem bei Markus Lüpertz studiert. "Ich war da nicht sehr glücklich. Die Akademie war eine verstaubte Männer-Angelegenheit. Die Kommilitonen imitierten Lüpertz' Macho-Gehabe." Immerhin habe sie dort das genaue Hinschauen und die Arbeit mit Farben gelernt. "Und das Aushalten von Kritik", fügt sie hinzu.

Im Jahr 1976 - kurz vor dem Staatsexamen - wirft sie hin. Zu tief ist die Kluft zwischen ihrem Engagement in der Frauenbewegung und dem Studium an der männerdominierten Akademie. Einschneidend ist die Begegnung Beckers mit Alice Schwarzer 1975. Die Journalistin besucht in Heidelberg Frauenzentren. Ein Jahr später gründet sie die EMMA und sucht via Frauenzentren nach kreativen Köpfen.

Becker trifft Schwarzer: eine einschneidende Begegnung

Becker bewirbt sich und erhält den Zuschlag. Schwarzer schätzt an ihr "die Qualität - des Strichs wie der Haltung". Von da an zieren zweiseitige Bildgeschichten das Magazin. Sie nehmen das alternative Leben und esoterische Auswüchse der Frauenbewegung auf die Schippe. Die EMMA ermutigt sie zur Schärfe. "Ich sollte nicht so lieb sein", erinnert sich die große schlanke Frau mit der braunen Löwenmähne. Neben EMMA gehören Titanic, Stern oder Psychologie heute zu ihren Kunden.

In ihrem ersten von bislang 18 Büchern, "Mein feministischer Alltag", verarbeitet sie persönliche Erfahrungen. "Den Slang und die Kapriolen kann man sich nicht anlesen." Ihr 1985 erschienenes viertes Werk "Männer" widmet sie ganz dem anderen Geschlecht und dessen Reaktion auf die Frauenbefreiung.

Da ist das "Prachtexemplar", das der Partnerin unterwürfig den Haushalt führt, der "neue Vater", der eine Vater-Baby-Gruppe gründet, "um die neuen Identitätsprobleme emotional zu verarbeiten", und der Prolet mit Kippe im Mundwinkel, der seine viel jüngere asiatische Lebensgefährtin als sauberer, anspruchsloser und dankbarer als die deutschen Frauen preist.

In dieser Zeit zieht sie von Heidelberg nach Köln, wo sie zwölf Jahre mit dem Karikaturisten papan (Manfred von Papen) zusammenlebt. Vor sechs Jahren heiratete sie einen US-Amerikaner, mit dem sie zeitweise in den Vereinigten Staaten lebt. Keim der langjährigen Beziehung war die Fanpost des Soziologen für Beckers Buch "New York, New York".

Auch in ihrem neuesten Projekt beschäftigt sie sich mit den Vereinigten Staaten. Sie will die Lage des Landes skizzieren - zeigen, wie Präsident Donald Trump das Land spaltet, wie Verschuldung und Obdachlosigkeit um sich greifen und wie groß das Elend in den kleinen Städten auf dem Land ist.

Julia Giertz, dpa

Franziska Becker zeichnet Franziska Becker.
Franziska Becker gezeichnet von Franziska Becker.

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Alice Schwarzer schreibt

Der erste deutsche Karikaturenstreit

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Es ist viereinhalb Jahre her. Da stürmten zwei Islamisten in Paris die Redaktion der satirischen Wochenzeitung Charlie Hebdo, eröffneten das Feuer und töteten zehn MitarbeiterInnen, allen voran die Zeichner. Plus zwei Polizisten. Grund: Eine Karikatur des Propheten Mohammed, die sie „beleidigend“ fanden. Die Tat löste nicht nur weltweites Entsetzen aus - und Jubel bei den Gesinnungsbrüdern der Killer -, sondern auch die Frage: Was darf die Karikatur, die Satire, ja was muss sie?

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Was darf,
was muss
Satire tun?

Am 29. Juni erhält die Karikaturistin Franziska Becker in Berlin - nach vielen Cartoon-Preisen - nun auch einen journalistischen Preis: die „Hedwig-Dohm-Urkunde“. Dohm (1831-1919) war die geistreichste und spöttischste Intellektuelle der historischen Frauenbewegung. Und dass nun dieser Preis an eine Cartoonistin geht, deren Medium Bild und Wort sind, ist kein Zufall. Denn Dohm und Becker haben vieles gemein: Beide spotten nicht nur über die Männerwelt, sondern verschonen auch die Frauen nicht - und schon gar nicht die Frauenbewegung. Die Cartoons, in denen die EMMA-Hauscartoonistin die Rigidität und den Kitsch in den eigenen Reihen aufspießte, gehen in die Dutzende: strickende Feministinnen im Frauenzentrum, Hackebeil schwingende Separatistinnen im Frauenland, esoterische Frauenrechtlerinnen auf der Suche nach der Göttin. Selbstironie ist eben immer die beste aller Ironien.

Ebenfalls der Namensgeberin des Preises und ihrer Empfängerin gemeinsam ist ihre scharfe Religionskritik, bzw. die Kritik am Missbrauch von Religionen zur Frauenunterdrückung durch selbstgerechte, schriftgläubige Fanatiker. Unvergessen der Cartoon, in dem ein christlicher Priester und Lebensrechtler mit seinem Schild „Für das Leben“ auf eine Gegendemonstrantin einschlägt. Der Vatikan hat sich daraufhin übrigens nicht bei EMMA gemeldet.

Seit 1991 (!) nun karikiert Becker hellsichtig auch die Fanatiker im Islam, die Scharia-AnhängerInnen und Burka-PropagandistInnen. Sie hat dies immer in der gebotenen Schärfe getan. Denn es ist ja die Aufgabe der Karikatur, durch groteske Zuspitzung zu irritieren, die Augen zu öffnen. Auch hier gab es nie Proteste. Bisher nicht.

Aus dem Becker-Cartoon "Kopftuch & Co." in EMMA 6/2003.

Treffend preist auch die Jury des Journalistinnenbundes Becker als "unerbittlich klarsichtig“. Doch diese Klarsicht scheint plötzlich nicht mehr angesagt. Die Stunde der Vernebelung und Ideologisierung, ja der Meinungsverbote und Zensur hat geschlagen.

28 Jahre nach ihrem ersten Anti-Islamismus(nicht Islam!)-Cartoon wird Becker nun plötzlich wegen ihrer über Jahrzehnte veröffentlichten Karikaturen über die reaktionären Islam-Auslegungen der „Islamfeindlichkeit“ und des „Rassismus“ bezichtigt. Eine deutsche Bloggerin türkischer Herkunft hat den Protest initiiert - und so mancher folgt ihr. Darunter auch bekannte Namen.

Augstein entschuldigt Charlie-Hebdo-Massaker

So twittert der Journalist Jakob Augstein: „Für mich sieht das so aus, als könne es auch in der Jungen Freiheit stehen“ (für Nichteingeweihte: ein rechtsextremes Blatt). Und Augstein jr. setzt nochmal nach: „Karikaturen sind dann gut, wenn sie die Großen klein machen – nicht, wenn sie auf die treten, die ohnehin unten sind“, schreibt er. „Darum waren auch die antimuslimischen Charlie-Hebdo-Karikaturen schlecht. Es geht um die Machtfrage.“

Es stimmt. Satire sollte immer nach oben zielen, nie nach unten treten. Für Augstein scheinen MuslimInnen immer unten zu sein. Was bedenklich ist, um nicht zu sagen „rassistisch“. Mal ganz davon abgesehen, dass er mit der Qualifizierung der Charlie-Hebdo-Karikaturen als „schlecht“ das Massaker entschuldigt, wenn nicht sogar rechtfertigt.

Und übrigens: So wenig wie der Priester als Lebensrechtler der kleine Mann von nebenan ist, sondern Teil der rechten Strömung einer Weltmacht, so wenig sind die Denk- und Veröffentlichungsverbote im Namen eines „beleidigten Islam“ Privatsache von Privatpersonen, sondern Teil einer weltweiten Offensive des politisierten Islam. Hinter dem Diktat der nicht nur Frauen entmündigenden und entrechtenden Scharia - in inzwischen weltweit 35 islamischen Ländern - und ihrer Propagierung bis in die Communities mitten in westlichen Metropolen stehen gewaltige Mächte, stehen die Petro-Milliarden der Ölscheichs und die ideologischen Einpeitscher in tausenden Koranschulen. 

Das scheinen viele immer noch nicht begreifen zu wollen, bzw. sie sind nützliche Idioten oder gar HandlangerInnen dieser neuen Rechten. So attestiert die Chefredakteurin des Online-Magazins Edition F, Teresa Bücker - profiliert als "sex-positiv“ (also pro Prostitution) und Kopftuch-Anhängerin - spitzmündig: „Puh, da wird einem ja schwindelig“, nämlich beim Anblick der Becker-Cartoons. „So offen rassistisch, insbesondere gegenüber kopftuchtragenden Frauen.“

Doch den Vogel schießt die Trägerin des „Friedenspreises des Deutschen Buchhandels“, Carolin Emcke, ab. „Wer sitzt denn da in der Jury? Nur aus Neugierde…“ fragt sie inquisitorisch. Was beabsichtigt Emcke denn eigentlich mit so einem Satz?

„Unsittlich erscheint der Menge stets alles Ungewöhnliche, was sie aus dem Zauberbann ihrer Phrasen, ihrer brunnentiefen Gemütsruhe aufschreckt“, schrieb einst Hedwig Dohm, und fuhr fort: „Doch jeder Gedanke, wenn er wirklich einer ist, ist ein wenig ketzerisch.“ Will sagen: Das Gegenteil von politisch korrekt. Es ist unter keinen Umständen die Aufgabe der Satire, gläubig nachzubeten, was im jeweils angesagten Gebetbuch steht. Es ist die Aufgabe der Satire, querzudenken, gegenzuhalten, zu irritieren und so die Augen zu öffnen!

Weil Franziska Becker, die übrigens am 10. Juli 70 wird, all das seit 42 Jahren in EMMA tut, hat sie den Hedwig Dohm Preis mehr als verdient!

Selbstverständlich wird sich ebenso EMMA diesem Tugenddiktat der Selbstgerechten auch in Zukunft nicht beugen. EMMA ist ganz im Gegenteil stolz darauf, 2006 neben Charlie Hebdo weltweit die erste Zeitschrift gewesen zu sein, die aus Solidarität die Mohammed-Karikatur des Dänen Kurt Westergaard aus Jyllands Posten veröffentlichte. Auch damals waren fundamentalistische Muslime über eine Zeichnung „beleidigt“, weltweit. Bücher wurden verbrannt, Menschen ermordet, der mit dem Tod bedrohte Karikaturist Westergaard musste mit seiner Familie abtauchen.

Schwarzer mit dem algerischen Schriftsteller Sansal im Mai 2019 in Paris. Gemeinsame Sorge: die Politisierung des Islam.
Schwarzer mit dem algerischen Schriftsteller Sansal im Mai 2019 in Paris. Gemeinsame Sorge: die Politisierung des Islam.

Die Meinungsfreiheit und Denkfreiheit kann einen hohen Preis haben - muss aber nicht. Wehret darum den Anfängen!

Alice Schwarzer

Der Dohm-Preis wird Franziska Becker am 29. Juni in Berlin verliehen, um 19.30 Uhr im Place One/Friedrichshain.

 

Hier alle Cartoons von Franziska Becker aus EMMA zur Politisierung des Islam und Verharmlosung von Scharia und Burka.

EMMA 9/1991: Schleierhafter Unterschied

EMMA 6/1995: Nur ein Stück Stoff

EMMA 6/2003: Kopftuch & Co.

EMMA 6/2007: Türban mültigülti

EMMA 1/2014: Aus freiem Willen.

EMMA 3/2015: Auf Tuchfühlung

EMMA 6/2016: Nur ein Stück Stoff

 

 

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