Hexenjagd bei Amazon?

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Helga König liest gern. Und Helga König schreibt gern über das, was sie gelesen hat: "Lesen und über das Gelesene zu kommunizieren" macht ihr Freude. Seit November 2002 stellt König deshalb ihre Rezensionen ehrenamtlich auf Amazon ein und hat es mit 2.213 Texten in acht Jahren in der Liste der Top-RenzensentInnen auf Platz zwei gebracht. Auf diese Liste kommt man, wenn man erstens viel rezensiert und zweitens auch gern gelesen wird: nämlich die Rezensionen von möglichst vielen LeserInnen als "hilfreich" angeklickt werden. Bei ihr ist das in 68 Prozent der Fall.

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In der Top-Ten von Amazon ist Helga König die einzige Frau. Doch in den letzten Wochen hat die Top-Rezensentin auf Amazon nur einen einzigen neuen Text eingestellt. Und der lautet folgendermaßen: "Seit ich in dieser Rangliste auf TOP 2 rangiere, wird mir durch Mail- und Telefonterror sowie Massenabklicks (pro neuer Rezension bis zu 50 Serienabklicks in wenigen Minuten nach Onlinestellen), Verleumdungen und Beschimpfungen in den Kommentarzeilen, auf Blogs und in einem Forum Schaden zugefügt und versucht, meinen Ruf zu zerstören. Mein gesundheitlicher Zustand aufgrund der täglichen Drohkulisse lässt weiteres Rezensieren auf dieser Plattform nicht mehr zu."

Was ist passiert? Zum ersten Mal wurde die Freude der Politologin und Germanistin am Rezensieren getrübt, nachdem sie am 11. September 2006 eine Rezension zu Eva Hermans "Eva-Prinzip" eingestellt hatte. Eine kritische. "Frau Herman hat sich offenbar zur Galionsfigur einer Bewegung aufgeschwungen, die durch Herrn Schirrmachers 'Minimum' eingeläutet wurde und deren Ziel es ist die Arbeitslosenzahlen in unserem Land zu schönen, indem man die Frauen zurück an den Herd treiben will!" schrieb König.

"Nach der Rezension bekam ich etwa 200 E-Mails von Männern, die mich beschimpft haben ohne Ende"

Und forderte ihre LeserInnen auf: "Lesen Sie das Buch kritisch! Denken Sie dabei bitte an das Engagement der vielen tapferen, hochintelligenten Frauenrechtlerinnen des vergangenen Jahrhunderts. Diese haben eine Menge Repressalien in Kauf genommen, um sich für unsere Freiheit stark zu machen! Seien Sie auf der Hut!"

Auf der Hut musste Helga König daraufhin selbst sein. "Nach der Rezension bekam ich etwa 200 E-Mails von Männern, die mich beschimpft haben ohne Ende", berichtet sie. "Die hatten einen Ton, dass mir nichts mehr einfiel." Die Rezensentin, die es gewagt hatte, vor dem biologistischen Steinzeit-Pamphlet der inzwischen in christlichen Fundamentalistenkreisen hoch gehandelten Herman zu warnen, sah sich plötzlich den Attacken von so genannten Maskulisten ausgesetzt. Das sind Männer, die die alte Geschlechterordnung (Frau-Herd, Mann-Welt) wiederherstellen wollen und in Internet-Foren ausgezeichnet vernetzt und organisiert sind.

Auch im EMMA-Forum berichten UserInnen und BlogerInnen immer wieder von Attacken der anscheinend gut vernetzten Maskulisten. Immerhin hatte Helga König es damals noch in der Hand, die beleidigenden Droh-Mails aus der Welt zu schaffen: Die heutige Kommentar-Funktion auf Amazon gab es damals noch nicht, alle Beschimpfungen landeten in ihrem E-mail-Account. "Dort habe ich sie wutentbrannt gelöscht!"

Das war knapp ein Jahr später nicht mehr möglich. Da hatte sich die Top-Rezensentin plötzlich erneut den Zorn der Maskulisten zugezogen. Grund: Sie hatte "Die Antwort" von Alice Schwarzer positiv besprochen. Das Buch sei "die kluge Antwort auf rückwärtsgewandte Publikationen wie etwa Schirrmachers 'Minimum' oder Hermanns 'Das Eva-Prinzip'."

Allerdings hatte Helga König offenbar da schon aus der Causa Herman gelernt. Sie führte vorsichtshalber gleich zu Beginn ihrer Rezension mehrere männliche Kronzeugen ins Feld, wie "den Franzosen de Saint Simon (1760-1825), den Deutschen Theodor Gottfried von Hippel (1741-1796) oder den Engländer Theodor Stuart Mill (1806-1873), für die Frauen durchaus ebenbürtig waren". Alle drei waren auch von Schwarzer positiv zitiert worden.

Es nützte nichts. Die Herren posteten wieder en masse, diesmal nutzten sie allerdings die Kommentarfunktion auf Amazon. In den Foren hatte Helga König bald ihren Spitznamen weg: "Die Hexe von Amazon". In einem Forum habe gestanden: "Die Hexe muss brennen!" Beruhigend, dass wenigstens der Ehemann der "Hexe" zu ihr hält, mit ihm betreibt König eine Logistikfirma in Hessen.

Ende Januar nun hat der Krieg auf Amazon aufs EMMA-Forum übergegriffen: "Seit Helga König, die erfolgreichste Rezensentin bei Amazon (über 2200 Besprechungen), das Buch von Alice Schwarzer ‚Die Antwort’ rezensiert hat, werden alle ihre Besprechungen gnadenlos heruntergevotet. Sie erhält außerirdische Kommentare und der männliche Sturmtrupp ergeht sich in Widerwärtigkeiten der unsäglichsten Art“, klagt Userin Anne Lineik im Thread "Cybermobbing gegen die 'Hexe von Amazon'".

Exakt zwei Stunden und 58 Minuten später belegt der Post von Jeanette, dass Helga König kein Einzelfall ist. "Von Cybermobbing kann ich auch ein Liedchen pfeifen, besonders von dem der Maskulisten gegenüber den Feministinnen. Alles auch an eigener Haut im Internet zu spüren bekommen." Auch Mona bestätigt: "Generell scheinen Maskulisten bei vielen Themen die Meinungshoheit im Internet innezuhaben." Und "Piratenweib" schreibt: "Es ist unerträglich, mit welcher Arroganz und Selbstgefälligkeit einige Männer, die sich dann auch noch Männerrechtler nennen, mit ihrem Frauenhass das Netz überziehen. Auch mein Blog wird von unterirdischen Kommentaren geflutet."

 "Es ist unerträglich, mit welcher Arroganz und Selbstgefälligkeit einige Männer, die sich dann auch noch Männerrechtler nennen, mit ihrem Frauenhass das Netz überziehen."

Die dritte Attacke auf Helga König hatte Ende 2009 begonnen. Seither werde sie "wahnsinnig gestalkt". Mit Telefonterror und "Mails mit Bösartigkeiten". In Autorenforen tauchten "jeden Tag Unterstellungen und Verleumdungen auf". Schon länger würden ihre Rezensionen sofort "abgeklickt", also als "nicht hilfreich" bewertet, und das massenhaft.

"Kaum stelle ich einen Text rein, habe ich innerhalb von fünf Minuten 50 Abklicks", berichtet König. Und das, obwohl die gemobbte Schreiberin längst demonstrativ gegen das Emanzen-Klischee anrezensierte und nicht nur Schwarzer, sondern auch Erotik-Bücher von "Tantra" bis "Kamasutra" besprach.

Warum die erneute Mobbing-Attacke, obwohl König noch nicht einmal weitere profeministische Rezension einstellte? Die Top-Renzensentin stellt sich Fragen. Könnte das Timing damit zusammenhängen, dass "ich im November dem Ranglisten-Ersten sehr nahegekommen bin?" Hat man ihr deshalb gedroht: "Wenn ich nicht aufhören würde zu schreiben, würden sie meinen Ruf zerstören."

Der Ranglistenerste ist Dr. Werner Fuchs aus Zug in der Schweiz. Er liegt mit 2.108 Rezensionen zahlenmäßig hinter der Zweitplatzierten, hat aber mit 82 Prozent mehr „Hilfreich“-Bewertungen. Werner Fuchs hat eine Marketing-Agentur und hält Vorträge mit Titeln wie „Ich-Marketing. Sich besser verkaufen.“ Als Ranglistenerster ist er für die Medien der „Reich-Ranicki des Internets“. Die Ranglistenzweite kennt außerhalb von Amazon kein Mensch.

Wie auch immer das alles zusammenhängen mag. Helga König stellt fest: "Ich bin offenbar den Männern in die Quere gekommen." Und das haben die bekanntlich nicht gern. Schon gar nicht die, die das Prinzip "It’s a man’s world" - das sich in der realen Welt langsam, aber sicher aufzulösen beginnt - in der virtuellen Welt gerade wieder herstellen.

Auch in Wikipedia sind 87 Prozent der Autoren männlich. Und das hat Folgen. Wie Spiegelonline in seinem Artikel "Lustverlust in der Lexikonmaschine" berichtet, gehören Frauen auch dort eher zu den Kriegsverliererinnen. Wie Debora Weber-Wulff, Berliner Professorin für Medieninformatik, die versucht hatte, einen Wiki-Text über Professorinnen in das Internet-Lexikon einzustellen.

Sie berichtete über die allerersten Frauen auf Lehrstühlen und die Widerstände gegen sie und stellte die Pionierinnen vor, alles umfassend mit Zahlen und Hinweisen belegt. Das Macho-Urteil der Herren von Wikipedia: "Irrelevant!" Der Text hatte nicht die Ehre, online gestellt zu werden. - Ist das die vielgerühmte Freiheit des Mediums?

Helga König hat von dieser "Freiheit" jetzt erst mal die Nase voll. Vorerst. "Meine Vorfahren kommen aus Ostpreußen, die sind ziemlich zäh. Davon hab ich auch was in mir."

Und im EMMA-Forum lässt sich auch das "Piratenweib" nicht kleinkriegen. Sie fightet trotz der Maskulisten-Angriffe tapfer weiter: "Mädels und Frauen: Macht eure eigenen Webseiten. Schreibt und bloggt über eure Interessen, über Feminismus, über Frauen-, Menschen- und Männerrechte. Nur so kann mehr Gleichheit auch im Netz entstehen." Mehr Gleichheit hat das Netz in der Tat bitter nötig.

In EMMA zum Weiterlesen:
Wikipedia: Rein in die Welt des Wissens! 1/2010
Wikipedia: Anleitung zum Mitmachen 1/2010

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