Hollywood schaltet sich ein

Schauspielerin Alyssa Milano droht Georgia mit Konsequenzen. Foto: John Bazemore/AP Photo/DPA
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Wieder brauchte es Alyssa Milano, um Hollywood wachzuküssen. Nach dem Missbrauchsskandal um Harvey Weinstein und andere, den die Schauspielerin vor zwei Jahren durch #MeToo in die Welt trug, befeuert Milano nun seit Monaten die Debatte über Georgias Gesetz zur Verschärfung der Abtreibungs­regelungen. Der Erlass, verharmlost durch den ­Beinamen „Heartbeat Bill“, kommt einem Abtreibungsverbot gleich.

Das geplante Gesetz sieht vor, alle Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe zu stellen, die nach dem Entdecken eines Herzschlags des Fötus ­vorgenommen werden, also etwa in der sechsten Woche. Viele Frauen wissen zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass sie schwanger sind. Nur bei schweren Chromosomenanomalien und nach Vergewaltigung oder Inzest darf bis zur 20. Woche abgetrieben werden – vorausgesetzt, die Frau hat den Täter zuvor bei der Polizei angezeigt.

„Wir wollen Sie als männliche Vertreter konservativer Politik daran erinnern, dass eine Regierung nie übergriffiger ist, als wenn sie über den Körper einer Frau bestimmt oder über das, was in der Praxis ihres Arztes passiert“, hielt Milano den Abgeordneten des Südstaats in einem Offenen Brief vor und drohte mit Boykott. „Falls der Entwurf HB 481 tatsächlich Gesetz wird, können wir als Filmschaffende unserer Branche nicht empfehlen, weiter in Georgia zu drehen.“

Sean Penn unterschrieb, ebenso Alec Baldwin, Amy Schumer, Ben Stiller, Debra Messing, Sarah Silverman und mehr als 40 weitere Hollywoodstars. Warum Hollywood ausgerechnet bei ­Georgia aktiv wurde? Der Peach State gehört nach Kalifornien und New York seit Jahren zu den begehrtesten Locations für Filmproduktionen. Neben vielen Sonnentagen und weitläufiger Landschaft bietet Georgia den Studios besondere Steuervergünstigungen.

Amerikanische Filmgesellschaften geben jedes Jahr fast drei Milliarden Dollar im Bundesstaat Georgia aus. Zu den Produktionen Made in Georgia zählen Disneys „Black Panther“, „Captain Marvel“ und „Avengers 4: Endgame“. Der Streamingdienst Netflix schickt ebenfalls Crews gern in das „Hollywood des Südens“. Auch das Rachedrama „Insatiable“, für das Milano vor der Kamera steht, wird in Georgia gedreht.

Dabei ist Georgia nur ein Schlachtfeld von vielen. Seit vergangenem Jahr versuchen immer mehr der 50 amerikanischen Bundesstaaten, das Recht auf Abtreibung einzuschränken. Neben Mississippi und Ohio verabschiedeten auch ­ ­Missouri, Louisiana, Kentucky, Arkansas, Iowa sowie der konservative Mormonenstaat Utah Gesetze, die dem vor 46 Jahren durch den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten garantierten Recht auf Schwanger­schafts­abbruch widersprechen.

Das frauenfeindlichste Gesetz gegen das Recht auf Abtreibung erließ Alabama Mitte Mai. Der vermeintliche „Human Life Protection Act“ erlaubt einen Abbruch nur bei Lebensgefahr der Mutter oder einem erwarteten Absterben des Fötus. Das Gesetz schließt selbst Schwangerschafts­abbrüche nach Vergewaltigung und Inzest aus. ÄrztInnen, die eine Abtreibung vornehmen, droht ein Prozess. Auch wenn bislang noch kein Bundesstaat die neuen rigiden Abtreibungsgesetze umgesetzt hat, macht sich Unruhe breit.

Als die schwangere Marshae Jones ihr ungeborenes Kind durch einen Bauchschuss verlor, klagte die Staatsanwaltschaft in Alabama nicht etwa die Schützin an, sondern die 27-jährige Afroamerikanerin. Da sie den Fötus nicht beschützt habe, so die wenig rationale Argumentation, sei sie für den Abbruch der Schwangerschaft verantwortlich. Erst nach öffentlichen Protesten wurde die Anklage wieder fallengelassen.

Auch Hollywood fällt es schwer, sich in der Debatte über das Recht auf Abtreibung auf einen Kurs festzulegen. Während ProduzentInnen wie Nina Jacobson („Die Tribute von Panem“), David Simon („The Deuce“) und Mark Duplass („Baghead“) Milanos Boykottaufruf folgten, lehnten die Oscar-Preisträger J.J. Abrams und Jordan Peele ein selbstauferlegtes Produktionsverbot für Georgia ab. Wie geplant setzen sie die Dreharbeiten zu der Horrorserie „Lovecraft Country“ im Süden fort. Auch die Gruppe „Women of Film in Georgia“ appellierte an Hollywood, ihnen wegen der „Heartbeat Bill“ nicht den Rücken zu kehren. „Wenn die Filmindustrie den Boykott durchzieht, leiden wir doppelt, weil uns die Lebensgrundlage entzogen wird“, heißt es in ihrer Petition.

Das Recht aller Amerikanerinnen auf Abtreibung hatte der Supreme Court Anfang 1973 durch die Causa Roe v. Wade festgeschrieben. Während des ersten Trimesters der Schwangerschaft, also in den ersten drei Monaten, dürfen seither die einzelnen Regierungen einen Abbruch unter keinen Umständen verbieten. Während des zweiten Trimesters soll das Recht auf Abtreibung gelten, wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist. Nur für das dritte Trimester und nach dem Zeitpunkt, an dem der Fötus eigenständig lebensfähig war, gestattete der Oberste Gerichtshof den einzelnen Bundesstaaten die eigenständige Regelung des Abtreibungsrechts.

Wie erwartet führte Roe v. Wade seither immer wieder zu Auseinandersetzungen. So genannte „Prolifer“, zunächst meist mit katholischem Background, erstritten in den 1970er-Jahren den Hyde-Zusatz, der Bundesmittel für Abtreibungen verbietet. AbtreibungsgegnerInnen begannen, die Rechte des Fötus über die der Frau zu stellen.

Anfang der 80er begannen auch die evangelikalen Christen, gegen Roe v. Wade Sturm zu laufen. Radikale Organisationen wie Operation Rescue kündigten an, Schwangerschaftsabbrüche mit „allen nötigen Mitteln“ zu verhindern. Zu den Mitteln der selbsternannten LebensschützerInnen gehören Blockaden vor Abtreibungskliniken, Entführungen, ja sogar Morde. Es waren die Jahre, in denen in den USA vier Ärzte, die Abtreibung vornahmen, von „Lebensschützern“ ermordet wurden; darunter Dr. Barnett Slepian, der durch das Küchenfenster seines Hauses erschossen wurde, seine Frau und Kinder standen neben ihm.

Durch die Wahl Donald Trumps erhielt der Kreuzzug gegen das Recht auf Abtreibung nun frischen Wind. Trump hatte schon vor dem Einzug in das Weiße Haus versprochen, Richter in den ­Supreme Court zu berufen, die Roe v. Wade ablehnen. „Von dort geht die Bewegung dann in die einzelnen Bundesstaaten. Das läuft dann ganz automatisch“, erklärte Trump damals in einem Interview. 80 Prozent aller Evangelikalen hatten ihr Kreuz bei Trump gemacht. Jetzt muss der Gewählte liefern.

Im Herbst 2018 nominierte der Präsident den konservativen, des sexuellen Übergriffs verdächtigen Brett Kavanaugh für den Obersten Gerichtshof. Falls Georgias „Heartbeat Bill“ und die neu verabschiedeten Gesetze der anderen Bundesstaaten zu Auseinandersetzungen über die Vereinbarkeit mit der amerikanischen Verfassung führen, könnte die Abtreibungsdebatte den Supreme Court bald abermals beschäftigen.

Einige Monate später lud Trump Gleich­gesinnte zu einem Screening in das Weiße Haus ein. Auf dem Programm stand „Gosnell“, die Film­biografie über den Abtreibungsarzt Kermit Gosnell, Untertitel „Der Prozess gegen Amerikas schlimmsten Massenmörder“.

Hollywood macht sich derweil warm. Neben „Gosnell“ und dem Pro-Life-Spektakel „Unplanned“ produzierte die Filmmetropole 2018 „Ask for Jane“. Der Film der Aktivistin Cait Cortelyou zeigt das Abtreibungsnetzwerk „Jane Collective“, das ungewollt Schwangeren in den Jahren vor Roe v. Wade half. Susan Sarandon und Elizabeth Moss gaben bekannt, ein Drama über den Geheimbund mit dem Titel „Call Jane“ zu planen.

Auch Alyssa Milano lässt nicht locker. Die Schauspielerin stellte jetzt eine Landkarte ins Internet, die den Stand der Abtreibungsgesetze für jeden Bundesstaat festhält. Milano: „Wenn versucht wird, Schwangeren das Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen, muss die Filmbranche besonders darauf achten, eine bewusste Wahl zu treffen.“

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Alice Schwarzer schreibt

Einer der Letzten, die abtreiben, wurde ermordet!

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Pfingstsonntag. George Tiller verteilt gerade das Kirchenblatt seiner Gemeinde vor der Kirchentür. Seine Frau ist schon in der Kirche, sie singt im Chor mit.

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Da fällt der tödliche Schuss. Der Ermordete ist einer von nur drei Ärzten in ganz Amerika, die überhaupt noch bereit sind, so genannte Spätabtreibungen vorzunehmen. Die Patientinnen des 67-jährigen Arztes: Opfer von Vergewaltigungen, Schwangere in Lebensgefahr, Frauen mit schwer missgebildeten Föten. Dr. Tiller hinterlässt vier Kinder zehn Enkelkinder.

Der Mörder heißt Scott Roeder. Er ist 51 Jahre alt, Arbeiter und militantes Mitglied der Christian Militia Group, einer christlichen Sekte, für die Tiller ein "Babykiller" war. Roeder nannte den Arzt im Internet den "Mengele unserer Zeit", verglich ihn also mit dem berüchtigten KZ-Arzt. Und er hatte dazu aufgefordert, in Tillers Kirche zu gehen und Rechenschaft von dem Pfarrer seiner lutherischen Gemeinde zu fordern.

George Tiller ist der achte Arzt, der in den USA von den Pro-Life-Anhängern ermordet wurde. Der erste war 1993 Dr. David Gunn, der letzte 1998 Dr. Barnett Slepian, den die Fanatiker durch dessen Küchenfenster abknallten wie einen räudigen Hund. Slepian sank neben seiner Frau und seinen Kindern tödlich getroffen zusammen. Außerdem auf dem Konto der Pro-Life-Bewegung: 17 Mordversuche und 216 Bomben- und Brandattentate auf Kliniken.

Auch gegen Tillers Klinik hatte es immer wieder Protest, Sitzblockaden und einen Sprengstoffanschlag gegeben. 1993 schoss eine Frau, Rachell Shannon, dem Arzt in beide Arme, "damit er keine Babys mehr killen kann". Seither hatte Tiller Leibwächter, ein gepanzertes Auto und kugelsichere Fenster in seiner Klinik, die von den Pro-Life-Fanatikern als "Todeslager" bezeichnet wurde.

Die Frauenbewegung hatte erreicht, dass die Abtreibung in den USA in den ersten drei Monaten seit 1974 legalisiert ist. Doch die Hatz und der Terror der christlichen Fundamentalisten hörten nie auf. Und die Fanatiker haben Erfolg:

Waren noch 1995 genau 55 Prozent aller Befragten AnhängerInnen der Pro-Choice-Bewegung, also für das Recht von Frauen auf Abtreibung, so sind es heute nur noch 42 Prozent. Erstmals ist in den USA die Mehrheit, also 51 Prozent, heute, nach acht Jahren Bush-Regime (der Präsident war ein bekennender Evangelikaler), auf der Seite der Pro-Life-Bewegung. Das ist das Klima, in dem solche Morde gedeihen, ja von den Fanatischsten sogar noch gefeiert werden.

Damit geht Amerika einen Weg, den auch Deutschland einzuschlagen scheint, doch für den es hierzulande bisher noch kaum ein Problembewusstsein gibt. So konnte die deutsche Kanzlerin im Mai unwidersprochen für eine Verschärfung des Abtreibungsrechts stimmen – zusammen mit einer überwältigenden Mehrheit der CDU/CSU, über einem Viertel der SPD, einem Drittel der Grünen und 80 Prozent der Liberalen (mehr). Präsident Obama hingegen distanzierte sich jüngst eindeutig von den Abtreibungs-GegnerInnen und erklärte sofort nach der Ermordung Tillers: "Ich bin schockiert und entsetzt!" Und der US-Justizminister kündigte Polizeischutz für alle Ärztinnen und Kliniken an, die Abtreibungen durchführen.

Viele sind es nicht mehr. Denn obwohl die Abtreibung in den ersten drei Monaten legal ist, lernen in den USA schon seit vielen Jahren die Medizin-StudentInnen diesen häufigsten Eingriff an Frauen nicht mehr in ihrer Ausbildung. Und selbst die dazu bereiten ÄrztInnen und Arzthelferinnen haben inzwischen Angst. Die wenigen Ärzte, die überhaupt noch für hilfesuchende Frauen da sind, sind fast ausschließlich die alten Ärzte, die noch das Elend der verblutenden Frauen aus der Zeit vor der Legalisierung kennen.

Der Mut von Dr. Tiller steht in dieser Tradition und ist auch darum besonders tragisch. Tiller übernahm, nach einem tödlichen Flugzeugunglück seiner Eltern, 1970 die Praxis seines Vaters und entdeckte, dass dieser bereit gewesen war, Frauen in Not zu helfen - trotz der drohenden schweren Strafen. Der Sohn setzte diese Tradition fort und war einer der letzten drei Ärzte in ganz Amerika, die noch Spätabtreibungen durchführen. Jetzt sind es nur noch zwei.

Apropos des Mordes an George Tiller erinnerte die feministische Organisation NOW daran, dass "die Körper von Frauen noch immer das Schlachtfeld sind und die Ärzte in der ersten Reihe stehen". Und die Feminist Majority Foundation erklärte: "Ein wahrer Held für Frauenrechte und Frauenleben ist ermordet worden."

Zum Weiterlesen:
Lebensrechtler & Spätabtreibungen (6/08)
"Army of God" ist auf dem Vormarsch (2/03)
"Wir pusten ihnen das Gehirn weg!" (2/03)

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