Ich bin KundIN!

Bürgerin Marlies Krämer will weiter kämpfen. Nächster Schritt: Bundesverfassungsgericht. © Jörg Fischer/Imago
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Sie hat verloren. Aber Marlies Krämer wäre nicht Marlies Krämer, wenn sie das deprimieren würde. Im Gegenteil. Ein ­Anruf bei der 80-Jährigen im saarländischen Sulzbach bestätigt: Marlies ist auch nach ihrer Niederlage vor dem Bundesgerichtshof kampfeslustig wie eh und je. „Ich bin ganz geplättet von dem vielen Zuspruch, den ich bekommen habe“, sagt sie. Einen ganzen Aktenordner voller Dankesschreiben habe sie zu Hause liegen. „Die halten meinen Motor am Laufen, bis das Ziel erreicht ist!“

Das Ziel lautet: Marlies Krämer möchte in den Formularen ihrer Sparkasse nicht länger als „Kunde“ und „Kontoinhaber“ bezeichnet werden, sondern als „Kundin“ und „Kontoinhaberin“. Um das zu erreichen, klagt sie sich seit Jahren durch die ­Instanzen. Denn: „Sprache ist der Schlüssel zur Gleichberechtigung! Sie ist Ausdruck von Denken, Fühlen, Tun und Handeln.“

Eigentlich, so dachte man und frau auch, hätten das inzwischen alle begriffen: von der Stadtverwaltung in Kleinkleckersdorf, die ihre Website selbstverständlich „gendert“, bis zur Bundeskanzlerin, die routinemäßig von „Bürgerinnen und Bürgern“ spricht. Doch was längst auch Standard der Nachrichtensprache ist, die Ansprache beider Geschlechter, ist beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (geleitet von drei Herren) offenbar noch nicht angekommen.

Und auch die Karlsruher Richter und Richterinnen (!) des BGH verweigern sich den Erkenntnissen aus vier Jahrzehnten ­feministischer Sprachreflexion. Sie konnten in der sprachlichen Auslöschung von Frauen in den Bank-Formularen keinerlei Benachteiligung erkennen und wiesen Mitte März die Klage von Marlies Krämer ab.

Die erstaunliche Begründung: „Der Bedeutungsgehalt grammatisch männlicher Personen­bezeichnungen kann nach dem allgemein üblichen Sprachgebrauch und Sprachverständnis Personen umfassen, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist.“ Dies bringe aber „keine Geringschätzung zum Ausdruck“. Will heißen: Wer Mann sagt, kann auch Frau meinen. Die Frage, wie es kommt, dass dieses angeblich so undiskriminierende Prinzip nicht umkehrbar ist, ließen die RichterInnen leider unbeantwortet.

Marlies Krämer, Jahrgang 1937, hat noch erlebt, dass Frauen ohne Erlaubnis ­ihres Mannes kein Konto eröffnen durften (ist erst seit 1958 gestattet). Sie durfte als Mädchen kein Abitur machen und wurde stattdessen Verkäuferin – und Feministin. Ihr Hauptkampfplatz: die geschlechtergerechte Sprache.

Schon in den 1990er-Jahren hatte sie sich deshalb geweigert, ihren Personalausweis vom Amt abzuholen, solange sie darin als „Inhaber“ bezeichnet wurde. 1997 hatte Marlies mit ihren unermüdlichen Schriftwechseln Erfolg. Seither steht in deutschen Personalausweisen: „Unterschrift der Inhaberin/des Inhabers“.

Damals besuchte Marlies mit ihren dicken Aktenordnern die EMMA-Redaktion und ­erzählte uns ihren Weg: von der verwit­weten Mutter, die ihre vier Kinder als Küchenhilfe durchbrachte, zur Soziologie-Studentin und feministischen Sprach-­Kämp­ferin. Demnächst wird ihr aktuelles Anliegen dann vor dem Bundesverfassungsgericht behandelt, das Marlies Krämer jetzt anrufen wird. Schließlich ist sie das Kämpfen gewohnt, das Verlieren ihrer Kämpfe hingegen nicht.

Auf ihrem Spendenkonto sind schon beachtliche Beträge eingegangen. „Und wenn das Verfassungsgericht die Klage ablehnt, bleibt immer noch der Europäische Gerichtshof“, verkündet die Hartnäckige. „Der hat ja damals auch die ­Sache mit den Personalausweisen positiv ­entschieden.“

Andernorts ist mensch schon viel weiter. Zum Beispiel in Österreich und Kanada. Beide Länder haben sogar ihre Nationalhymnen gegendert. Im Nachbarland heißt es nun statt „Heimat, bist du großer Söhne“: „Heimat, großer Töchter, Söhne“. Und im Land des erklärten Feministen Justin Trudeau soll künftig nicht mehr nur in Kanadas Söhnen der Patriotismus erweckt werden, sondern in „uns allen“.

In Deutschland hingegen erhob sich das übliche Gejammer und Haben-wir-denn-nichts-Wichtigeres-zu-tun-Genöhle, als die Gleichstellungsbeauftragte im Bundesfamilienministerium, Kristin Rose-Möhring, vorschlug, dass auch die deutschen Bürgerinnen in der Hymne auftauchen sollten. Und auch die Kanzlerin hatte nichts Besseres zu tun, als zu erklären, sie sei „mit unserer schönen Nationalhymne in ihrer traditionellen Form sehr zufrieden“.

A propos Bürgerinnen. Die Stadt Sulzbach hat angekündigt, Marlies Krämer für ihre Verdienste mit der Bürgermedaille zu ehren. Doch die Geehrte verweigerte sich: „Die kann ich nicht annehmen. Ich bin schließlich kein Bürger, sondern eine Bürgerin!“ Die Sprachkämpferin schlug vor, die Auszeichnung in „Ehrenmedaille“ umzubenennen. Der Stadtrat hat abgelehnt. Er wäre gut beraten, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Spendenkonto: www.gofundme.com/kundinnen

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