Nergis Mavalvala, Physikerin

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Frau, Migrationshintergrund, lesbisch. Gäbe es einen Preis für Diversität, Nergis Mavalvala würde ihn bekommen. „Ich war immer eine Außenseiterin, ich passe in keine ­vorgegebene Form“, sagt Nergis über sich und lacht in den Telefonhörer.

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Die Außenseiterin hat trotzdem Karriere gemacht. Sie gehört zu den wenigen Frauen, die es in den Olymp der Naturwissenschaften geschafft haben, ans Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge bei Boston. Dort hat sie im Februar Schlagzeilen gemacht. Denn die gebürtige Pakistanerin Nergis Mavalvala gehört zu dem Team, das die Gravitationswellen entdeckt hat, diese mysteriösen Wellen, die Albert Einstein vor 100 Jahren vorhergesagt hatte.

Wir telefonieren zwischen Aufstehen und Frühstück, um 7 Uhr morgens. Nergis hat das vorgeschlagen, der Rest ihres Tages am Schreibtisch und im Büro ist schon verplant. Nergis ist hellwach, sie steht immer früh auf, schließlich habe sie einen achtjährigen Sohn, der zur Schule müsse. Sie lebt mit Kind und Partnerin in Cambridge. Wie sich das mit ihrer Forscherkarriere an einer Elite-Hochschule verträgt? „Ein Kind ist immer ein ­Balance-Akt“, sagt sie. Sie werde oft gefragt, ob sie jetzt weniger arbeite als früher. „Nein, ich arbeite effizienter.“ Ihre Partnerin habe ihre Karriere außerdem so geplant, dass sie jetzt weniger Zeit in den Job investieren müsse. Eine klassische Zweier-Beziehung also, einer steckt meistens zugunsten der Familie zurück.

Für Nergis, Jahrgang 1968, war immer klar, dass sie Karriere machen will. Ihre Eltern, obwohl keine Akademiker, fördern sie und ihre Schwester, schicken sie in Karachi auf eine katholische Schule. Sie hat beste Noten, „aber nicht im Betragen“, erinnert sie sich und lacht. Nach dem Abitur geht sie in die USA, aufs College. Sie wählt Wellesley. Das ist eine private Frauen-Uni in der Nähe von Boston, auch Hillary Clinton hat dort studiert. Nergis hat von Wellesley ein besonders gutes Stipendienangebot bekommen. ­Außerdem arbeitet das College mit dem renommierten MIT ­zusammen und Nergis weiß, dass sie später Physik studieren will. Experimentalphysik, denn sie hat ein Faible für Labore und Werkzeuge – spätestens seit sie zehn Jahre alt ist. Damals ging sie oft zu der kleinen Fahrradwerkstatt gegenüber dem Haus ihrer Eltern und ließ sich vom Inhaber erklären, wie man einen Schlauch flickt und einen Achter im Rad ausbessert. Den Spruch „Das ist nichts für Mädchen“ habe sie in ihrer Familie nie gehört, sagt Nergis.

Das Basteln lässt sie nicht los – später auf höherem Niveau. Während ihrer Doktorarbeit in den Neunziger Jahren am MIT baut sie einen Detektor, der Gravitationswellen aufspüren soll. Ihr Doktorvater ist Rainer Weiss, ein vor den Nazis geflohener deutscher Jude. Als einer der ersten Physiker ist er den Schwingungen von Raum und Zeit auf der Spur. Schon Albert Einstein (1879– 1955) war sich sicher, dass es diese Gravitationswellen geben muss, er dachte allerdings, dass man sie nie werde messen können.

Die Gravitationswellen stauchen und dehnen die Raumzeit, aber die Verformungen sind so winzig, dass sie sehr schwer nachzuweisen sind. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg werden Laser gebaut, das sind Bündel von Lichtstrahlen. Und mit solchen Lichtstrahlen hoffen Rainer Weiss und seine Kollegen, den Gravitationswellen auf die Spur zu kommen.

Doch lange Zeit sind die Messungen viel zu ungenau, denn man muss Entfernungen von weniger als Milliardstel Millimeter registrieren. In dieser Größenordnung spielen so genannte Quanteneffekte eine Rolle, sie verwackeln gewissermaßen das Ergebnis. Nergis vergleicht die Experimente mit der Aufgabe, eine Linie auf einem Blatt Papier mit einem Lineal zu messen, dessen Millimeterstriche sich ständig bewegen. Man muss also dafür sorgen, dass das Lineal sich nicht verändert. Das ist Nergis und ihrem Team in jahrelanger Arbeit gelungen – die Physikerin hat damit eine wichtige Voraussetzung dafür geschaffen, dass man die Gravitationswellen sehen kann.

Im Herbst 2015 ist es dann endlich so weit. Die ­empfind­lichen Messgeräte in den USA, an denen Nergis mitgebaut hat, schlagen aus. Monatelang werten die Forscher die Daten aus, sie müssen sich sicher sein, dass sie tatsächlich Gravitationswellen gemessen haben. Am Ende sind sie überzeugt: Sie haben die Spuren von zwei Schwarzen Löchern gesehen, die vor Millionen von Jahren verschmolzen sind.

Als die Entdeckung bei der historischen Pressekonferenz im Februar 2016 verkündet wird, sitzt Nergis, seit fast 15 Jahren Professorin am MIT, dabei. In den USA hat sie bereits einen der prestigereichsten Preise bekommen, das McArthur Fellowship. Jetzt ist sie auch in Pakistan ein Star, das Land ist stolz auf „seine“ Physikerin. Der Premier hat ihr gratuliert. Ihre Eltern leben ­inzwischen in Kanada, aber sie hat noch viele Verwandte in Karachi, die sie regelmäßig besucht. „Sie verstehen nicht wirklich, was ich mache“, sagt sie, „aber sie lieben es, weil ich es liebe“.

Wenn Nergis erzählt, dann spürt man die Begeisterung des Mädchens, das mit zehn Jahren gelernt hat, ihr Fahrrad zu reparieren. Diskriminierung liege auch an der eigenen Haltung, ist die Erfolgreiche überzeugt. Vielleicht wurde und werde sie manchmal benachteiligt, aber sie spüre das einfach nicht. Oder sie lässt unangenehme Erlebnisse an sich abperlen. Man könnte es auch positives Denken nennen. Ob für junge Frauen, für ­Homosexuelle, für Einwanderer, Nergis ist gerne für alle Vorbild. Frauen wie Nergis Mavalvala braucht die Welt.

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