Single Mom: Schluss mit Perfektion!

Caroline Rosales: "Berufstätige Mutter zu sein, ist nicht besonders glamourös." - Foto: Mathias Bothor
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Die Stellung der berufstätigen alleinerziehenden Mutter ist in der Gesellschaft nicht besonders glamourös. Sich trotz der täglichen Überforderung auf die Menschenfreundlichkeit in meiner Umgebung zu verlassen, wäre deshalb einfach fatal. Berufstätige Mütter – ob alleinerziehend oder nicht – genießen bei Kindergartenfesten, Partys oder im öffentlichen Leben die Beliebtheitswerte einer Hillary Clinton kurz nach der verlorenen Wahl. Vielen sind wir suspekt.

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Warum ist sie nicht bei ihren Kindern? fragt man sich, wenn man mich am Wochenende abends in einem Restaurant sieht. Wie kann sie das denn jetzt mit der Berufstätigkeit vereinbaren, wird getuschelt, wenn ich mich mit einem selbstgebackenen Kuchen auf dem Kindergartenfest sehen lasse. Hat sie sich etwa dafür mit ihrem Vorgesetzten einlassen müssen?

Der ganze Stress, das Gehetze ist schlimm genug, aber dazu kommt noch dieser ständige kritische Blick der Umgebung. Freundlich verpackte Schuldzuweisungen und natürlich nur konstruktiv gemeinte Kritik lauern bei vielfältigen Situationen im Alltag. Hier ein paar Auszüge aus dem Bouquet des Bullshit-Bingos einer Alleinerziehenden:

Sie denkt nur an sich und will nur Geld verdienen.

Dein Kind ist aggressiv und malt mit vier Jahren noch deutlich über den Rand? Kein Wunder, die Mama arbeitet ja und hat keine Zeit, nachmittags zu basteln.

Dein Kind hat mit vier Jahren noch kein Hobby neben dem Kindergarten? Ja, schade auch, aber wie soll es denn die Mama nach dem Kindergarten zum Fußball herumfahren, die ist ja im Büro.

Was, du hast neben Gummistiefeln, Regenhose, Wechselsachen, Spielzeug für den Spielzeugtag, den 4,50 Euro für die Bastelkasse, das Tonpapier für die Herbst-Igel vergessen? Kein Wunder, du bist ist ja ­alleinerziehend, da müsstest du dich eigentlich besser organisieren.

Wie, du kannst heute Abend nicht zum internen Meeting kommen? Ja, hättest du jetzt einen Freund oder den Vater besser im Griff, dann könnte der aufpassen.

Wie, dein Sohn kann mit fünf Jahren noch nicht schwimmen? Ach ja, stimmt. Du musst ja mit beiden Kindern alleine Urlaub machen. Ja, dann ist das schwer.

Oft verstehe ich die Gemeinheiten nicht. Anstatt diesen Frauen zu helfen, die für ihr wirtschaftliches Auskommen arbeiten und dabei noch Kinder großziehen, werden diese eher noch belächelt und kritisiert.

Sie ist oft so durcheinander, sie ist oft so in Eile, sagen sie über mich. Sie denkt nur an sich, sie will Geld verdienen und sich selbst verwirklichen. Kritik geht schneller von der Hand, als die Überlegung anzustellen, wa­rum jemand vielleicht gestresst wirkt und eine helfende Hand anzubieten.

Kinder sind nicht pünktlich und kalkulierbar.

Kinder bedeuten in unserer Gesellschaft Verwundbarkeit. Und nichts ist deshalb leichter, als auf eine berufstätige Mutter einzuhacken. Was? Sie ist auch noch alleinerziehend? Tja, klassischer Fall von „Selbst schuld“. Schämen sollte sie sich! Die armen Kinder!

Manchmal vermute ich, dass es einfach leichter ist, jemanden durch Hate-Speech zu marginalisieren und klein zu halten, als das Problem zu sehen. Und das ist in Sachen Vereinbarkeit in Deutschland groß wie ein klaffender Abgrund im Hochgebirge.

Die Idee von betriebsinternen Kitas sind für viele Peronalchefs immer noch ein Grund hysterisch zu lachen, das Konzept des Home-Office ist ebenso eher ein schlechter Scherz als ein ernstgemeintes Gesprächsangebot. Niemand, der Kinder hat, kann sich ernsthaft vorstellen zu arbeiten, während um den heimischen Schreibtisch die Kinder toben. Das ist so unrealistisch wie die Artigkeit der Kinderschar in einem Bullerbü-Buch.

Kommt in regelmäßigen Abständen wieder eine Debatte darum auf, wird immerhin von oben schnell beschwichtigt. Meist pünktlich zum Wahlkampf bekommen Eltern – ­besonders die Mütter – ein paar Vorschläge, wie sie ihr Leben so optimieren können, dass Familie und Berufstätigkeit hineinpassen, Politiker eröffnen ein paar Kindergärten, Unternehmen erlauben ein bisschen Familienzeit. Wenn es dann immer noch nicht funktioniert, tja, dann muss es ja an dir selbst liegen.

Dass immer mehr Menschen, insbesondere Mütter, an Dauererschöpfung leiden, das wird politisch natürlich nicht als Versagen des ganzen Systems gesehen, sondern von der Wirtschaft eher als willkommene Gelegenheit zur Gründung eines neuen Geschäftszweigs. Auf jeder zweiten Naturkosmetik-Seife im Drogeriemarkt steht etwas von Erholung oder Selbstliebe. Altbekannte Teesorten heißen jetzt „Innere Ruhe“ oder „Achtsamkeit“. Wer gestresst ist, macht gerne mal ein Yoga-Retreat oder eine Therapie. Dann passt das alles schon wieder.

Wer gestresst ist, macht halt ein Yoga-Retreat.

Die Lüge der Vereinbarkeit besteht darin, dass die Kompatibilität zweier Systeme propagiert wird, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen. Wer arbeiten geht, kann nicht bei seinen Kindern sein. Kinder sind nicht pünktlich, kalkulierbar, planbar. Nicht, wenn man sie zu empathischen Menschen erziehen möchte. Die Arbeitswelt ist aber genau all das.

Morgens kommt man nach der ganzen Anzieh-Frühstücks-und Bringorgie schon fix und fertig ins Büro, abends fühlt man sich wie der Loser, wenn man reinkommt und der Babysitter den Zeigefinger vor den Mund legt, weil die Kinder schon schlafen. Umgekehrt ist es saupeinlich, seine Kinder von der Kita abzuholen und beim Reinkommen plötzlich festzustellen, dass heute doch das Sankt-Martins-Basteln stattfindet. Für Herumkramen im Terminkalender, Warum-ich-mir-den-Mist-wohl-nicht-eingetragen-habe, ist es ohnehin zu spät, jetzt heißt es nur lächeln, hinsetzen und die Laterne zusammenleimen.

Da hilft auch kein Ratgeber wie der von Facebook-Chefin Sheryl Sandberg, die behauptet, dass man es auch als Alleinerziehende locker schaffen kann, einen Weltkonzern zu steuern. Und wenn du es nicht schaffst, sagt die gute Sheryl zwischen den Zeilen in ihrem schlauen Buch „Lean In“, dann hast du dir halt nicht genug Mühe gegeben.

Also, Schluss mit dem Selbstbetrug und Zeit, am System vorbeizuoperieren. Heute, nach zwei Jahren als Alleinerziehende, habe ich gelernt, all das, was gedankenlos und verletzend ist, zu überhören. Ich lasse es nicht mehr an mich ran, nur die wenigsten, sehr persönlichen Kommentare tun nach wie vor weh. Klugscheißereien von Miss Perfects, die gut gelaunt morgens beim Bringen ankündigen, dass Anton schon mittags abgeholt wird, man wolle ja bei dem schönen Wetter noch ein Mutter-Kind-Picknick ­machen, heizen das schlechte Gewissen noch weiter an, aber da gilt es indifferent zu werden. Zu sagen: Das ist der Lebensentwurf der Anderen, das hier ist meiner.

Ich entschuldige mich einfach nicht mehr.

Das deutsche Mutterbild, bestätigt die Historikerin Ute Frevert, ist in den Köpfen vieler Menschen in Deutschland seit 100 Jahren dasselbe und an der Vereinbarkeitslüge wird sich zu unseren Lebenszeiten wohl nichts mehr ändern. Aber unsere Töchter werden davon profitieren, wenn wir was dagegen tun, auch deshalb gilt es konsequent zu sein.

Und damit meine ich, dass ich erst seit kurzem, im häufigen Organisationschaos zwischen Kids und Job verstanden habe, klare Kante zu zeigen.

Erstens muss nicht jeder alles über mich wissen. Sobald man weniger auskunftsfreudig ist, vermeidet man auch häufiger unangebrachte Kritik. Auch ist es leider etwas typisch Weibliches, sich ständig zu entschuldigen und zu rechtfertigen. Ich mache es einfach nicht mehr. Wenn ein Kind krank ist, teile ich das dem Arbeitgeber mit. Wenn ich das Kindergartenfest wegen der Arbeit absagen muss, dann setze ich die Erzieherinnen darüber in Kenntnis.

Die Nicht-Entschuldigung ist die gute Freundin des „Nein“. Was mich zu meinem zweiten Grundsatz bringt: Klare Ansagen machen. Ich sage „Nein“, wenn ich nach dem Dienst keinen Kuchen mehr für den Gemeinde-Basar backen möchte; Wenn der Sankt-Martinszug meiner Kinder ist, sage ich, dass ich heute früher gehen muss – und alle bei der Arbeit lächeln. Das hätte ich anfangs nicht für möglich gehalten.

Braucht die Geburtstags-Eisbombe wirklich Streusel?

Doch das reicht noch nicht, habe ich gemerkt. Alleinerziehend, arbeitend entspannt zu sein, bedeutet vor allem, jede Perfektion über Bord zu werfen. Auch die beste Kindergeburtstagseisbombe kommt ohne Streusel aus. Mein Büro-Outfit ohne gebügeltes Hemd. Das Vorschulkind ohne Hobby am Nachmittag. Die schönste kleine Freude ohne viel Geld auszugeben. Weil kleine und auch etwas größere Kinder kein hochwer­tiges Spielzeuggeschäft von einem China-­Import-Laden unterscheiden können.

Hier ein Beispiel. Einmal kamen die Kinder und ich kurz nach unserem Umzug an einem offenen Ein-Euro-Shop vorbei. Ich war völlig pleite und witterte plötzlich die Chance, den beiden eine Portemonnaie-verträgliche Freude zu machen. „Okay, Kinder“, ließ ich die Spannung steigen. „Jeder darf sich genau eine Sache aussuchen. Nur eine.“ Eine Viertelstunde später stapften die zwei mit einem Plastikflamingo-Flaschenhalter und einem Matchbox-Auto zur Kasse.

Eltern, sagt man ja, gerade die berufstätigen, kompensieren ihr schlechtes Gewissen über die nicht gemeinsam verbrachte Zeit mit teuren Geschenken. Mein schlechtes Gewissen – es war mir an diesem Nachmittag gerade mal schlappe zwei Euro wert.

Der Text ist ein Auszug aus dem gerade erschienenen Buch von Caroline Rosales: Single Mom (Rowohlt, 9.99 €).

 

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