#MeToo: Auch Männer sind Opfer

Mario Testino bei einer Vogue-Party. © imago/Zuma Press
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Natürlich haben es auch diesmal wieder alle gewusst. Als er anderen Models erzählt habe, dass er mit Mario Testino arbeiten würde, „haben alle angefangen, Witze zu machen. Sie sagten, er wäre berüchtigt. Und: ‚Zieh deinen Gürtel fest zu!‘“ Gucci-Model Ryan Locke merkte bald, dass seine Kollegen recht hatten. Die erste Begegnung zwischen dem Starfotografen und dem Model fand laut Locke in Testinos Hotelzimmer statt, wo der Fotograf dem über 20 Jahre jüngeren Mann erklärte, dass er Testfotos von ihm machen wolle – nackt.

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Beim Shooting habe Testino durchgehend „aggressiv geflirtet“ und am letzten Tag bei einer Nacktszene das gesamte Team aus dem Raum geschickt. Dann habe er die Tür abgeschlossen, sei zu ihm aufs Bett geklettert, habe sich auf ihn gesetzt und gesagt: „Ich bin das Mädchen, du der Junge.“ Locke sei daraufhin vom Bett gesprungen und geflüchtet. „Er ist ein sexuelles Raubtier“, sagt das ehemalige „Model of the Year“.

Es geht nicht um das Geschlecht der Opfer, sondern um die Macht der Täter

Der heute 41-Jährige ist eines von 13 Models und Assistenten, die der New York Times von ihren Erfahrungen mit dem Starfotografen berichteten. Und auch Testinos Kollege Bruce Weber wird von über einem Dutzend (ehemaliger) Models sexueller Übergriffe bezichtigt, die schon Mitte der 1990er Jahre begonnen haben sollen.

Jahrzehntelang funktionierte das Schweigekartell um die beiden Fotografen, die Prominente von Lady Diana bis Serena Williams ablichteten, für große Magazine und große Modefirmen arbeiteten. Jetzt, in der Folge von Harvey Weinstein und #MeToo, heißt es auch für Testino und Weber: „Time’s up!“ Eure Zeit ist abgelaufen. So lautet der Titel einer Kampagne von 300 Frauen aus der Filmbranche, die zu Jahresbeginn zur Solidarität mit Frauen aus anderen Branchen aufgerufen hatten. 13 Millionen Dollar haben die „Time’s up“-Aktivistinnen schon für einen Fonds gesammelt, um finanzschwache Opfer sexueller Gewalt bei Klagen gegen die Täter zu unterstützen.

Der New Yorker Verlag Condé Nast, der Magazine wie Vogue, Glamour oder Vanity Fair herausgibt, kündigte Testino und Weber die Zusammenarbeit auf. Damit ergeht es den beiden wie Terry Richardson, der schon Ende Oktober von Condé Nast vor die Tür gesetzt wurde. Richardson, dem Starfotografen mit dem Porno-Faible, hatten reihenweise weibliche Models sexuelle Übergriffe vorgeworfen. (O-Ton Richardson: „Es geht nicht darum, wen du kennst, es geht darum, wem du einen bläst.“) Auch er konnte trotz ungeheuerlicher Anschuldigungen ungestört weitermachen - bis er als „Weinstein der Fotobranche“ über das neue gesellschaftliche Klima stolperte. „Was vorher als Preis gesehen wurde, den Models für ihre Karriere zu zahlen haben, heißt jetzt anders: Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt“, konstatiert die New York Times.

Jahrzehntelang funktionierte das Schweige-Kartell - bis das Klima sich änderte

Im Falle Testino und Weber sind – wie auch schon bei Kevin Spacey - die Opfer allesamt männlich. Das zeigt: Alles eine Frage der Macht. Junge männliche Models seien diejenigen in der Modebranche, „die am entbehrlichsten und am wenigsten respektiert“ seien, sagt das Ex-Model Trish Goff. Dementsprechend groß sei der Druck gewesen. „Es war üblich, dass wir Models vorgewarnt haben, wenn wir sie zu einem Fotografen mit einem speziellen Ruf geschickt haben“, erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter einer Model-Agentur. „Aber wenn du gesagt hättest, dass du mit jemandem wie Bruce Weber oder Mario Testino nicht arbeiten willst, hättest du deine Sachen packen und in einer anderen Branche arbeiten können.“

„Männliche Models werden viel schlechter bezahlt und sie werden keine Ikonen“, bestätigt Star-Designer Tom Ford. Dass das so ist, so Ford, liege allerdings wiederum am Sexismus gegen Frauen: „In unserer Kultur geht es darum, Frauen zu Objekten zu machen, um Sachen zu verkaufen. Wenn Männer zu Objekten gemacht werden, fühlen sich die Leute sehr unbehaglich.“

Mario Testino und Bruce Weber fühlten sich nicht unbehaglich, wenn sie – oft heterosexuelle – Männer zu Objekten machten. Aber auch für sie gilt nun: Time’s up.

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Catherine Deneuve entschuldigt sich

Catherine Deneuve, hier mit Roman Polanski beim Film Festival in Cannes. © Degun Paoli/Starface/Imago
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Inzwischen hat Catherine Deneuve sich bei den Opfern sexueller Gewalt entschuldigt. So will sie es nun doch nicht gemeint haben. Doch sie wird den Geist, den die 100 Französinnen mit ihrem Manifest „Für das Recht, belästigt zu werden“ aus der Flasche gelassen haben, nicht zurückholen können.

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Die Schauspielerin ist nicht die Autorin des Textes, aber eine der Erstunterzeichnerinnen, und nur Dank ihres Namens hat das Gegen-Manifest zu der #MeToo-Debatte international Aufsehen erregt. Deneuve und die anderen hätten wohl ein wenig genauer den Text lesen und verstehen sollen, wer ihn geschrieben hat, bevor sie diese sehr fragwürdige Kampagne mitmachten.

Lieber mal über „die große sexuelle Misere“ solcher Männer nachdenken?

Sicher, das Gegen-Manifest der 100 Französinnen versichert im ersten Satz: „Vergewaltigung ist ein Verbrechen.“ Doch dann geht es weiter: „Eine penetrante oder ungeschickte Anmache jedoch oder eine Galanterie sind keine machistische Aggression.“ Sodann warnt der Text vor einer feministischen „Welle der Prüderie“, der „Festschreibung von Frauen als Opfer“ und einer „haltlosen Denunzierung von Männern“. Das diene nur „den Interessen der Feinde einer sexuellen Freiheit“.

Dieser MeToo-Feminismus trüge „die Züge von Männerhass und Hass auf Sexualität“. Eine Frau könne schließlich emanzipiert sein und es trotzdem „genießen, das sexuelle Objekt eines Mannes“ zu sein. Und statt sich für „traumatisiert“ zu halten, nur weil ein Mann sich in der Metro an einem reibe, solle eine Frau in der Situation lieber mal über „die große sexuelle Misere“ eines solchen Mannes nachdenken. „Unsere innere Freiheit ist nicht zu vergewaltigen“, erklären sie.

Wer schreibt sowas? Unter den fünf Verfasserinnen sind die Kunstkritikerin Catherine Millet, die vor Jahren mit ihrer ausschweifenden, pornografischen Autobiografie „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ Furore machte; sowie Catherine Robbe-Grille, die Witwe des Schriftstellers, dessen Faible für junge Mädchen bekannt war, und die sadomasochistische Texte verfasst. Dritte im Bunde ist eine Iranerin namens Abnousse Shalamni, die u.a. einen Essay mit dem Titel „Khomeini, Sade und ich“ verfasst hat. Kurzum Frauen, die sich der Inszenierung sexualisierter Unterwerfung und Gewalt gegen Frauen brüsten. Zumindest auf dem Papier.

In einem Fernsehinterview setzte Catherine Millet noch einen drauf: Eine Frau könne durchaus „Lust empfinden, wenn sie vergewaltigt wird“, erklärte sie. Das war dann selbst Catherine Deneuve zu viel. Sie distanzierte sich. Inzwischen hätte sie es wohl überhaupt lieber ganz gelassen. Zu spät.

Die Schriftstellerin Leïla Slimani antwortete Schauspielerin Catherine Deneuve. © Catherine Hélie/Editions Gallimard
Die Schriftstellerin Leïla Slimani antwortete Schauspielerin Catherine Deneuve. © Catherine Hélie/Editions Gallimard

Eine genaue und würdige Antwort auf das Manifest der 100 gibt die großartige Schriftstellerin Leïla Slimani. Die Franco-Marokkanerin hat gerade ein Buch über „Sex und Lügen“ in islamischen Gesellschaften veröffentlicht. Sie schrieb in Libération einen Text, den auch SpiegelOnline brachte: „Ich will nicht nur eine innere Freiheit“, schreibt sie darin. „Ich will die Freiheit, draußen zu leben, in der Öffentlichkeit, in einer Welt, die auch ein Stück mir gehört.“ mehr

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