Übersetzerinnen: Fährfrau, hol über!

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Wir haben den schönsten Beruf der Welt – finden wir jedenfalls ziemlich oft. Wir bekommen wunderbare Texte auf den Schreibtisch, arbeiten mit ihnen, nehmen sie vorsichtig in die Hand und in den Mund und holen sie vom Ufer ihrer Sprache auf unser eigenes. Manchmal packen wir sie auch, schütteln sie, werfen sie vor Frust über Bord und zerren sie dann wieder an Land. Es macht Spaß, mit Texten von Autorinnen und Autoren zu arbeiten, etwas gestalten zu können. Kein Zweifel: Die Übersetzerin ist etwas Besonderes. Die Fährfrau eben, ohne die der fremde Text nie im deutschsprachigen Raum ankommen würde.

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Wie erklären wir bloß diese Spezialität mit dem heißen Würstchen?

Aber Fährleute werden meist nur dann bemerkt, wenn ihnen bei ihrer Arbeit ein Malheur passiert und sie den Gast nicht heil an Land setzen können. Zum Beispiel: Eine Übersetzerin soll in einem großen Buchladen für eine von ihr übersetzte Autorin moderieren und übersetzen. Die Buchhändlerin stellt die Autorin vor, sie stellt die Schauspielerin vor, die die deutsche Übersetzung lesen soll, und schließt mit: „Und da sitzt noch die Moderatorin.“

Dass die Moderatorin einen Namen hat, dass sie das Buch übersetzt hat, dass die Schauspielerin letztlich den Text dieser namenlosen Frau vortragen wird, das scheint die Buchhändlerin nicht zu interessieren und braucht folglich auch das Publikum nicht zu wissen. Dass nach der Lesung ein Essen angesetzt war, zu dem alle eingeladen waren, nur nicht die Übersetzerin/Moderatorin, wundert schon nicht mehr. Soviel Missachtung ist selten, aber kleinere Erlebnisse dieser Art sind alltäglich.

So ein Buch zu übersetzen ist ja nicht unbedingt einfach. Aber zur Arbeit der Übersetzerin gehört mehr. Oft ist sie es, die das Buch für den Verlag aussucht und begutachtet. Denn nur die Bücher, die Gnade vor ihren Augen erlangen, werden auch gekauft. Und das, lange bevor jemand im Verlag dieses Buch überhaupt lesen kann.

Und wir entscheiden weiter, denn es ist ja nicht möglich, einen Text eins zu eins in eine andere Sprache zu übertragen, und so verleihen wir „unseren“ Fahrgästen eine neue Stimme, eine Stimme, die unserer Meinung nach zur Autorin und zur neuen Sprache, sprich dem Deutschen, passt. Wenn alles klappt, wird das Buch gelobt, wie flüssig, eingängig, überzeugend es geschrieben ist.

Klappt es nicht, zum Beispiel weil der Originaltext einfach zu sperrig ist, sind natürlich wir schuld. Das ist die Faustregel: Gefällt den Rezensenten ein Buch, loben sie die schöne Sprache der Autorin, gefällt ihnen irgendetwas nicht, dann schreiben sie: „Die Übersetzung taugt ja nichts.“

Das Übersetzen kann also ein mühseliges, frustrierendes Geschäft sein – und so richtig einträglich ist es auch nicht. Wir sind die berüchtigten FreiberuflerInnen, die angeblich Urlaub machen können, wann sie wollen; die bis mittags schlafen und die Nächte durchmachen können; die jederzeit gestört werden können, sie arbeiten ja zu Hause und das ist doch keine richtige Arbeit. Klar, wir können ausschlafen, müssen dann aber oft die Nächte durcharbeiten.

Reich wird vom Übersetzen nur, wer regelmäßig Bestseller an Bord hat, aber das haben die wenigsten. Kollegen erzählen gern, dass man vom Übersetzen nur leben kann, wenn man mit einer Lehrerin verheiratet ist, die die Übersetzerei subventioniert. Bei den Kolleginnen gibt es durchaus einige, die es irgendwie schaffen, eine Familie zu ernähren, aber das ist wirklich harte Arbeit. Kann es sein, dass Übersetzen darum ein „Frauenberuf“ ist? Zwei von drei ÜbersetzerInnen sind weiblich, in anderen europäischen Ländern sieht es ähnlich aus. Und unsere Erfahrungen und Beobachtungen gehen dahin, dass die Kollegen im Schnitt höhere Honorare einsacken. Was daran liegt, dass es keine festgelegten Tarife gibt, jeder Vertrag muss neu ausgehandelt werden, und manchen Männern liegt das dazu nötige selbstbewusste Auftreten eben mehr als vielen Frauen.

Da wir aus den skandinavischen Sprachen übersetzen, fischen wir aus dem Fluss der Sprache mal ein paar besonders knifflige Dinge. Ob philosophisches Jugendbuch oder der Krimi von der Stange, dauernd essen die Leute in diesen Büchern „pølser i lompe“, und wie erklären wir unseren geschätzten LeserInnen diese Spezialität, bei der ein heißes Würstchen in einen Fladen aus Kartoffelmehl gewickelt wird, ohne mal eben den Erzählfluss zu unterbrechen und eine Exkursion in die norwegische Küche zu veranstalten?

Und was machen wir mit dem "sysselmann" auf Spitzbergen?

Dort, wo gegessen wird, also in der Familie, wird die Sache nicht einfacher. Das Norwegische zum Beispiel hat viel mehr Namen für die Verwandtschaft als das Deutsche. Da gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für Großeltern väterlicher- und mütterlicherseits (aber komischerweise keine freundlichen Namen wie Oma und Opa), es gibt besondere Namen für Verwandte, die wir schnöde als „Kusine 2. oder 3. Grades“ bezeichnen müssen, Onkel und Tanten heißen unterschiedlich, je nachdem ob sie Geschwister des Vaters oder der Mutter sind.

Oder was machen wir mit dem obersten norwegischen Verwaltungsbeamten auf Spitzbergen, im Norwegischen kurz „sysselmann“ genannt - auch wenn es eine „Sysselfrau“ ist, und ganz Norwegen weiß, dass sie neben den administrativen auch polizeiliche Vollmachten hat?

Und wenn es dann doch mal einen Preis, nicht nur fürs Buch, sondern auch für die Übersetzung gibt, wie z.B. den „Luchs“ für das beste Kinder- und Jugendbuch, dann schreibt die Presse stur und hartnäckig, die Autorin hätte einen Preis bekommen. Stimmt nicht: Das Buch hat den Preis bekommen, also Autorin und Übersetzerin. Aber es gibt nicht nur Frust. Christel bekam den „Luchs“ und Gabriele ist „Ritterin des Königlich Norwegischen Olavsordens“!

Gabriele Haefs und Christel Hildebrandt

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