Sexualisierte Kinderserien

Ein Vorbild für sechsjährige Mädchen? Geht's noch? Foto: kika
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Heidi musste abspecken, Pumuckl auch und Biene Maja sowieso. Letztere sorgte 2016 mit ihrer neuen Wespentaille für einen kleinen Skandal in der Welt des Kinderfernsehens. Gerade Biene Maja – der lebensfrohe Brummer mit dem Wuschelkopf, die Kultbiene der 1970er Jahre – nun ein Magermodel?

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„Ein Schlankheitskult im Kinderfernsehen?“ fragen seitdem MedienwissenschftlerInnen. Christine Linke, Julia Stüwe und Sarah Eisenbeis von der Universität Rostock haben sich „Körperbilder“ in animierten Kinderserien einmal genauer angeschaut und fanden eindeutige Antworten: „Es herrscht nicht nur ein Schlankheitskult, das deutsche Kinderfernsehen ist darüber hinaus sexualisiert und realitätsfern.“

Zugrunde gelegt wurde der Studie die sogenannte Waist-to-Hip Ratio, kurz WHR, bei Frauen – also das Verhältnis zwischen Taillen- und Hüftumfang. Dabei wird der Taillen- durch den Hüftumfang geteilt. Am attraktivsten gilt bei erwachsenen Frauen ein WHR von 0,7; anatomisch „normal“ ist 0,8. Kinder haben in der Regel einen Wert von 1,0. 327 animierte beziehungsweise gezeichnete Hauptfiguren flossen in die Analyse mit ein.

Früher war Dora ein normales Kind. Jetzt läuft sie als Lara Croft durch die Gegend. Foto: Nickelodeon

Die untersuchten Kinderserien laufen aktuell auf dem KIKA, Super RTL, Nickelodeon und dem Disney Channel. Resultat: Bei 50 Prozent der weiblichen Hauptfiguren wurde ein WHR von unter 0,67 gemessen, womit sämtliche Figuren nicht im „anatomisch möglichen Bereich“ lagen. Eine Milz, eine Leber, ein Magen und Rippen hätten in so einem Körper keinen Platz. Den niedrigsten Wert hatte die Figur „Marina“ aus der Serie „Zig und Sharko“ mit einem WHR von 0,2, also einem Fünftel des natürlichen Wertes.

Kinderkörper mit einem Wert von 1,0 haben nur 20 Prozent der Kinderfiguren, rundliche Körper tauchen gar nicht erst auf. Und es wird schlimmer. Um Körperformen und Silhouetten besser erfassen zu können, wurde auch das Verhältnis von Hüfte zu Schulter (WTS) in Beziehung gestellt.

Nur jede zweite Mädchenfigur im Kinderfernsehen wies einen Wert von 0,8 auf (1,0 gilt auch ihr als „natürlich“). Die Figur „Emma“ (Abb. li) aus der kanadischen Serie „Stoked“ (KIKA) hatte mit 0,28 den niedrigsten Wert und ist mit großen Brüsten und Schlafzimmerblick typisch für die Hypersexualisierung von Mädchenfiguren.

Es gibt deutliche Tendenzen zu extremen Sanduhrenfiguren

Nimmt man beide Werte, WHR und WTS, zusammen, zeigen sich „deutliche Tendenzen zu extrem schmalen Taillen und extremen SanduhrFiguren, die jenseits anatomischer Möglichkeiten liegen und verzerrte Körperrealitäten vermitteln“, so die Forscherinnen. Und noch etwas fanden sie heraus. Die männlichen Hauptfiguren sind gleichzeitig allesamt breiter und realistischer.

Unter den männlichen Figuren finden sich auch übergewichtige Körperformen, es gibt generell ein größeres Repertoire. Insgesamt liegen die Körperdarstellungen von Jungen zu 75 Prozent im Bereich des Normalen und entsprechen einer altersgerechten Entwicklung.

Die Frage nach Körperbildern in der Kinderwelt ist nicht neu. „Barbie“ ist seit Jahrzehnten wegen ihrer unrealistischen Proportionen Thema. Neu aber ist die extreme Pervertierung, mit immer dünneren und immer aufreizender gekleideten Mädchenfiguren. In Serien wie „Monster High“, „Mia and Me“ oder „Winx Club“ haben die Mädchen streichholzartige Figuren mit Riesentitten, Wasserköpfen und Glubschaugen. Sie tragen kurze Röcke, FeenNachthemdchen oder Leggins, die ihnen quasi auf den Leib gezeichnet sind. Die Serien orientieren sich damit an der japanischen Manga-Kultur, die Teil der Pornografie ist, Teenie-Pornos.

Elizabeth Prommer, Professorin für Medienwissenschaft an der Uni Rostock, die die Studie leitete, klagt: „Die weiblichen Zeichentrickfiguren sind die Fantasien von erwachsenen Männern!“ In der Tat: Nur 20 Prozent aller Autoren von Trickfilmen sind Frauen, und nur 10 Prozent aller Regisseure.

Maya Götz, Leiterin des „Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen“, weiß, welche Folgen es haben kann, wenn Mädchen mit dem im Fernsehen vermittelten Ideal eines – unerreichbar – schlanken Körpers aufwachsen: „Sie verinnerlichen dieses Bild und gehen zunächst davon aus, sie würden bald so aussehen. Spätestens mit Beginn der Pubertät sind damit eine Beschämung und ein Verlust des Selbstwertes verbunden, was bis in eine Identitätskrise führen kann.“

Die Serien orientieren sich an der pornografisierten Manga-Kultur

Und hier ist nur von den Körperbildern die Rede, die Kindern vorgesetzt werden. Um die piepsigen Stimmchen, die dämlichen Dialoge und den Inhalt geht es noch nicht einmal.

Eine weitere Studie der Universität Rostock hat ergeben, dass 77 Prozent der Hauptfiguren in Kinderserien männlich sind. In großer Überzahl sind männliche Figuren Akteure, mutig, abenteuerlustig und schlau. Die Mädchen sind so ziemlich immer das Gegenteil davon. Sie weinen, fühlen sich schwach und sind auf Hilfe angewiesen.

Dazu Prommer: „Wenn ein Mädchen eine Eigenschaft bekommt, dann ist es meistens die, ein Mädchen zu sein. Jungen hingegen sind der Normalfall, sie bekommen dann extra Eigenschaften, sind klug, mutig, stark, oder dumm und hinterlistig. Damit eröffnet sich eine viel größere Lebenswelt.

Mädchen sind zwar hin und wieder auch Superheldinnen, meist aber müssen sie gerettet werden. Einen Under-Achiever, so wie Bart Simpson einer ist, gibt es im Mädchen-Kosmos nicht. Ihre Lebenswelt ist recht eindimensional.“ In einer weiteren Untersuchung fragte Maya Götz Kinder, was sie an den Protagonistinnen aus ihren Trickserien am meisten stört.

Ergebnis: Jungen fanden es doof, dass die weiblichen Figuren so oft „tussige Prinzessinnen“ seien, die immer gerettet werden müssten. Mädchen ärgerten sich darüber, dass die Trickfiguren „viel zu dünn“ seien und männliche Figuren immer die Hauptrolle spielen würden. Für Mädchen ist es völlig normal, sich „Jungsserien“ wie „Nils Holgersson“, „Wickie“, „Marco Polo“ oder „Yakari“ anzuschauen und sich in die Heldenrolle zu träumen; Jungen hingegen, zeigen wenig Bereitschaft, sich „Mädchenserien“ anzuschauen. Warum auch? Während ihre Welt voller gut gemachter Abenteuer und Geschichten ist, sind dezidierte „Mädchenserien“ eine Beleidigung für Augen und Gemüt.

Es ist eine Zumutung, was kleinen Mädchen als Unterhaltung geboten wird – und es wird nicht besser, wenn sie älter werden. Dabei waren deutsche Kinderserien, zumindest im Fall von „Biene Maja“, schon mal ein ganzes Stück weiter – in einem (nicht) unbekannten Land vor gar nicht allzu langer Zeit.

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Die Eiskönigin II ist eine Rebellin

Elsa rettet die Welt.
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Als der Film „Die Eiskönigin“ 2013 die Kinos und das dazugehörige Merchandising jedes zweite Kinderzimmer in Deutschland eroberte, waren meine Kinder noch nicht geboren. Ein Segen. Ich hätte es schwer ertragen, wenn sie in kitschigen Feenkleidchen als „Elsa“ und „Anna“ durch die Welt getänzelt wären.

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Elsa ist
eine neue
Pippi
Langstrumpf

Doch die „Eiskönigin“ ist über die Jahre einfach nicht abgeschmolzen. Die Merchandising-Industrie von Disney hat immer neue singende Puppen, Prinzessinnenkleider, Krönchen, Spiele, Schminksets, Rucksäcke, Teller, Malbücher, Lego-Schlösser, ja sogar Müslis auf den Markt gebracht. Und jetzt ist „Die Eiskönigin II“ in den Kinos. Passend zum Weihnachtsgeschäft versteht sich.

1,3 Milliarden Dollar hatte „Frozen“, in den USA eingespielt. Das Merchandising hatte die Summe noch weit übertroffen. Der deutsche Untertitel des Films – „Völlig unverfroren“ – scheint da mehr als angemessen. Mit einem vergleichbaren Phänomen hatten Eltern schon lange nicht mehr zu kämpfen.

Doch ich muss gestehen: Wenn ich all die Prinzessinnenkleidchen, die Wespentaillen, die Kulleraugen und kleinen Stupsnasen der Protagonistinnen ignoriere, dann sind Anna und Elsa - ganz schön cool. Elsa ist die coolste. Sie ist willensstark, autonom und kämpferisch. Sie ist geheimnisvoll und hat magische Kräfte. Sie biedert sich den Jungs nicht an, sie friert sie einfach ein, wenn sie ihr nicht in den Kram passen. Elsa ist eine neue Pippi Langstrumpf (sie bekommt nun auch ein Pferd). Auch sie lebt ohne Eltern und macht sich ihre Welt, wie sie ihr gefällt. Ihre Schwester Anna (sie war die klare Sympathieträgerin des ersten Films von 2013) ist die gefälligere, bravere, „normalere“. Aber die Mädchen wollen nicht Anna, sie wollen Pippi sein. Und sie wollen Elsa sein.

Elsa wird im zweiten Film zur Action-Heldin. Sie läuft nun in weißen Stiefeln umher, nicht mehr in gläsernen Pumps. Selbst ihr Kleid ist nicht mehr das typische Abendkleid, es ist viel mehr wie ein Cape, das Superhelden tragen.

Und die beiden Schwestern machen ihr Ding. Die männlichen Charaktere des Films – Freund Kristoff, Schneemann Olaf und Rentier Sven - wirken eher etwas unfähig. Elsa und Anna geht es 2019 nicht – wie man von Disney erwarten würde – um den Traumprinzen. Es geht ihnen um ihr Königreich, das sie retten müssen. Ihr Haus brennt nicht, es trocknet aus. Elsa versucht verzweifelt die Fehler ihrer VorfahrInnen wiedergutzumachen. Sie kämpft mit den Naturgewalten: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Sie erkennt die Fehler, die ihr Großvater – ganz bewusst auf Kosten anderer Menschen - gemacht hat. Elsa ist Greta. Elsa rettet die Welt. Ihre Schwester regiert fortan das Königreich, Elsa wird die Beschützerin des Waldes. Das von ihr geschaffene Matriarchat steht fester, mächtiger und ruhmreicher da denn je zuvor.

Wenn meine Kinder – ein Mädchen und ein Junge - nun also doch dem „Anna-und-Elsa-Wahn“ verfallen, dann werde ich das nicht nur mit Fassung ertragen, ich werde es sogar irgendwie ganz okay finden.

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