Warum Frauen keinen abkriegen!

Das Herz ist von Niki de Saint Phalle. Ausstellungen im Museum Ostwall (bis 23.4.2017) + in den Opelvillen Rüsselsheim (bis 12.3. 2017).
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Tschakka. Das ist ja gerade nochmal gut gegangen. Aber wirklich nur ganz knapp. Fast wäre ich als alte Jungfer geendet. Aber mit fast 33 bin ich dieser sehr, sehr, sehr großen Gefahr, die Frauen in diesem Alter dräut, von der Schippe gesprungen. Ich habe kurz vor knapp noch einen abgekriegt. Sie dürfen mir also gratulieren. 

So wie ich mir selbst gratuliert habe, als ich im Spiegel Folgendes las: „Die Partnerlosigkeit in Deutschland hat einen neuen Höchststand erreicht. Viele Singles fühlen sich beziehungsunfähig, doch ihr Problem ist die übergroße Auswahl – und ihr Selbstmitleid.“ Also Entwarnung? Alles nur ein gefühltes Problem? Nicht doch! Der Spiegel weiter: „Echten Grund zur Sorge hat nur eine Gruppe: Frauen ab Mitte dreißig!“ 

So sieht es aus: Singlefrauen ab Mitte dreißig sind die Sorgenkinder der Nation. Sowas steht nicht nur im Spiegel, sondern auch in der Bild, der Süddeutschen Zeitung oder der FAZ. Wenn es etwas gibt, worauf Frauen sich verlassen können, dann das: In rituellen Abständen von ein, zwei Jahren widmen sich die Medien und die Menschen den „mittelalten Frauen“, die keinen abkriegen (und deswegen auch keine Kinder haben.) Der Tenor solcher so genannten „Trendgeschichten“ ist stets der gleiche: Alleinstehende Männer sind frei und haben Potenzial. Alleinstehende Frauen sind einsam und haben ein Problem. Wenn man das nur oft genug wiederholt, glauben es am Ende die Frauen selbst, die es eigentlich besser wissen könnten. Ideologie sticht Realität. Oder wie es die amerikanische Feministin Susan Faludi in ihrer Gesellschaftskritik „Backlash“ formulierte: Trendstories sind „moderne Predigten“. 

Was variieren kann, sind die guten Ratschläge in der Predigt. Vor einigen Jahren noch galt „Dating down“ als das Allheilmittel für die frustrierte Single-Frau: Sich auch mal auf einen Mann einlassen, der einer qua sozialem Status unterlegen ist! Warum soll sich eine Managerin auch nicht in einen Handwerker verlieben?

Aber das ist schon wieder von gestern. Heute haben wir es mit der Diagnose „beziehungsunfähig“ zu tun. Eine ganze Generation ist betroffen, die so genannte „Generation Beziehungsunfähig“. Das sind Menschen, die um 1980 geboren und Dauersingle sind. Wobei es da einen kleinen Unterschied zwischen ihm und ihr gibt. Klagt ein Mann: „Ich bin einfach beziehungsunfähig!“ – dann meint er damit meistens seine Unfähigkeit, sich an eine Frau zu binden, also sich festzulegen. Wenn eine Frau klagt: „Ich bin einfach beziehungsunfähig!“, dann meint sie damit meistens ihre Unfähigkeit, einen Mann an sich zu binden, also ihn festzulegen. 

Fragen wir uns aber zunächst nach den Gründen, aus denen Single-Frauen ab Mitte dreißig sich Sorgen machen sollten. Hier ein Best-Of aus der gesammelten Berichterstattung der vergangenen fünf Jahre. Erstens: Diese Frauen sind zu alt. Zweitens: Diese Frauen haben zu hohe Ansprüche. Drittens: Diese Frauen machen Karriere. Viertens: Diese Frauen haben eine Gebärmutter. Fünftens: Diese Frauen haben ein Gehirn. 

Sehen wir uns das mal genauer an. 

Punkt Nummer Eins: Das Alter. Männer über dreißig stehen auf Frauen, die jünger sind als sie selbst. Soweit die Ideologie. Gemäß der Spiegel-Trendstory (Titel: „Die Sehnsuchenden“) sind diese Frauen im „Durchschnitt acht Jahre jünger.“ Quelle? (Irgend)Ein Sozialpsychologe. Ach so. Begründet wird diese Sehnsucht alter Männer nach jungen Frauen wahlweise mit „der Natur“ (Männer suchen sich junge Frauen zwecks Fortpflanzungsgarantie); mit Eitelkeit (Männer schnappen sich eine 25-Jährige, um ihr Ego aufzupolieren); oder mit Selbstwertproblemen (Männer suchen sich ein kleines Naivchen, um sich überlegen zu fühlen). 

Und die Realität? Die meisten Paare sind etwa gleich alt, mit einem geringen Altersunterscheid von ein bis drei Jahren (47 Prozent). Nur sechs Prozent aller Paare haben einen Altersunterschied von über zehn Jahren. Woher diese Erkenntnis kommt? Nicht aus dem Spiegel, sondern vom Statistischen Bundesamt. Interessant ist die Entwicklung bei unverheirateten Paaren: „In fast jeder vierten Beziehung ist die Frau älter als ihr Partner“, schreiben die Statistiker. Sieh an.

Punkt Nummer Zwei: Die Ansprüche! Frauen suchen einen Mann, zu dem sie aufblicken können. Sie sind laut Spiegel unwillig, „nach unten“ zu daten und damit „Opfer eines Partnerwahl-Mechanismus, der seit Jahrhunderten bestand hat“. Quelle? (Irgend)Ein Sozialpsychologe. Und da es inzwischen mehr top ausgebildete Frauen als Männer gibt, müssen etliche dieser ­gebildeten Frauen leider leer ausgehen. Und diese frustrierten Karrieristinnen sagen dann „irgendwann den traurigen Satz: ‚Ich bin mit meinem Beruf verheiratet‘.“ (Spiegel). Soweit die Ideologie.

Und hier kommt die Realität: Tatsächlich sind die meisten Menschen mit ­jemandem verheiratet, der das gleiche Bildungsniveau hat wie sie selbst (62 Prozent). Bei 29 Prozent der Paare hat der Mann, bei neun Prozent die Frau einen höheren Bildungsabschluss. Auch das steht in keiner Trendstory, sondern im „Datenreport 2016“ des Statistischen Bundesamtes über „Familie, Lebensformen und Kinder“. In dem Datenreport wird außerdem eine Trendwende bei Paaren registriert, die nicht das traditionelle Familienmodell leben – also nicht verheiratet sind. Und siehe da: Bei Unverheirateten haben nur noch 21 Prozent der Männer einen höheren Bildungsabschluss. Und immerhin schon 14 Prozent der Frauen. Tendenz steigend.

Punkt Nummer Drei: Die Karriereambitionen. Sie ist erfolgreich und verdient viel Geld. Im Zweifel sogar mehr als Er. Schwierig! Ganz schwierig! Das nagt am Männer-Ego, heißt es. Und dann werden die Männer erst unleidlich, dann untreu – und irgendwann sind sie weg. Soweit die Ideologie. Und die Realität? Es spielt für ihr „Partnerlosigkeitsrisiko“ keine Rolle, wie steil die Karriere einer Frau verläuft. Das hat auch ein Soziologe, Jan Eckhard von der Universität Heidelberg, herausgefunden. Er hat immerhin die Daten von 20.000 Männern und Frauen aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ ausgewertet. Resultat: eine „zunehmende Partnerlosigkeit“ in Deutschland. Ausschlaggebend bei diesem Leben ohne Partner ist unter anderem, „ob die Frauen überhaupt ein eigenes Einkommen haben.“ Mit dem Job steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau Single bleibt. Mit einem Vollzeitjob steigt sie noch mehr. „In Teilzeit erwerbstätige Frauen sind seltener partnerlos“, sagt Eckhard. Am geringsten verbreitet ist die „Partnerlosigkeit“ unter den nicht erwerbstätigen Frauen. 

Der Soziologe: „Durch das eigene Einkommen der Frauen verliert die traditionelle Versorgungsfunktion einer  Beziehung an Bedeutung.“ Das heißt auch, dass Frauen nicht mehr länger mit Männern zusammenbleiben müssen, wenn sie ökonomisch unabhängig sind. Wir haben es hier also mit einem Fort-, nicht mit einem Rückschritt zu tun. So betrachtet wundert es auch gar nicht, dass es in West wie Ost vor allem die Frauen zwischen zwanzig und vierzig sind, bei denen laut Eckhard die Partnerlosigkeit in den vergangenen Jahren besonders zugenommen hat. Also bei den Töchtern der Frauenbewegung. 

Und die Männer? Bei denen nehmen zumindest in Westdeutschland die Beziehungen im jüngeren Alter neuerdings wieder zu. Also Entwarnung? Nein. Denn ausgerechnet bei den Männern ab Mitte dreißig ist die „Bindungsquote“ rapide gesunken. Wer also muss sich hier eigentlich Sorgen machen? Offensichtlich die Männer ab Mitte dreißig. Denn auch laut Statistischem Bundesamt sind mehr als doppelt so viele deutsche Männer wie Frauen alleinstehend (1,4 Millionen Männer zu 685.000 Frauen). 

Punkt Nummer Vier: Die Gebärmutter. Frauen in ihren Dreißigern stehen unter Generalverdacht, jeden Mann nach einem binären Prinzip abzuchecken: potenzieller Erzeuger/kein potenzieller Erzeuger. Schließlich „schrumpft ihr Zeitfenster“! Was ist, wenn der nächste „wieder nicht DER RICHTIGE ist?!“ ­Soweit die Ideologie. Und hier kommt die Realität von vielleicht nicht allen, aber doch vielen Frauen: „Ich hab‘ das Gefühl, in meinem Alter treffe ich nur noch Psychos!“ Das hat neulich eine Freundin erzählt, nennen wir sie Sandra. Sandra ist 38 Jahre alt. Seit Beendigung ihrer elfjährigen Beziehung tingelt sie wieder öfter durch die Clubs und Kneipen, wie einst mit Mitte zwanzig. Damit ist sie gerade ganz zufrieden. Sandra sagt auch: „Bevor ich mit einem Psycho ein Kind kriege, verbringe ich den Rest meines Lebens lieber mit meinen Freundinnen und Freunden.“ 

Was uns zu Punkt Nummer Fünf bringt: Frauen haben ein Gehirn! Und genau das scheint ein großes Hindernis zu sein auf dem Beziehungsmarkt. Denn Männer stehen auf heiße Bikini-Models, die nichts im Kopf haben. Neulich erst ging eine Studie der „Warsaw School of Economics“ durch die Medien, die genau das untersucht hat: Was wollen Männer – und was wollen Frauen? Dafür haben die Forscher aus Polen schlappe 500 Leute befragt, aber was soll’s … Nach einer Speeddating-Session sollten die Probanden angeben, ob sie ihr Date wieder treffen würden und dafür auf einer Skala Attraktivität und Intelligenz ihres Gegenübers bewerten. Ergebnis: Eine Frau, die der Mann als sehr intelligent wahrnimmt, muss extrem gut aussehen, um nach einem zweiten Date gefragt zu werden. Ansonsten sinken ihre Chancen rapide. Bei Frauen ist es umgekehrt: Wenn sie einen Mann als sehr intelligent wahrnehmen, sehen sie über Minuspunkte beim Aussehen hinweg. Das behaupten die Ideologen, nicht nur in Polen. 

Kommen wir zur Realität: Solche Studien gibt es zuhauf – und die Ergebnisse variieren je nach Fragestellung und Zeitgeist. Mal ist „Schlau das neue Sexy!“ (Süddeutsche Zeitung mit Bezug auf eine Studie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung). Mal zählt „Offenheit und Fröhlichkeit!“ (Jolie mit Bezug auf eine „Fülle von Studien“ und den „Erfahrungsschatz“ der Redaktion). Und mal wollen Männer „weibliche Frauen“ mit „runden Augen“ und „hohen Wangenknochen“ (Bild mit Bezug auf eine Studie der finnischen Universität Turku). 

Was schließen wir nun aus alledem? An dem Leben der Frauen hat sich in den letzten 50 Jahren viel geändert. Sehr viel. An den suggestiven Trendgeschichten und den Klischees über die schwer vermittelbaren Mittelalten wenig. Sehr wenig. Und seit jede Frau dank Dating-App auf dem Smartphone die nächste Chance auf Sex & Liebe in der Handtasche mit sich herumträgt, ist der Druck noch gestiegen: Wie, du hast keine Beziehung, nicht mal eine Affäre? Hast du denn kein Tinder?! 

Der „soziale Wert“ der Menschen sei durch die schier unendliche (und trügerische) Auswahl an potenziellen Partnern im Internet stärker als früher daran gebunden, ob sie begehrt werden, sagt die Soziologin Eva Illouz über diese „Ökonomisierung der Liebe“. Für Frauen gilt das doppelt.

Dass hingegen die Beziehungslosigkeit bei Frauen immer noch als Makel gilt, das mache sie „sehr wütend“, klagte neulich eine andere Freundin, nennen wir sie Renate. Renate ist 35 Jahre alt. Sie hat einen riesigen Freundeskreis, gerade ihre erste ­Eigentumswohnung bezogen und als Filmemacherin einen Beruf, um den sie viele beneiden. Und Renate ist Single. Seit sieben Jahren. Wobei es da natürlich den einen oder anderen gab. Eben nur nicht den einen für immer. Was Renate gar nicht so schlimm findet. „Ich will aussuchen können“, sagt sie. Das war mal anders. „Was stimmt bloß nicht mit mir?“, fragte Renate sich lange. Bis ihr auffiel: Das ist die falsche Frage! „Wie will ich leben? Darum geht es doch“, sagt sie heute.

Für 99 Prozent der Frauen ist die Antwort darauf schon vor ihrer Geburt qua Geschlecht festgelegt: Mit Mann und Kindern. Dass Frauen wie Renate zufrieden sind, weil sie abends gerne auch mal alleine sind, um zum Beispiel in Ruhe an ihrem Drehbuch arbeiten zu können, das taucht in den Klischees von einem erfüllten Frauenleben nicht auf. Frauen wie Renate gelten als „beziehungsunfähig“. 

„Generation Beziehungsunfähig“, so heißt auch ein aktueller Bestseller. Geschrieben von einem Mann, gelesen von Frauen. Der Mann heißt Michael Nast. Frauen kommen in seinen Episoden über die Liebe und das Leben in Zeiten von Online-Dating nicht besonders gut weg. Männer auch nicht. Gut weg kommt nur Michael Nast, der Lonely Cowboy aus Berlin, sensibler Frauenversteher und cooler Kumpel, der einfach nie DIE RICHTIGE trifft. Zu Nasts ausverkauften Lesungen kommen Frauen, die sich tatsächlich große Sorgen machen, dass sie „keinen mehr abbekommen“ könnten. Weil sie „zu alt“ sind, nämlich 28. Und diese Frauen Ende 20 hängen dann an den Lippen eines Autors Anfang 40, der im Gegensatz zu ihnen wahrlich nicht im Verdacht steht, ernsthaft verzweifelt zu sein. 

Aber vielleicht ist das Problem der Frauen ja gar nicht ihre so genannte Beziehungsunfähigkeit. Vielleicht sind das Problem der Frauen Typen wie Michael Nast. Darauf fallen sie rein. Wieder. Und wieder. Und wieder. Typen, die sich einfach „nicht festlegen wollen“. Weil sie es nicht müssen (und auch noch nie mussten). Tenor: Ich würde ja so gerne, aber ich kann mich einfach nicht verlieben. Frauen haben mit solchen Männern dann Mitleid. Und ab da geht es bergab mit ihrem Stolz. 

Ich bin inzwischen übrigens 36 Jahre alt. Das bedeutet etwa 15 Jahre Ruhe, bevor ich schnurstracks in die nächste beklagte Risikogruppe rutsche: Alte Frauen, die von ihren Männern wegen einer Jüngeren verlassen werden. Bis dahin: Nur den Kopf nicht verlieren. Und die ­Lebenslust schon gar nicht.

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