Alice Schwarzer schreibt

Werbe-Ikone Amanda Gorman

Das Foto machte Annie Leibovitz, veröffentlicht in Vogue. - www.vogue.com
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Amanda Gorman auf dem Voge-Cover.
Amanda Gorman auf dem Voge-Cover.
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Reden wir von der Person. Die 23-Jährige, seit etwa fünf Jahren eine aufsteigende junge Dichterin mit Studium in Harvard, ist vaterlos und als Tochter einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Als sie am 20. Januar 2021 bei der Inauguration des amerikanischen Präsidenten die Stufen des Capitols erklomm, trug sie ein leuchtend rotes Satin-Stirnband und einen sonnengelben Woll-Mantel, beides von Prada. Was kein Zufall war. Schließlich arbeitet sie seit Februar 2019 mit der italienischen Modefirma zusammen: als „Modebotschafterin“, also Werbeträgerin der Prada Group. Im April 2019 kleidet Prada die junge, hübsche, schwarze Amanda Gorman für den „Women in the World-Summit“ in New York ein. Im November 2019 referiert sie auf der PradaKonferenz über „Unternehmensphilosophie im Zeichen der Nachhaltigkeit“.

Das Stirnband, 360 Euro, war innerhalb von Tagen ausverkauft, international. Der Mantel, 2.800 Euro, war für einen Ausverkauf wohl doch zu teuer. Der Prada-gewandete Auftritt von Gorman vor 40 Millionen Menschen weltweit dürfte der wirkungsvollste Werbeauftritt aller Zeiten für ein Mode-Label gewesen sein.

Wenige Tage später nahm die mächtige Modelagentur IMG die Dichterin unter Vertrag, als Model. Und ein paar Wochen später war sie schon auf dem Cover der Vogue: mit Dreadlocks und gewandet in ein afrikanisch anmutendes Tuch mit goldener Gürtelschnalle aus dem Hause Louis Vuitton. Ist das etwa ein Fall von kultureller Aneignung durch ein weißes französisches Modehaus? I wo, das Model ist ja schwarz.

Weitere Werbeangebote in Höhe von 17 Millionen Dollar soll Gorman, laut FAZ, ausgeschlagen haben. Vorläufig.

Wer nun meint, diese so schamlose Vermarktung von Identität und politischem Engagement habe eine Welle der Empörung ausgelöst – oder auch nur einzelne kritische Stimmen –, irrt. Stattdessen wogt durch die internationalen Feuilletons die Debatte, wer denn nun das von Gorman vor dem Capitol vorgetragene Gedicht übersetzen dürfe. Nur Schwarze? Nur Frauen? Oder einfach ein adäquater Dichter, eine Dichterin? Der deutsche Verlag Hoffmann & Campe wollte ganz auf Nummer sicher gehen und engagierte gleich drei Übersetzerinnen: eine Weiße, eine Farbige und eine Muslimin. Mehr Anbiederung geht nicht.

Gorman will weiter. Bis an die Spitze. Sie will Präsidentin von Amerika werden.

Gorman klettert indessen unverdrossen weiter den Hügel rauf. Halt macht sie nur kurz, um sich von Michelle Obama, Hillary Clinton oder Oprah Winfrey interviewen zu lassen. Das Objekt der Begierde kann sich nicht lange aufhalten. Gorman will weiter. Bis an die Spitze. Sie will – Präsidentin von Amerika werden. (Das kann ein Mensch in den USA erst ab 35).

„Ich bin der Hurricane, der jedes Jahr wiederkommt“, diktierte Gorman dem Spiegel ins Aufnahmegerät. „Und Sie können sich schon mal darauf vorbereiten: Sie werden mich bald wiedersehen.“ Was beim Spiegel nicht etwa mindestens ein amüsiertes Schmunzeln auslöste oder gar eine ironische Rückfrage – sondern nur beflissene Berichterstattung.

Bleibt nur noch die Frage: Hat die Mode-Industrie und Werbung den aufsteigenden Shooting-Star entdeckt – oder hat sie ihn gar überhaupt erst gemacht?

Armes Amerika. Wird das Weiße Haus im Jahr 2033 eine internationale Werbezentrale für die Mode-Labels dieser Welt sein? Oder wird Amanda nicht durchhalten? Zwölf Jahre sind schließlich viel Zeit für ein Werbeprodukt.

ALICE SCHWARZER

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