Women against Silicon Valley

Susan Fowler bei Uber war die erste, die sich traute. Folge: Ihr Chef musste gehen.
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Auch wer noch nie im Silicon Valley war, kann sich vorstellen, wie es in der Hightech-Hochburg zugeht: Softwareentwickler (männlich) schreiben Algorithmen, Investoren (männlich) finanzieren Startups, und Assistenten (weiblich) glätten die Wogen der testosterongesteuerten Verdrängungswettbewerbe. Trotz prominenter Gesichter – wie Marissa Mayer und Sheryl Sandberg – ist das Tal in Kaliforniens Norden noch immer eine Männerdomäne. Da ist der Sexismus nicht weit.

Diese Kultur des systematischen Sexismus machte vor einigen Monaten die Informatikerin Susan Fowler eher beiläufig öffentlich. Fowler hatte den Fahrdienst Uber mit Sitz in San Francisco Ende 2016 verlassen. Ihr „sehr, sehr merkwürdiges Jahr“ bei dem Technologiekonzern verarbeitete sie zu einem Blogpost – und stampfte den Ruf des Silicon Valley mit einem Schlag in Grund und Boden. Die Informatikerin berichtete über sexuelle Belästigungen durch ihren Chef und ausbleibende Beförderungen trotz positiver Beurteilungen.

Auch verriet Susan, dass Frauen aus dem Unternehmen in Scharen fliehen. „Als ich bei Uber anfing, waren 25 Prozent der Mitarbeiter weiblich. Als ich ging, war diese Zahl auf sechs Prozent geschrumpft.“ Travis Kalanick, der Gründer von Uber, versprach eine Untersuchung. Das Ergebnis war ernüchternd. Bei der Auswertung der etwa 200 Anzeigen fand die Anwaltskanzlei Perkins Coie etwa 50 Fälle offener Diskriminierung, weitere fast 50 Fälle sexueller Belästigung sowie dutzende Belege für Mobbing, Racheakte und „unprofessionelles Verhalten“.

Anfang Juni entließ Uber mehr als 20 übergriffige Mitarbeiter, unter ihnen Fowlers früheren Gruppenleiter. Wenige Tage später trat auch der Unternehmenschef Kalanick ab, weil Aktionäre ihm vorwarfen, nicht hart genug gegen Benachteiligung von Frauen vorgegangen zu sein. Die „Techies“ zwischen Silicon Valley und Bay Area atmeten hörbar auf. Die Branche hatte ein Zeichen gesetzt, die Ehrenrettung schien geglückt.

Doch dann kam Kelly Ellis. Gemeinsam mit Holly Pease und Kelli Wisuri reichte die Softwareingenieurin jetzt eine Sammelklage gegen den Suchmaschinenentwickler Google ein und lässt die Branche abermals erbeben. Das Trio wirft seinem ehemaligen Arbeitgeber im kalifornischen Mountain View vor, Frauen grundsätzlich niedrigere Gehaltsstufen zuzuweisen und auf der Karriereleiter auszubremsen. Ähnlich schwer wiegt der Vorwurf der systematischen Geschlechtertrennung.

Während Männern die besser bezahlten Programmierstellen (back end) vorbehalten blieben, würden Frauen mit weniger lukrativen Arbeitsplätzen für Kundensoftware (front end) abgespeist. „Ich gehe an die Öffentlichkeit, um diese allgegenwärtige Schieflage zu korrigieren“, sagt Ellis. „Es ist an der Zeit, die Probleme der Hightech-Industrie nicht länger unter den Teppich zu kehren.“

Schon bei der Einstellung bekam Ellis Googles Doppelmoral zu spüren. Während der studierten Mathematikerin und Informatikerin eine Stelle der Ebene 3 zugewiesen wurde, stufte das Unternehmen männliche Bewerber mit identischem Abschluss auf Level 4 ein. Wie Ellis jetzt in der Klage or dem Obersten Bezirksgericht in San Francisco vortrug, garantiert eine Position der Ebene 4 ein weit höheres Gehalt und die Aussicht auf Boni und Beförderungen.

Die Softwareentwicklerin sah vier Jahre lang zu, wie weniger qualifizierte Männer bei Google Karriere machten, dann reichte sie im Sommer 2014 die Kündigung ein. Ihre Mitklägerin Pease verabschiedete sich zwei Jahre später. Auch sie war nicht länger bereit, sich wegen ihres Geschlechts schlechter bezahlen zu lassen.

Wisuri, die im Verkauf arbeitete, verließ Google im Jahr 2015. Die Absolventin der University of California in Berkeley wollte nicht länger hinnehmen, dass die oberen Ränge der Sales-Abteilung fast ausnahmslos Männern vorbehalten blieben.

Dass Google eher die Regel als die Ausnahme darstellt, ließ im vergangenen Jahr schon die Umfrage „The Elephant in the Valley“ ahnen. Sechs von zehn befragten Frauen gaben damals an, unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche erlebt zu haben. Fast neun von zehn Frauen in Hightech-­Unternehmen erklärten, bei Konferenzen und Diskussionen regelmäßig zu Gunsten männlicher Kollegen übersehen zu werden.

Und obwohl in Amerika sechs von zehn Berufstätigen Frauen sind, ist nur jeder dritte Angestellte bei Technologiekonzernen wie Google, Apple und Twitter weiblich. Da ist es kein Wunder, dass die Zahl der Studierenden, die sich an amerikanischen Universitäten für Informatik einschreiben, stetig sinkt. Im Jahr 1984 zählten die Hochschulen für das Fach „Computer Science“ noch fast 35 Prozent Frauen. Heute liegt der Anteil der Studentinnen bei knapp 18 Prozent.

Der Intel-Chef Brian Krzanich kündigte daher die Initiative „Diversity in Techno­logy“ an, die bis zum Jahr 2020 mehr Stellen für Frauen und Minderheiten schaffen soll. Ein Inklusionsversprechen, das das Weiße Haus 33 Hightech-Unternehmen wie Air­bnb und Lyft abrang, erwies sich dagegen als Luftnummer. Sechs Monate nach der Selbstverpflichtung zählte die Website „paysa. com“ bei der Zimmervermittlung Air­bnb weiter dreimal mehr männliche als weibliche Angestellte. Bei dem Fahrdienstportal Lyft stellen Frauen weniger als 20 Prozent der MitarbeiterInnen.

In einem Pamphlet mit dem Titel „Googles ideologischer Hallraum“ versuchte der Softwareentwickler James Damore, die Ungleichbehandlung von Frauen biologisch zu rechtfertigen. Frauen, so der 23-Jährige, orientierten sich traditionell an Gefühlen und Ästhetik. Männer legten dagegen mehr Wert auf Ideen und systematisches Denken. Frauen seien einfach ängstlicher und weniger belastbar. „Wir müssen endlich aufhören zu denken, dass die Kluft zwischen Frauen und Männern etwas mit Sexismus zu tun hat“, forderte der junge Softwareentwickler. Als Damores vertrauliche Thesen im Juli den Weg ins Internet fanden, brach ein Sturm der Entrüstung los. Google entließ den Informatiker.

BeobachterInnen wie die britische Wissenschaftsjournalistin Angela Saini sprachen derweil das aus, was viele längst wussten: „Das Memo, das online durchsickerte, hat aufgedeckt, wie etliche in dieser von Männern dominierten Welt über Frauen denken.“

Wie schwer es der Branche fällt, sich von schwarzen Schafen in den eigenen Reihen zu distanzieren, zeigt auch die Causa Caldbeck. Sechs Frauen hatten Justin Caldbeck, den Mitgründer der kalifornischen Venture-Capital-Firma Binary, im Sommer öffentlich beschuldigt, sie sexuell belästigt zu haben. Susan Ho, die Chefin eines Startups, berichtete der Website The Information, wie der Geschäftsmann ihr nachts Textnachrichten schickte, um sie zu „spontanen Treffen“ zu überreden. Ihrer Kollegin Leiti Hsu legte Caldbeck bei einem Arbeitstreffen unter dem Tisch ungebeten die Hand auf den Oberschenkel.

Trotz der Fülle der Vorwürfe und anhaltenden Gerüchten über sexuelle Anzüglichkeiten widersprach Binary Capital vollmundig. Die Übergriffe habe es nie gegeben, die Frauen erzählten Märchen. Erst nach dem Aufschrei anderer Investoren trennte sich das Unternehmen von seinem Mitgründer. „Das raubtierhafte Verhalten, das Justin vorgeworfen wird, ist bedauerlich“, teilte Binary Capitals Geschäftsführer Jonathan Teo nun mit. „Unser Unternehmen fährt bei jedem Verhalten, das Frauen benachteiligt, eine Strategie der Nulltoleranz.“ Was die Kalifornier zu der Kehrtwende bewegte, blieb vorerst offen. BeobachterInnen vermuten die Angst vor Prozessen mit rufschädigenden Enthüllungen.

Nach Ellis’ Sammelklage könnte es jetzt auch für Google unangenehm werden. Dass der kalifornische Avantgardiste bei der Gleichstellung von Frauen arg rückständig ist, bewiesen in den vergangenen Monaten Ermittlungen des amerikanischen Arbeitsministeriums zu Gehältern. „Die Untersuchung der Regierung weist auf eine Benachteiligung von Frauen hin, die selbst für diese Branche extrem ist“, fasste die Ministeriumssprecherin Janet Herold das vorläufige Ergebnis zusammen.

Für Google und die anderen Herrenclubs im Silicon Valley wird es eng.

Christiane Heil ist freie Korrespondentin in Amerika mit Sitz in Santa Monica.
Für EMMA schrieb sie zuletzt über die Schauspielerin Annette Bening (5/17).

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