Über Höhlenmenschen & Blondinen

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Forscher: "Schon Höhlenmänner bevorzugten Blondinen". Diese Meldung ging Ende Februar 2006 über die Nachrichtenticker und verbreitete sich innerhalb weniger Tage von Brasilien bis Südkorea über den ganzen Erdball. Peter Frost, der kanadische Ethnologe, der die Schlagzeile mit einem Fachartikel ausgelöst hatte, vermerkt das weltweite Medienecho stolz auf seiner Homepage. Und allein die Ein­gabe „Höhlenmänner Blondinen“ in eine Suchmaschine ergibt 514 deutschsprachige Websites, auf denen diese Meldung Thema ist.

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Fotos prominenter Blondinen, die für Sex-Appeal stehen, unter anderem Heidi Klum, Brigitte Bardot und Marilyn Monroe, suggerieren passend zum Text, dass Blondinen „zeitlos begehrenswert“ sind. ­Allein der Bayerische Rundfunk weicht von diesem Schema ab und erinnert daran, dass auch Blondinen nicht nur körperliche Reize haben: Er präsentiert die Photomontage einer strahlenden Alice Schwarzer an der Seite eines verhärmt wirkenden, deutlich schmächtigeren Höhlenmannes. Darunter ist zu lesen: „Blond, aber nicht blöd: Alice Schwarzer mimt die Höhlenfrau.“

Die Story zur Schlagzeile ist schnell erzählt: Gegen Ende der letzten Eiszeit habe Nahrungsmittelknappheit geherrscht, so dass die Männer zu immer gefährlicheren Großwildjagden genötigt worden seien, die für viele tödlich geendet hätten. Infolge des Nahrungs- und Männermangels hätten die noch verbliebenen Männer unter der großen Überzahl der auf einen Ernährer wartenden Frauen freie Auswahl gehabt. Eine natürliche Mutation, die sich damals ereignet haben soll, bereitete der Qual der Wahl jedoch ein rasches Ende: Erstmals seien zu dieser Zeit Frauen mit blondem Haar und leuchtend blauen Augen aufgetaucht, und die Männer hätten sich angesichts des Überangebotes an Fortpflanzungspartnerinnen für das ‚Exotische‘ entschieden.

Damit hätten sie einen starken Selektionsdruck auf die für blondes Haar und blaue Augen zustän­digen Gene ausgeübt, was erkläre, dass Haar- und Augenfarben in Europa im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt heute relativ variantenreich seien.

Manche Redaktionen hielten am Ende des Artikels dann noch ein Trostpflästerchen für ihre dunkelhaarigen Leserinnen bereit und verwiesen auf eine WHO-Studie. Laut dieser Studie schrumpfe der Genpool für blondes Haar infolge der aktuellen weltweiten genetischen Durchmischung kontinuierlich, so dass die Dunkelhaarigen in etwa 200 Jahren wieder unter sich seien. Angesichts der Tatsache, dass die konkurrenzfreie Zukunft außerhalb der eigenen Lebensspanne liegt, ist dieser Ausblick wahrhaft ein schwacher Trost.

Da lässt der Verweis auf eine psychologische Studie in Stern-Online schon eher aufhorchen: Männer sollen neuerdings vermehrt an intensiven, gleichberechtigten Partnerschaften interessiert sein. Das wiederum käme einem Selektionsvorteil für die Brünetten und Schwarzhaarigen gleich, denn die männliche Psyche assoziiere Dunkelhaarige mit Verstand, Blondinen eher mit körperlichen Reizen.

Doch zurück zur eigentlichen Story: Was lernen wir aus ihr? 1. Die Rolle der Männer war es seit jeher, Frau und Kind zu ernähren. 2. Die Nahrungsgrundlage war die Jagd. Männer sind also ursprünglich Jäger. 3. Frauen sind von Männern existenz­iell abhängig, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Kinder zu ernähren. 4. Deshalb geht beim ‚Homo sapiens sapiens‘ die Partnerwahl stets von den Männern aus. 5. Die sexuelle Orientierung des Menschen ist grundsätzlich heterosexuell und monogam. 6. Die sexuelle Präferenz der Männer gilt schon seit Urzeiten blonden Frauen. Und: Das alles ist wissenschaftlich bewiesen.

Doch was steckt aus wissenschaftlicher Sicht hinter dieser Geschichte, die in den Medien auf so viel wohlwollendes Interesse und Zustimmung gestoßen ist?

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein Ethnologe wie Peter Frost mit fachlicher Spezialisierung auf Polar­völker nach wie vor die Großtierjagd als die Existenzgrundlage in nördlichen Breiten präsentiert. Diese Lesart der ethnographischen Quellen ist für die meisten Ethnologinnen indessen passé. Längst ist Konsens, dass ethnographische Berichte immer durch den speziellen Blick der Berichterstattenden geprägt und verzerrt sind.

So kam auch die angeblich so existenzielle Bedeutung der männlichen Großtierjagd auf den Prüfstand. Sie wird nun kritisch als Produkt der Faszination relativiert, welche diese Jagdform auf die europäischen Berichterstatter ausübte. Bei diesen handelte es sich zunächst nämlich ausnahmslos um Männer – um Trapper, Pelzhändler, Missionare und Entdecker, später dann auch Ethnologen –, die aus einem kulturellen Kontext stammten, in dem die spektakuläre, zuweilen auch gefährliche Großtierjagd der adligen und mondänen Männerwelt vorbehalten war und zu einer speziellen Form männlicher Selbststilisierung gehörte.

In neueren ethnographischen Forschungen wird auf die Vielfalt der genutzten Nahrungsressourcen hingewiesen, unter denen Großtiere eine, aber nicht unbedingt die wichtigste – und vor allem bei weitem nicht die verlässlichste – Kalorienquelle darstellen. Auch pflanzliche Nahrungsmittel und Fisch sind seit einiger Zeit vermehrt in den Fokus der Forschung gelangt, und so zeichnet sich heute eine überraschend vielfältige Nutzung von tierischen und pflanzlichen Ressourcen ab.

Systematisch ausgelotet wurde diese Vielfalt von Linda Owen, einer Prähistorikerin an der Universität Tübingen, die auf die ausgehende Altsteinzeit, also genau auf den Zeitabschnitt spezialisiert ist, zu dem Frost seine Thesen entwickelt hat.

Da sich die Interpretationen der Urgeschichtsforschung stark auf ethnographische Vergleiche zu modernen Polarvölkern stützen und somit auch durch sie massiv beeinflusst werden, hat Linda Owen die ethnographischen Quellen in einem 2005 veröffentlichten Buch einer gender-kritischen Neulektüre unterzogen. Danach erscheint der Anteil, den Frauen und Männer jeweils an der Nahrungsbeschaffung hatten, in einem völlig neuen Licht.

Und auch die Recherche zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung erbrachte Neues: In allen Ethnien wurden viele, aber nicht alle Arbeiten geschlechtsspezifisch aufgeteilt. Diese Formen der Arbeitsteilung wurden situationsbedingt aber durchaus flexibel gehandhabt: Wenn in einer Familie beispielsweise männlicher Nachwuchs fehlte, wurde die Tochter zur Jagd ausgebildet und nahm auch an Großtierjagden teil.

Linda Owen hat die archäologischen Quellen unter Einbeziehung vegetations-, faunen- und klimageschichtlicher Daten für Südwestdeutschland systematisch zusammengestellt. Besondere Aufmerksamkeit schenkte sie dabei den pflanzlichen und tierischen Resten aus archäologischen Fundstellen. Aufgrund  ihrer von archäologischen Befunden ausgehenden Untersuchung kommt sie zu dem Schluss, dass für die ausgehende Eiszeit eine ähnlich differenzierte Nutzung von Nahrungsquellen zu erwarten ist, wie sie das für moderne Polarvölker zeigen konnte.

Welche Aufgaben Frauen und Männer im Rahmen dieser Subsistenzsicherung im Einzelnen hatten und ob das überall dieselben waren, ist heute kaum noch zu eruieren. Die bisher vorliegenden anthropologischen Untersuchungen von Skelettresten aus dieser Zeit sprechen jedoch dafür, dass Frauen und Männer ähnliche Tätigkeiten ausübten.
So wurde festgestellt, dass die Zähne von Frauen und Männern dieselben Abkauungsspuren aufweisen, die vom Weichkauen von Leder stammen dürften. Auch bei den Knochenbrüchen zeigen sich keine geschlechtsspezi­fischen Unterschiede: Offenbar waren Männer und Frauen ähnlichen körperlichen Beanspruchungen und Gefahren ausgesetzt.

Geht man von den archäologischen Quellen aus und bezieht systematisch naturwissenschaftliche Untersuchungen von Nahrungsresten mit ein, so ist der urgeschichtliche Jäger, der seine Kleinfamilie mit Großwild ernährt, genauso als Jäger­latein zu bewerten wie die abhängige Ehefrau, die mit ihren Kindern hungrig am heimischen Feuer sitzt und unruhig darauf wartet, dass der Gatte mit einem Mammut nach Hause kommt.

Trotzdem tauchen der urgeschichtliche Jäger und sein weibliches Gegenüber, die urgeschichtliche Sammlerin, in vielen aktuellen Debatten auf. Sie sind als Referenz und Argumentationsfigur fast omnipräsent – angefangen bei Trennkost und Blutgruppendiät, die funktionieren sollen, weil sie angeblich der Ernährungsweise der urgeschichtlichen Jäger und Sammlerinnen entsprechen, bis hin zu Erläuterungen, was unter pervertierter Weiblichkeit bzw. Männlichkeit zu verstehen sei.

Einfache Lösungen für ein großes Problem verspricht das AutorInnenpaar Allan und Barbara Pease mit seinem Bestseller „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“. Mittlerweile um griffige Kurzformen im Hemdtaschenformat ergänzt, wurden die Bücher des Paares weltweit mehr als 20 Millionen Mal verkauft. Das große Problem, das Pease & Pease laut Verlagswerbung durch eine Verbindung „neuester Erkenntnisse der Gehirn- und Evolutionsforschung mit aktueller Verhaltenspsychologie“ ergründen, erklären und lösen möchten, ist das Geschlechterverhältnis. Sowohl die Ursachen als auch die Lösungen sieht das Autorinnenpaar ausnahmslos in den „kleinen, aber bedeutsamen Unterschieden zwischen Mann und Frau“, für die sie „ganz natürliche Erklärungen“ parat haben. Und die schöpfen sie unter anderem aus der Urgeschichte – kompakt nachzulesen in einer Kurzversion aus dem Jahre 2005, und zwar einem Kapitel mit dem griffigen Titel „Wie wir das geworden sind, was wir sind“.

Das Kapitel beginnt im Stil eines Märchens: „Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebten Frauen und Männer noch glücklich zusammen und gingen in Harmonie ihrer Arbeit nach. Der Mann wagte sich Tag für Tag in eine feindliche und gefährliche Welt hinaus, wo er als Jäger sein Leben riskierte, um seiner Frau und seinen Kindern Nahrung zu beschaffen, und zu Hause verteidigte er sie gegen wilde Tiere und andere Feinde.“ Es folgen Aufzählungen der Arbeiten, denen Männer und Frauen „in Harmonie“ nachgegangen sein sollen, die in absoluter Reinform dem Geschlechter- und Rollenverständnis der bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts entsprechen: „Es war ziemlich einfach: Er war der Beutejäger, sie die Nesthüterin.“ Doch die paradiesische Frühzeit der Menschheit ist – zumindest für die „zivilisierte Welt“ – vorbei.

Die Frage nach dem emanzipatorischen Holzweg beschäftigt bekanntlich auch Eva Herman. Sie schreibt: „Betrachten wir einmal den soziologischen und biologischen Kontext. Der Mann steht in der Schöpfung als der aktive, kraftvolle, starke und beschützende Part, die Frau dagegen als der empfindsamere, mitfühlende, reinere und mütterliche Teil. In den zurück liegenden Jahrtausenden richtete die Menschheit ihre Lebensform nach dieser Aufteilung aus, die Rollen waren klar definiert. Der Mann ging zur Jagd, später zur Arbeit und sorgte für den Lebensunterhalt der Familie, die Frau kümmerte sich um das Heim, den Herd, die Kinder und stärkte ihrem Mann den Rücken durch weibliche Fähigkeiten wie Empathie, Verständnis, Vorsicht. (…) Welche Gnade sich in dieser schöpfungsgewollten Aufteilung findet, kann man heute nur noch selten beobachten. Wenn sie aber eingehalten wird, so hat das in aller Regel dauerhafte Harmonie und Frieden in den Familien zur Folge.“

Auch die Schilderung des prähistorischen Geschlechterparadieses von Eva Herman mit seiner „schöpfungsgewollten“ Rollenteilung endet mit einem Schwenk auf die Gegenwart, bei dem sogar der Untergang der menschlichen Spezies als unterschwellige Drohung mitschwingt: „Seit eini­gen Jahrzehnten verstoßen wir Frauen  zunehmend gegen jene Gesetze, die das Überleben unserer menschlichen Spezies einst gesichert haben.“

Selbst der Philosoph Peter Sloterdijk hat präzise Vorstellungen vom „Wesen“ und den Aufgaben urgeschichtlicher Männer und Frauen, die er in einem etwas überraschenden Kontext äußerte.

Vom Spiegel gefragt, ob er sich die WM als Fan oder als Philosoph angucke, antwortet Sloterdijk: „Eher als ein Mensch, der sich für die Archäologie der Männlichkeit interessiert. Das Fußballspiel ist atavistisch, und es ist eine anthropologische Versuchsanordnung. Seit einigen tausend Jahren suchen die männlichen Menschen nach einer Anwort auf die Frage: Was macht man mit Jägern, die keiner mehr braucht? Von unserem anthropologischen Design her sind Männer so gebaut, dass sie an Jagdpartien teilnehmen.“ Und wie sieht es mit der heutigen Frau aus? Stellt Sloterdijk ähnlich alarmierende Deformierungen ihrer Weiblichkeit fest? „Frauen sind herkunftsmäßig Sammlerinnen“, erläutert der Philosoph im Interview, „und die braucht man heute mehr denn je, denn aus der Sammlerin wird auf dem kürzesten Weg die Konsumentin. Frauen sind in diesem Punkt viel kapitalismuskompatibler als Männer. In der Konsumentin zeigt sich noch immer diese stille, triumphale Genugtuung der Sammlerin, die in ihrem Korb etwas heimbringt. Daraus ist dieses mysteriöse weibliche Universal der Handtasche entstanden. Ein Mann ohne Speer oder ohne Ball, das geht ja noch, aber eine Frau ohne Handtasche, das ist wider die Natur.“

In einem Punkt sind sich alle AutorInnen einig: Die urgeschichtlichen Jäger und Sammlerinnen sind ein zentraler Referenz- und Orientierungspunkt in der aktuellen Geschlechterdebatte. Abweichungen vom „anthropologischen Design“ der Geschlech­ter (Peter Sloterdijk), von den „schöpfungsgewollten“ (Eva Herman) bzw. den „natürlichen“ (Pease) Geschlechterrollen haben gravierende Folgen.

Bleibt zu guter Letzt noch die Frage zu klären, woher diese weit verbreitete und offensichtlich tief verwurzelte Gewissheit eigentlich stammt, dass die urgeschichtlichen Jäger und Sammlerinnen die ‚ursprüngliche‘ und ‚natürliche‘ Geschlechterordnung unsere Spezies verkörpern sollen. Die Urgeschichtsforschung kann das zweifelhafte Verdienst der Urheberschaft jedenfalls nicht für sich beanspruchen, denn diese Vorstellungen sind älter als das Fach, das sich erst im ausgehenden 19. Jahrhundert als Disziplin konstituierte. Schöpferin dieser Idee ist vielmehr die bürgerliche Gesellschaft, die die Legitimation des von ihr kreierten Geschlechtermodells auf zwei Säulen stellte: auf die Biologie („Das ist natürlich“) und auf die (Ur-)Geschichte („Das ist ursprünglich, denn das war schon immer, von Anfang an so“).

Hier kann man auf die vermeintlichen Anfänge zurückblicken, die historische Entwicklung quasi wieder auf Null setzen und sich so vergewissern, wie Frauen und Männer im postulierten Naturzustand ohne zivilisatorische Verformungen ‚eigentlich‘ sind und wie ihr ‚damals noch intaktes‘ Verhältnis gestaltet war.

Mythen sterben bekanntlich erst, wenn sie ihre gesellschaftliche Funktion verloren haben. Angesichts der lautstarken Aufrufe back to the roots, wird es wohl noch dauern, bis sich unser urgeschichtliches Traumpaar nach 200 Jahren intensivster Öffentlichkeitsarbeit in den längst verdienten Ruhestand zurückziehen kann.

Brigitte Röder - Der Text ist ein Nachdruck aus: „Das F-Wort – Feminismus ist sexy“, Hg. Mirja Stöcker (Ulrike Helmer Verlag).

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