Brigitte Fassbaender: Unangepasst

Brigitte Fassbaender ist heute Regisseurin, Gesangspädagogin und Operndirektorin in Braunschweig. - Foto: Mark Gilsdorf
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Sie war noch nicht einmal 22, als sie 1961 an der Bayerischen Staatsoper München ihr erstes Engagement antrat, an jenem Haus, das bis zum Ende ihrer Sängerinnenlaufbahn Brigitte Fassbaenders künstlerische Heimat bleiben sollte. Zum Vorsingen war sie in Begleitung ihres Vaters erschienen, des gefeierten Baritons Willi Domgraf­Fassbaender, der zugleich ihr Gesangslehrer war. „Außerordentliches Talent“ bescheinigte ihr der Intendant, ermahnte sie aber zugleich: „… ein bisschen abnehmen, Kindchen, wir sehen Sie auch in Hosenrollen“.

Brigitte Fassbaender schildert die Szene in ihren 2019 zum 80. Geburtstag erschienenen Memoiren. So war die Zeit: der berühmte Vater als Begleiter, der gönnerhafte Ton des Intendanten, die Taxierung ihres  Körpers – das würde heute nicht mehr kommentarlos durchgehen. Doch mit den Hosenrollen hatte es seine Richtigkeit. Brigitte Fassbaenders Rosenkavalier eroberte mit seinem androgynen Charme in unzähligen Aufführungen der Strauss­Oper die Bühnen der Welt und die Herzen der Fans – männlichen wie weiblichen Geschlechts. Belästigungen durch Verehrer und Verehrerinnen gehörten ebenso wie versuchte Übergriffe von Kollegen und Dirigenten zu den Erfahrungen ihres Berufslebens. Die Verhaltensmechanismen kannte sie, war doch ihr Vater ein umschwärmter Casanova.

In ihren Bühnenrollen – neben den Hosenrollen verkörperte sie auch so feminine Figuren wie die Charlotte in Massenets „Werther“ – war Brigitte Fassbaender Mitspielerin in den Dramen der Opernliteratur, doch sie hat früh auch die realen Dramen der Zeitgeschichte erlebt. In ihrem Elternhaus gingen die Stars der Berliner Staatsoper ein und aus. Die Mutter war Schauspielerin, Musik und Theater prägten ihre Kindheit. Als sich gegen Ende des Krieges die Bombenangriffe auf Berlin häuften, wurde Brigitte zu den Großeltern ins vermeintlich sicherere Dresden gebracht. Dort über lebte die Fünfjährige die verheerende Bombennacht des 13./14. Februar 1945 in einem Bunker.

Die Not der Nachkriegsjahre traf die Familie mit aller Härte: Verlust der Wohnung und des Vermögens, Ortswechsel, Hunger, zunächst Auftrittsverbot, dann Entnazifizierungsverfahren für den Vater. Der Beginn von Brigitte Fassbaenders Bühnenleben fiel in eine Blütezeit des Musiktheaters: große Dirigenten, stilbildende Regisseure und charismatische Sängerpersönlichkeiten fanden zusammen und wurden dank Schallplatten und dem jungen Medium Fernsehen sehr populär.

Doch Brigitte Fassbaender kannte auch die Schattenseiten ihres Berufes: das Lampenfieber, die Abhängigkeit von der Verfassung ihrer Stimme, das unstete Reiseleben und den Zwang zur  Disziplin, der oft in Konflikt geriet mit ihrem Freiheitsdrang.

Nach 33 Jahren auf der Bühne und in den Konzertsälen – hier vor allem als begnadete Liedinterpretin – fühlte sie sich ihren stimmlichen Ansprüchen nicht mehr gewachsen. 1995 beendete sie ihre Laufbahn als Sängerin, um sich in der Musikwelt in neuen Rollen zu etablieren: als Regisseurin, Gesangspädagogin, Operndirektorin in Braunschweig und Intendantin des Landestheaters Innsbruck wie auch als künstlerische Leiterin des Richard­Strauss­Festivals in Garmisch­ Partenkirchen. Aus der Musikerin, die auch malt und schreibt, wurde eine erfolgreiche Managerin. Ein Jungbrunnen ist für sie aber weiterhin die Arbeit mit dem Sängernachwuchs. So hatte sie für die diesjährigen Bregenzer Festspiele in einem Meisterkurs Rossinis „Barbiere di Siviglia“ einstudieren wollen – Corona hat den Plan zunichte gemacht.

Offen, geerdet, neugierig stellt sich Brigitte Fassbaender dem Leben. Sie ist souverän genug, um in ihren Memoiren auch sehr Privates preiszugeben. Doch zugleich ist sie so diskret, dass man über ihre Lebensgefährtin, mit der sie seit Jahrzehnten ein Bauernhaus im Chiemgau bewohnt, weniger erfährt als über den Mann, mit dem sie zu Beginn ihrer Karriere verheiratet war.

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