Catcalling muss strafbar werden!

Mut: Antonia Quell will Catcalling strafbar machen. Foto: privat
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„Na, willste ficken?“, „Mein Schwanz will in deinen Arsch!“ oder „Heute schon gebumst?“ sind typische Sprüche beim „Catcalling“. Sprüche, die die Betroffene sprachlos machen, die sie erniedrigen. Catcalling heißt das Ganze in Anspielung auf das Rufen nach Katzen, á la „Komm mal her, Süße“, geprägt wurde der Begriff in den USA. „Verbale sexuelle Belästigung“ könnte man auch dazu sagen.

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Kaum eine Frau, die noch nie auf diese Weise blöd angemacht worden ist. Am Arbeitsplatz, in der Uni, auf der Straße, im Supermarkt. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums haben 44 Prozent der befragten Frauen schon sexistische Übergriffe erlebt. Aber was dagegen tun?

Frankreich hat Catcalling längst unter Strafe gestellt? Warum nicht auch bei uns?

Kaum eine Frau hat Lust, sich auf das Niveau des Catcallers zu begeben, auch geraten viele in Angst, wenn Männer sie so offensiv ansprechen. Aber einfach hinnehmen? „Nein, das muss ein Ende haben“, dachte sich Antonia Quell. Die 20-jährige Studentin aus Fulda wurde selbst schon unzählige Male „gecatcalled“. Als eine Freundin ihr berichtete, dass Frankreich die verbalen Übergriffe längst unter Strafe gestellt hat, dachte sie sich: „Warum nicht auch bei uns?“ und startete die Online-Petition „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein“. Ihre Begründung: „Catcallings sind keine Komplimente, es ist das Ausnutzen von Dominanz und Macht. Wieso macht man das überhaupt? Weil man es kann.“

In Frankreich ist Catcalling seit 2018 strafbar und wird mit Geldstrafen von bis zu 750 Euro geahndet. Wenn die Betroffene unter 15 Jahre alt ist, können es bis 1.500 Euro sein. Im ersten Jahr waren rund 700 Bußgeldzahlungen fällig. Auch in Portugal, Belgien und in den Niederlanden ist Catcalling verboten.

Während Antonia in ihrem Umfeld – von Frauen und Männern - Wellen der Solidarität entgegenschwappen, entlädt sich im Netz der Hass der Trolle. „Vor allem junge Männer meinen, sich darüber lustig machen zu müssen und beleidigen mich persönlich“, sagt sie nüchtern.

Und nicht nur die. Auch Spiegel-Online-Kolumnist und Rechtsexperte Thomas Fischer, der bereits in den neuen Strafparagrafen gegen „Upskirting“ (heimliches Fotografieren unter den Rock) und „Downblousing“ (heimliches Fotografieren in die Bluse) so etwas wie einen Sittenverfall in der Strafgesetzgebung sieht, muss seinen Altherren-Senf dazugeben. Seiner „Erfahrung“ nach, hätten „Hinterher-Pfeifkonzerte“ in den letzten 50 Jahren recht stark abgenommen, schließlich verschwänden „Bauarbeiter bei der Annäherung von Katzen wie von Zauberhand in den Containern, damit nicht am Ende die Hauptkommissarskatze sie um Vorlage ihrer Arbeitserlaubnis bittet.“ Und er freut sich hämisch auf die „Anzeigen- und Verfolgungsdichte“. Aber: „Nicht schlecht, mein Kätzchen!“ lobt er Antonias Aktivismus.

Es hat eine Bedeutung für eine Gesellschaft, wenn sie Übergriffe toleriert!

Was weder junge Hater, noch alte Kater verstehen, ist, dass es natürlich eine Bedeutung für eine Gesellschaft hat, ob Übergriffigkeit gegen Frauen toleriert oder eben sanktioniert wird. Oder um mal mit der Argumentation der „Anzeigen- und Verfolgungsdichte“ von Fischers Fritze zu kommen: Sollten auch Vergewaltigungen lieber von vornerein straffrei sein, weil sie ja eh so schwer zu beweisen sind?

Antonia wünscht sich von Männern eine "Transferleistung": "Die meisten Männer kennen das Gefühl nicht gecatcalled zu werden. Das ist auch gut so. Um so wichtiger ist es dann, dass sich die Nicht-Betroffenen in die Lage der Betroffenen versetzen um selbstverständlich gewordene Machtverhältnisse aufzulösen!"

Noch läuft die Petition, in Kürze wird sie Justizministerin Christine Lambrecht übergeben und beim Bundestag im Petitionsausschuss eingereicht. Mehrere JuristInnen haben Antonia bereits Unterstützung signalisiert. 

Öffentlichkeit herstellen: Mit Kreide gegen Catcallings. Foto: @catcallsofoffenbach
Öffentlichkeit herstellen: Mit Kreide gegen Catcallings. Foto: @catcallsofoffenbach

Die kommt auch von Aktivistinnen aus ganz Deutschland, die mit Kreidebotschaften auf Catcalls aufmerksam machen. Eine Kölnerin betreibt den Instagram-Account Catcallsofcgn. Jeden Tag bekommt sie Nachrichten von Kölnerinnen, die Opfer eines Catcalls geworden sind. Sie geht an die Orte und hinterlässt Kreidebotschaften, etwa den Spruch, der gefallen ist, dazu den Hashtag #stopptbelästigung. In München, Hannover, Berlin, und vielen anderen Städten gibt es bereits Ableger. Die Idee kommt aus New York, vom Account Catcallsofnyc. Tatsächlicher Ursprung war dort allerdings ein Video. 2014 ging das Video "Ten hours of walking as a woman in NYC".

https://www.youtube.com/watch?v=b1XGPvbWn0A

Darin zu sehen ist, wie die Schauspielerin Shoshana Roberts, ausgestattet mit einer versteckten Kamera, in New York spazieren geht. 108 Mal wird sie belästigt. Das zweiminütige Video wurde seitdem 49 Millionen Mal gestreamt und löste eine Debatte über die Sicherheit von Frauen auf der Straße aus. Denn die ist längst überfällig – besonders in Deutschland.

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Upskirting ist jetzt endlich strafbar

Die Freundinnen Ida Marie Sassenberg und Hanna Seidel haben die Petition gestartet. - Fotos: Robert Haas; Simona Bednarek
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Zweimal in ihrem Leben ist die heute 28-jährige Münchner Studentin Hanna Seidel (Foto re) Opfer von Upskirting geworden. Das erste Mal mit 13 Jahren auf einer Klassenfahrt. Die Täter waren nicht etwa pubertierende Jungs, die die Mädchen ärgern wollten, sondern Lehrer einer anderen Schule, die heimlich den knapp jugendlichen Mädchen unter den Rock gefilmt haben.

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Beim zweiten Mal war sie 16 und mit einer Freundin auf einem Musikfestival. Die Freundin tippte sie an und meinte, ein Typ habe ihr gerade unter den Rock gegriffen. Hanna selbst sah noch, wie der Mann seine Hand wegzog. Also wandte sie sich sofort an zwei Polizisten. Doch diese antworteten nur: „Da können wir nichts machen.“ Wütend entschied Hanna, den Mann selbst zur Rede zu stellen und ihn aufzufordern, die Fotos zu löschen. Doch der gab ihr die Schuld. Schließlich habe sie „ja einen Rock angezogen“. Er drohte Hanna sogar Schläge an. Zum Glück konnten die Leute um sie herum sie schützen.

Das, was Hanna Seidel passiert ist, wird als „Upskirting“ bezeichnet: Der Täter fotografiert oder filmt Frauen heimlich unter den Rock. Ein klarer sexueller Übergriff? Nicht in Deutschland. Hierzulande ist Upskirting nicht strafbar.

Fotos unter
den Rock:
in Deutschland
jetzt strafbar

Als sexuelle Belästigung kann eine Frau - falls sie die Aufnahme überhaupt mitbekommen hat – den Übergriff nicht anzeigen, weil in der Regel keine Berührung stattfindet. Der relativ neue Paragraf 201a zur „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ kommt ebenfalls nicht in Frage: Der Paragraf gilt nur in Innenräumen. Meistens werden Upskirt-Fotos aber im öffentlichen Raum gemacht – auf Rolltreppen, in Supermärkten oder eben auf Festivals.

Momentan führt die einzige Möglichkeit für eine Anzeige über den Straftatbestand der Beleidigung: Dazu muss sich eine dritte Person von der Aufnahme des Fotos beleidigt fühlen und Anzeige erstatten. Die Betroffene selbst kann nichts weiter tun. Außer: Einfach keine Röcke mehr zu tragen, und wenn, dann nur noch mit blickdichter Strumpfhose.

So hat das auch Hanna Seidel nach dem Übergriff ein Jahr lang gemacht, weil sie sich in Röcken nicht mehr sicher gefühlt hat. Und sie hat sich gefragt: Was macht der Mann mit den Fotos? Ob er sie im Internet hochlädt oder sich damit befriedigt? „Es fühlte sich sehr eklig an“, erzählt die Regie-Studentin.

Tatsächlich landen viele der sogenannten Upskirts im Internet. Auf Pornoseiten, auf Youtube oder in Foren zusammen mit Tipps, wie man möglichst unauffällig noch mehr solcher Fotos schießen kann. Das Hochladen der Bilder ist zwar illegal, doch das ändert nichts daran, dass die Bilder sehr leicht und massenhaft zu finden sind.

In England drohen bis zu zwei Jahre Haft

Hanna hatte diese Vorfälle schon fast vergessen, als sie Jahre später über die Britin Gina Martin las, die das gleiche erlebt hatte wie sie. Auch sie wurde auf einem Musikfestival im Londoner Hyde Park zum Opfer von Upskirting. Zunächst bedrängten die Täter sie und fotografierten ihr dann unter den Rock. Sie schnappte sich das Handy und schaltete sofort die Polizei ein. Und auch hier konnten die Beamten nichts weiter tun als die Täter zum Löschen der Fotos aufzufordern. Der Fall wurde zu den Akten gelegt. Konsequenzen für die Täter gab es keine.

„Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, sagt Gina Martin. Sie startete eine Online-Petition, in der sie das gesetzliche Verbot von Upskirting forderte. 110.000 Menschen unterzeichneten – und Theresa Mays Regierung handelte! Künftig muss, wer in England heimlich Frauen unter den Rock filmt und fotografiert, mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen. Auch in Frankreich und Belgien ist Upskirting bereits verboten.

Als Hanna von der Petition las und sich mit ihrer Freundin Ida Marie Sassenberg darüber unterhielt, suchten die beiden Frauen sofort nach einer deutschen Petition, die sie unterzeichnen und unterstützen könnten. Doch: Es gab keine. „Das kann doch nicht sein“, fanden die Freundinnen - und wurden selbst aktiv. „Verbietet Upskirting in Deutschland!“ fordern sie in ihrer Petition. „Wir müssen dafür kämpfen, dass Upskirting zur sexuellen Belästigung zählt und somit auch in Deutschland strafbar ist.“

Über 82.000 Unterschriften haben sie schon – und einen ersten Erfolg: NRW, Bayern und Baden-Württemberg wollen nach der Sommerpause einen entsprechenden Gesetzentwurf als Bundesratsinitiative einbringen. Auch Schleswig-Holstein hat seine Unterstützung angekündigt, ebenso wie die FDP-Bundestagsfraktion. Und jetzt hat Justizministerin Christine Lambrecht Stellung bezogen: "Wer Frauen und Mädchen heimlich unter den Rock fotografiert, greift massiv in ihre Intimsphäre und ihr Persönlichkeitsrecht ein", sagte die SPD-Politikerin. Dieses "demütigende und herabwürdigende Verhalten" sei absolut inakzeptabel sei. Die Justizministerin plant nun eine Änderung des Strafgesetzbuchs, die "zügig umgesetzt" werden soll.

Hanna Seidel und Ida Marie Sassenberg sind entschlossen, ihr Anliegen bis zum Erfolg durchzukämpfen. Schon über 82.000 Unterschriften stärken ihnen den Rücken.

Petition unterzeichnen: https://www.change.org/p/verbietet-upskirting-in-deutschland

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