Cécile Bessire: Klebt sich fest
Die Ampel einer Genfer Hauptverkehrsstraße springt auf Rot. Cécile und ihre MitstreiterInnen gehen auf die Fahrbahn und setzen sich hin. Wenn es Grün wird, geht das Hupkonzert los. Manchmal kommen Autofahrer raus und schreien sie an. Die Polizei wird gerufen. Sobald Cécile die Sirene hört, muss es schnell gehen. Dann holt sie den Sekundenkleber raus – und klebt sich mit den Händen auf der Straße fest.
Cécile Bessire ist eine von 120 AktivistInnen und Mitbegründerin der zivilen Widerstands-Kampagne „Renovate Switzerland“, dem Schweizer Pendant zur deutschen „Letzten Generation“.
Die Aufstände für das Frauenstimmrecht wurden auch beschimpft
„Ich mache das nicht gern“, sagt die 28-jährige Cécile auf Nachfrage von EMMA, „Sich festzukleben ist kein Spaß und die Leute zu stören auch nicht.“ Aber sie „muss es tun“, findet sie. Denn: „Für mich fühlt es sich an, als wären wir alle in einem brennenden Haus und keiner weckt uns. Eigentlich wollen wir nur die Menschen und die Politik aufwecken.“
Eigentlich ist Cécile von Beruf Logopädin. „Irgendwann habe ich das alles nicht mehr mit mir vereinbaren können. Ich saß da und habe diesen kleinen Kindern sprechen beigebracht und mir ausgemalt, wie sie um ihre Zukunft betrogen werden. „Vielleicht werden diese Kinder in ein paar Jahren verhungern und elendig sterben, weil die Regierung nichts für ihre Zukunft unternimmt.“
Aufgewachsen ist die Schweizer Klimaaktivistin in einem kleinen Dorf im Kanton Bern. Mit ihren Eltern und ihren drei jüngeren Brüdern war sie viel in der Bergen unterwegs. Die Familie lebt naturverbunden. „Respekt gegenüber der Umwelt war meinen Eltern sehr wichtig. Wir sind nicht in den Urlaub geflogen, hatten kein Fernsehen, haben kein industrielles Essen gekauft. Und meine Eltern haben mir gezeigt, dass es okay ist, anders zu sein.“ Ihr Vater ist Bauarbeiter, die Mutter war bis zu Ceciles Geburt Physiotherapeutin. Beide unterstützen die Tochter.
Cécile selbst versteht sich in der Tradition des zivilen Widerstandes, ja des zivilen Ungehorsams: „Wer für etwas kämpfen muss, der gehört meistens nicht der Mehrheitsgesellschaft an. Die Aufstände für das Frauenstimmrecht bei uns in der Schweiz wurden auch beschimpft. Heute ist das Stimmrecht der Frauen etwas ganz Normales. Diese Frauen haben mich inspiriert.“
Vieles, was uns heute als selbstverständlich erscheine, habe von wenigen mutigen Menschen erst hart erkämpft werden müssen. „Ohne Kriegsdienstverweigerung hätten wir wahrscheinlich keinen Zivildienst. Und schwarze Amerikanerinnen wurden auch für ihren Kampf um Bürgerrechte angefeindet.“
Das Hauptziel von „Renovate Switzerland“ ist, zu kommunizieren, dass man sich im „Klimanotstand“ befindet. Und die KlimaschützerInnen stellen auch ganz konkrete Forderungen. Sie verlangen vom Bundesrat einen sofortigen Notfallplan zur thermischen Sanierung aller Gebäude im Land bis 2035, um die Energiekosten zu halbieren.
Ich möchte mir selbst sagen können, alles getan zu haben, was ich kann
Wenn Cécile sich mal wieder festgeklebt hat, kommt die Polizei mit Lösungsmittel, um die Hand vom Asphalt zu befreien. Ob das wehtut? „Nein, das geht schon“, sagt Cécile tapfer. Ihren Beruf hat sie inzwischen aufgegeben, ihr gesamtes Leben dem Kampf für die Zukunft gewidmet. Sie lebt von Erspartem, erhält hin und wieder Unterstützung von Klima-Vereinen.
In schwachen Momenten beneidet Cécile manchmal ihre Freundinnen, die ein relativ sorgloses Leben leben, ihrem Beruf nachgehen. Aber das vergehe schnell wieder. „Ich kann diese auf uns zusteuernde Katastrophe nicht ausblenden, und ich möchte mir einfach sagen können, dass ich alles getan habe, was ich kann.“