Die Linke: Katja Kipping wird

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Es war ein glasklarer Sieg. Bei allem Gerangel um mögliche Kombinationen an der Doppelspitze ist eins unbestritten: Katja Kipping erhielt auf dem Parteitag der Linken in Göttingen mit Abstand die meisten Delegiertenstimmen. 67,1 Prozent, also zwei Drittel der GenossInnen wollten die 34-jährige stellvertretende Parteivorsitzende jetzt als Parteichefin haben. Ihr Co-Vorsitzender Bernd Riexinger kam auf die Hälfte (53,5 %) der Stimmen. Am liebsten hätte Kipping die Partei mit einer weiblichen Doppelspitze geführt. Sie wollte ursprünglich gemeinsam mit der NRW-Landesvorsitzenden Katharina Schwabedissen, die wie Kipping als Feministin gilt, zur Wahl antreten. Im Zuge der Flügelkämpfe zog Schwabedissen ihre Kandidatur aber zurück. Nun muss die Dresdnerin Kipping, die mit 21 Jahren als jüngste Abgeordnete im sächsischen Landtag saß, und seit 2005 Mitglied des Bundestags ist, gemeinsam mit dem schwäbischen Gewerkschafter Riexinger die verfeindeten Lager der Linken befrieden. Sie setzt auf einen anderen, weniger testosterongetränkten Führungsstil. „Der Versuch, mit autoritärer männlicher Stimme die Einheit der Partei zu sichern, ist jetzt über viele Jahre erfolglos versucht worden. Es kommt auf einen Wechsel der Tonlage an.“ Nachfolgend ein Porträt von Katja Kipping aus dem Buch "Damenwahl", herausgegeben von Alice Schwarzer.

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Sie will sich der russischen Literatur verschreiben, als sie 1997 nach einem freiwilligen sozialen Jahr aus Russland zurückkommt. Doch die Erstsemester-Studentin Katja Kipping sieht, dass da etwas schiefläuft an der Uni. Warteschlangen an der TU Dresden, da, wo die Plätze für den Sprachkurs vergeben werden. Sie fühlt sich an früher erinnert, wenn es Bananen gab in der DDR. Kipping, die gerade gelernt hat, was der Begriff Semesterwochenstunden
bedeutet, denkt sich: Das kann ja wohl nicht sein, dass ein Platz im Sprachkurs Mangelware ist. Ihr Platz ist also erst mal im Protestbüro der TU-Studierenden. Es wird über Streik diskutiert, vor Weihnachten steht eine Riesendemonstration vor dem Landtag an: 10.000 Leute.
Nach Weihnachten beginnt die 19-Jährige zu begreifen, dass sie eigentlich selbst in den Landtag hineinmüsste, um etwas zu verändern: „Denn wir hatten viel Aufmerksamkeit gefunden, aber erreicht hatten wir nichts.“ Das Protestbüro plant eine alternative Vorlesungsreihe. „Doch als wir die veranstaltet haben, kamen statt der Zehntausend maximal zehn Leute.“ Kippings Rebellenblut hat sich in früher Jugend gezeigt, aber gleichzeitig ist sie eine, die Ergebnisse sehen will.
Sie tritt in die PDS ein. Da sind die Leute, die sie schon als Jugendliche getroffen hat, wenn sie im Jugendverein „Roter Baum“ etwas gegen Umweltschäden auf die Beine stellen wollte oder bei den Aktionen gegen die Stilllegung einer Straßenbahnlinie mitgemacht hat. 1999 sitzt sie, gerade mal 21 Jahre alt, als Abgeordnete im sächsischen Landtag. Die Liebe zur russischen Literatur bleibt.
Aber schon der Titel ihrer Magisterarbeit, die sie 2003 abschließt, verrät, dass Katja Kipping sich nunmehr einer anderen Sache verschreiben wird. Er lautet: „Interdependenzen zwischen Politik und Literatur, exemplarisch dargestellt an Werken von Cernycevskij, Cechov und Blok“.
Kipping steht an der Schwelle zur Pubertät, als 1989 die Mauer fällt. Aus dem Elternhaus – die Mutter ist Lehrerin, der Vater Ökonom – bringt sie die Haltung mit, dass man sich nicht zurücklehnen oder beschweren darf, wenn einem irgendwas nicht passt. Man muss es schon selbst in die Hand nehmen, etwas tun. Die Wendezeit? „Wenn man in die Pubertät kommt, dann verändert sich ja viel im eigenen Körper und im Kopf. Und gleichzeitig wurde um mich herum alles anders. Ich habe das für mich nicht als eine Krise erlebt, sondern als etwas Aufregendes.“

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Der Vater wechselt den Beruf, er wird selbstständig. Robotron, sein früherer Betrieb, „wird natürlich eingestellt“. Autoritäten in der Schule, Lehrer und Pionierleiter werden abgewickelt, aber Katja erlebt nie, dass vor ihren Augen Menschen runter- oder fertiggemacht werden. Außerdem: „Ich bin ja sowieso nicht besonders affin für Autoritäten.“ Die Wende ist für sie bis heute eine Quelle des Optimismus. „Manchmal hat man ja in der Politik das Gefühl, man rennt gegen Windmühlen und erreicht nichts. Aber ich habe eben erlebt, dass etwas scheinbar ganz Festes sich auf einmal verändert, und das in ganz kurzer Zeit.“
Mit 21 Jahren ist Katja Kipping also Landtagsabgeordnete in Dresden, Fachgebiet: Verkehr. Kein Feld für Frauen, keins für junge Menschen. Verkehr, da geht es um Hardcore-Fragen, Infrastruktur und Profite und den ganz gewöhnlichen Opportunismus. Verkehrspolitik machen bei CDU wie SPD Männer. Und auf dem Papier vertritt die PDS zwar die ökologische Verkehrspolitik ihrer Sprecherin, im wirklichen Leben aber möchte auch so mancher PDS-Abgeordnete für seinen Wahlkreis eine neue Umgehungsstraße oder Autobahn. SPD und CDU liefern sich einen Wettbewerb darum, wer mehr Autobahnen nach Sachsen holt.
Die sächsische Abgeordnete Kipping steht in keinem Punkt im Mainstream. Ihre ersten Reden? „Es war eine Prüfung. Da spürt man den vollen Gegenwind und schluckt erst mal ...“ Die junge Abgeordnete, die bisher nie um etwas besonders hatte kämpfen müssen, weil sie eine Frau ist, hört nun im Landtag Zwischenrufe „wie aus dem Lehrbuch des Feminismus“. So brüllt ein Verkehrspolitiker der CDU zur PDS-Fraktionsführung rüber: Mensch, Ihre Verkehrsmädels, haben Sie die denn nicht besser im Griff?
Ein Verzicht auf Ausbildung, Party, Gemeinschaft und Liebe soll ihre Entscheidung für die Politik nicht sein. Die Landtagsabgeordnete schließt ihr Studium ab. Ein klassisches Studentenleben – morgens lange schlafen, abends lange Party – hat sie natürlich nicht. Aber sie kennt es längst, „mein Dilemma“: Schon immer wollte sie alles gleichzeitig: viel erleben, viel lesen, viele Sachen machen – doch der Tag hat nur 24 Stunden. „Eine Grundorganisiertheit und Selbstdisziplin hatte ich deshalb früh.“ Lesen ist für sie nicht Arbeit, sondern Genuss, und Politik muss eben auch so organisiert werden, dass sie nicht nur Aktenlesen, sondern auch Menschenbegegnung und Gemeinschaftserlebnis ist. In der Sache erreicht Kipping nichts, als sie 2002 eine Expertenanhörung zum Schülerticket durchsetzt und als Expertin eine junge Schülerin einlädt, die sich souverän schlägt. Aber ihr Beispiel macht Schule. Einige Zeit später lädt auch die CDU jugendliche Sachverständige zu einer Landtagsanhörung ein.
Ganz auflösen lässt er sich nicht immer, der Widerspruch zwischen Politik und Leben. Kipping ist gerade 20 Jahre, als sie auf einem PDS-Bundesparteitag damit konfrontiert wird, wie Stimmung gegen sie gemacht wird. Katja und ihre Freunde sind nämlich während des Parteitags fröhlich schwimmen gegangen und haben, sich keiner Schuld bewusst, auch noch stolz erzählt, was für einen schönen Nachmittag sie erlebt haben. Hinter den Kulissen und auf offener Bühne wird ihr prompt „Verantwortungslosigkeit“ unterstellt.
Richtig hart kommt es, als die junge Frau 2003 von ihrer Landesvorsitzenden ins Rennen um den stellvertretenden Bundesvorsitz der PDS geschickt wird. Die PDS, nur noch mit zwei direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag vertreten, befindet sich in einer schweren Krise. Vor dem Parteitag ist klar, dass die Sachsen-PDS einen Parteivize beanspruchen kann. „Und nachdem schon mehrere Männer in betagterem Alter gesetzt waren, schien irgendwie klar: Am besten ist es für Sachsen, wenn eine Frau vorgeschlagen wird.“ Sie habe überhaupt nicht darauf hingearbeitet, aber Feuer gefangen, als ihr Name ins Spiel kam. Doch dann merkt Kipping, wie es beginnt; wie hinter ihrem Rücken über sie hergezogen wird, sogar von Genossen, die sie bisher unterstützt haben. „Das war ein Jahr, da ging es mir nicht gut.“
Die unterschwellige Frage lautet: So jung, so schön und eine Frau – kann die denn das? „Ich habe gegen einen feststehenden Topos verstoßen, nämlich den, dass Mädchen bescheiden sein sollen." Sie wird gewählt, aber mit mäßigem Ergebnis. Erst ein Jahr später, als sie mit über 80 Prozent wiedergewählt wird, hat sie das Gefühl, sich den Posten erarbeitet zu haben.
Nach der vorgezogenen Neuwahl 2005 zieht Kipping als Spitzenkandidatin der sächsischen PDS/Die Linke in den Bundestag ein. Jung, weiblich, schön – wie beim Einzug in den sächsischen Landtag zieht Kipping damit anfangs mehr Aufmerksamkeit auf sich als mit ihren politischen Kompetenzen. „Das erste halbe Jahr ist das eben so ein Hype. Und dann gibt es den fünften Bericht über 'junge aufstrebende Abgeordnete', und die sind meistens ziemlich langweilig.“ Auf den ersten Blick seien Jugend und gutes Aussehen hilfreich; auf den zweiten schädlich, weil das automatisch mit Harmlosigkeit gleichgesetzt werde und viele nicht damit umgehen könnten, sobald sich zeigte: Die ist ja gar nicht harmlos. „Und dann gibt es eine Stufe, da wird es egal.“
Längst macht Kipping nicht mehr Verkehrspolitik. Die Sozialexpertin der Fraktion hat das „Netzwerk für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ mit gegründet – eine Forderung, die in ihren eigenen Reihen nicht unumstritten ist. Die „Linke“ ist eine quotierte Partei, doch zeigt sie der großen Öffentlichkeit vor allem Männergesichter: Gregor Gysi, Lothar Bisky und Oskar Lafontaine. „Die drei sind natürlich nicht die personifizierte feministische Praxis“, sagt Kippping ironisch. Ihre Erfahrung: Nicht nur diese drei, sondern alle Männer in politischen Führungspositionen haben im Umgang mit Frauen ein Problem. „Es fällt ihnen schwer, sie als gleichberechtigte Gesprächspartner anzusehen.“
Kipping kommt aus der Frauengeneration nach dem großen Aufbruch: „Diese Art, wie man sich jungen Frauen mit Galanterie nähert, sich dabei aber selbst ein bisschen unsicher fühlt, das kann ich inzwischen eher amüsiert beobachten.“
Feminismus kann es für Kipping gar nicht genug geben in der Politik, den Apparaten, die unterschwellig doch noch von Rollenbildern aus der Zeit des Patriarchats geprägt seien. Unsere Vorstellungen davon, was Autorität, Kompetenz, Seriosität ausmache, seien immer noch an die alten Klischees gebunden.
„Patriarchale Verhaltensmuster sind nicht allein ein Problem der Männer“, schreibt Kipping in einem Diskussionsbeitrag für das Frauenplenum ihrer Partei. Und schildert, wie ältere Frauen gegenüber jüngeren Männern, die kulturell in den neuen Geschlechterverhältnissen sozialisiert worden sind, gelegentlich Verhaltensweisen im Patriarchenstil herauskehren.

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Doch es bleiben die zweierlei Maß. Wenn in einer politischen Debatte ein Minister zur gleichen Sache mit anderen Zahlen operiere als sie, dann werde auch von ihren Leuten eher ihm geglaubt: Weil er größer ist, und weil er kräftiger ist, und weil er eine tiefere Stimme hat. Wie starr Rollenklischees sind, sagt sie, merkt man immer erst dann, wenn jemand dagegen verstößt. Frauen halten sich an Redezeitbeschränkungen, Männer nicht. Wenn Kipping im PDS-Parteivorstand die Sitzungen leitet, müssen sich alle daran halten – nicht zu jedermanns Vergnügen.
Die Linke findet es gut, dass eine Frau Kanzlerin ist. „Aber einen Sommer macht diese Schwalbe noch nicht.“ Und sie könnte schwören, dass selbst Angela Merkel viel mehr Selbstdisziplin, Arbeit und Mühe für ihr Amt aufwenden muss als ihre männlichen Vorgänger.
30 Jahre, Bundestagsabgeordnete, stellvertretende Parteichefin. Und Ihre Zukunft, Frau Kipping, wünschen Sie sich eigentlich auch Kinder? Ach, lächelt die junge Frau, das ist ein Thema, das ich lieber bilateral, sozusagen beziehungsintern, bespreche, nicht öffentlich…
Tissy Bruns
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Der Text ist ein Auszug aus Alice Schwarzer (Hrsg.): "Damenwahl - Vom Kampf um das Frauenwahlrecht bis zur ersten Kanzlerin". Mit Texten von Tissy Bruns und Chantal Louis. (KiWi Paperback, 8.95 €) - Im EMMA-Shop kaufen

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